Hamburg . Gerhard Löffler Kantor in St. Jacobi – ein Gespräch über die Hochsaison für Kirchenmusiker in Hamburg.
Kirchenmusiker sind in der Advents- und Weihnachtszeit fast ständig im Einsatz. Es gibt mehr Gottesdienste als sonst, außerdem Chor- und Orgelkonzerte, vor allem natürlich die Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach, intern kurz WO genannt. Gerhard Löffler ist zwar erst seit Februar Kantor und Organist an St. Jacobi, als Nachfolger von Rudolf Kelber, aber den weihnachtlichen Dauereinsatz kennt der ledige 37-Jährige seit Langem. „Das ist natürlich anstrengend, aber es gehört dazu – und ich mag das“, sagt der Kirchenmusiker, der aus Hessen stammt und zuletzt als Kantor in Berlin tätig war.
Mal ganz ehrlich, kann er das Weihnachtsoratorium nach so vielen Aufführungen überhaupt noch hören? Löffler schmunzelt und sagt: „O doch, ein Weihnachten, ohne ein WO dirigiert zu haben, wäre für mich kein Weihnachten. Ich habe in Berlin mal ein Jahr darauf verzichtet und stattdessen Händels ‚Messias‘ aufgeführt. Das war auch ganz schön, aber anschließend hatte ich das Gefühl, dass da was fehlt.“ Also stand er am 10. Dezember wieder am Pult und führte mit Kantorei und Kammerorchester St. Jacobi die ersten drei Kantaten auf, für ihn zum ersten Mal in Hamburg.
Nach dem Vordiplom ging er nach New York
Löffler ist in der zwischen Frankfurt und Fulda gelegenen Kleinstadt Wächtersbach als Kind einer Lehrerfamilie aufgewachsen. Er hat Blockflöte gespielt, später Klavier, ohne sich dafür begeistern zu können. Die Orgel jedoch fand er schon immer interessant. Als der örtliche Kantor Orgelschüler suchte, hat er sich als Zehnjähriger gemeldet. Und als man zwei Wochen später dringend einen Organisten für den Sonntagsgottesdienst benötigte, sprang er ein. „Das war ein Schlüsselerlebnis für mich, aber nur eines von mehreren“, sagt Löffler und erzählt, wie er mit den Eltern später nach Frankfurt zum Einkaufen fuhr und dort an der Katharinenkirche nahe der Hauptwache vorbeikam, gerade als dort „30 Minuten Orgelmusik“ begann.
Die Eltern gingen einkaufen, er setzte sich in die Kirche und hörte dem Spiel des Organisten Martin Lücker so fasziniert zu, dass er anschließend auf ihn wartete und darum bat, ihm vorspielen zu dürfen. „Meine Eltern waren nicht begeistert, weil die Anfahrt von Wächtersbach so lang ist, aber ich konnte mich durchsetzen. Also fuhr ich nun regelmäßig mit dem Zug nach Frankfurt zum Orgelunterricht bei Martin Lücker, der mich als Privatschüler angenommen hatte.“ Alles Weitere habe sich organisch entwickelt: Mit Beginn der zwölften Klasse wurde er „Jungstudent“ an der Frankfurter Musikhochschule, wo er gleich nach dem Abitur voll ins Kirchenmusikstudium einsteigen konnte.
Nach dem Vordiplom hatte er aber den Eindruck, das vertraute Terrain verlassen zu müssen. „Ich hatte von dem amerikanischen Organisten John Weaver gehört, und irgendwie war es mir auch gelungen, ihn ans Telefon zu bekommen“, erzählt Löffler. „Weaver war freundlich und sagte: ‚Spielen Sie mir am Sonntag nach dem Gottesdienst vor‘, das war am Mittwoch – nur zwei Wochen nach 9/11. Ich ging sofort ins Reisebüro und buchte den ersten Flug, der nach den Anschlägen wieder nach Amerika ging, war am Sonntag pünktlich zur Stelle und spielte Weaver an der Orgel der New Yorker Madison Avenue First Presbyterian Church vor.“
Vielschichtigkeit des Klangs
Anschließend konnte er sich an der renommierten Juilliard School bewerben, die ihn auch annahm. So wurde New York für den jungen Kirchenmusiker zu einem weiteren Schlüsselerlebnis. Auf die Frage, was ihn an der Orgel als Instrument fasziniert, muss er nicht lange nachdenken: „Es ist die Monumentalität, die Komplexität und zugleich die Vielschichtigkeit des Klangs – die Orgel ist ein Orchester“, sagt Löffler, fügt aber hinzu, dass Kirchenmusik nicht nur auf das Orgelspiel beschränkt ist, sondern auch die Arbeit mit Chören und Orchestern und damit den Umgang mit Menschen einschließt.
Da er einen deutschen Hochschulabschluss für die Arbeit als Kirchenmusiker in Deutschland brauchte, kehrte er nach Frankfurt zurück, wo er sein Studium beendete und anschließend auch seine erste Stelle antrat.
Wusste er damals schon, welche Bedeutung die Hamburger Kirchenmusikszene hat? „Ja, das wusste ich schon, und es wird mir auch heute täglich bewusst, in welcher langen Tradition ich hier stehe. Da brauche ich nur in St. Jacobi an den altehrwürdigen Bildnissen der vielen Hauptpastoren vorbeizugehen. Dieses konservative Moment ist für die Kirchenmusik sehr gut, weil damit nicht immer alles infrage gestellt wird“, sagt Löffler, der andererseits natürlich weiß, dass die Tradition und die Erwartungshaltung des konservativen Hamburger Publikums auch eine Last sein kann.
Kantor schwärmt von „seiner Orgel“
„Zum Glück haben meine Vorgänger Heinz Wunderlich und Rudolf Kelber hier an St. Jacobi immer wieder auch Neues gewagt und nicht nur das übliche Repertoire aufgeführt“, meint Löffler. Sein Publikum „umerziehen“ will er nicht, aber auf Neues neugierig machen, möchte er schon. „Ich will vermitteln, dass wir hier an St. Jacobi qualitativ gut sind und dass es sich zu kommen lohnt, auch wenn wir mal etwas machen, was eben nicht Johann Sebastian Bach ist.“
Zu den ersten Neuerungen gehört die „30 Minuten Orgelmusik“, die Löffler nach Frankfurter Vorbild schon im Februar in St. Jacobi eingeführt hat. Donnerstags spielt er jeweils von 16.30 bis 17.00 Uhr die große Orgel, die ein gewichtiger Grund war, sich hier zu bewerben. „Die Arp-Schnitger-Orgel ist eines der berühmtesten Instrumente in Nordeuropa, aber wahrscheinlich auch weltweit. Und da es ein Bedürfnis gibt, sie regelmäßig und auch außerhalb des konzertanten und liturgischen Rahmens zu hören, habe ich die halbstündigen Orgelmusiken eingeführt“, erklärt der Kantor, der fast zärtlich klingt, wenn er von „seiner Orgel“ schwärmt: „Ich bin glücklich, dass ich dieses Instrument spielen darf.
Die 350 Jahre alte Dame ist wählerisch
Es spielt sich fantastisch, klingt atemberaubend, aber es begrenzt mich auch, weil es zwar die Barockorgel schlechthin ist, aber eben für ein ganz bestimmtes Spektrum von Musik, der Alten Musik bis Bach und der Zeitgenössischen Musik. Da entfaltet sie ein Feuerwerk. Aber weil sie das eine so gut kann, merkt man ihr an, was sie nicht so gerne möchte. Ich lerne sie aber immer besser kennen und merke, was die rund 350 Jahre alte Dame will und was eben nicht.“ Am heutigen Abend wird er das wieder spüren, wenn er das Konzert „Weihnacht mit Johann Sebastian Bach“ spielt.
Und wie feiert er selber Weihnachten? „So, wie vermutlich alle Kirchenmusiker, nämlich bei der Arbeit, die eigentlich mehr Berufung ist“, sagt er. Der letzte Gottesdienst beginnt an Heiligabend um 23 Uhr, danach, hat er gehört, treffen sich noch einige Leute aus den Chören und der Gemeinde, um gemeinsam mit einem Glas Wein anzustoßen. „Da werde ich sicher dabei sein, zwischendurch meine Eltern in Wächtersbach anrufen, aber dann wohl recht bald erschöpft ins Bett sinken“, sagt der Kantor, für den auch der 25. Dezember selbstverständlich ein Arbeitstag ist. Der Weihnachtsgottesdienst beginnt schon morgens um 10 Uhr.
„Weihnacht mit Johann Sebastian Bach“
Di 13.12., 20.00, Hauptkirche St. Jacobi,
Jakobikirchhof 22, Eintritt: 10,-