Vielerorts müssen Gotteshäuser schließen. Volksdorfer wollen dagegen kämpfen – mithilfe von Ex-Pröpsten

Es fliegen die Fetzen in der evangelischen Gemeinde Volksdorf. Die Kirche St. Gabriel soll aufgegeben werden, sagen die einen. Sie soll stehen bleiben und weiter genutzt werden, die anderen. Die Kirche muss sparen und zusammenrücken, sagen die einen. Nein, sagen die anderen, sie muss in der Fläche bleiben und darf nicht ganze Regionen aufgeben.

„Dass die Kirche kein Geld hat – der Satz hat noch nie gestimmt“, sagt Hans-Jürgen Müller, ehemaliger Dompropst in Ratzeburg und Vorsitzender des Fördervereins St. Gabriel. Er verweist auf die Kirchensteuereinnahmen, die 2016 zum zweiten Mal in Folge Rekordhöhen erreichen werden (wir berichteten). Es sei richtig, dass die Kirche Mitglieder verliere, überaltert sei und zu viele Gebäude habe, sagt Müller. Aber die Konsequenz daraus könne nicht der Rückzug aus der Fläche sein. Schon gar nicht im wohlhabenden Volksdorf.

St. Gabriel würde 2018 den 50. Geburtstag feiern. Die kleine Kirche im Volksdorfer Wohngebiet ist denkmalgeschützt, wegen ihrer Architektur und wegen ihrer vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster des Glaskünstlers Hanno Edelmann. Sie skizzieren den ungeschützten Weg des Christen und glänzen mit ihren lichten Engelsdarstellungen, sagen die Fans der Kirche. Der zeltförmige Bau verkörpere das „Unterwegs-Sein“ des Gläubigen, das Provisorische, Flüchtige im ewigen Ringen um Vertrauen. Auf den anderen, den eigenen Handlungsplan, auf Gott.

Die kleine Kirche ist ein Gegenentwurf zu den großen Domkirchen, der Pracht und Gewaltigkeit üblicher Sakralbauten in den Zentren der Städte. „Burgen“ nennen sie die Prediger. In St. Ga­briel regiert die Aufklärung. Der Taufstein steht in der Mitte des Raumes, um den Altar bilden die Bänke einen Halbkreis wie um eine Bühne im antiken Theater. Ideal für ein offenes Gespräch. Die Alternative zur Verkündung. Laut Synodenbeschluss vom April 2016 will der übergeordnete Kirchenkreis Ost 30 Prozent seiner rund 150 Gebäude-Komplexe loswerden. Aus Kostengründen. Die Mitgliederzahlen sinken seit Jahren und würden absehbar zu Einbrüchen bei den Steuereinnahmen führen. Der Kreis will umnutzen, abreißen oder verkaufen.

Der Volksdorfer Gemeinderat möchte St. Gabriel am 30. April schließen. Küsterhaus, Pfarramt und Gemeindesaal sollen auf jeden Fall abgerissen werden. Findet sich für die Kirche bis Ende 2017 kein neuer Nutzer, soll auch sie fallen. Übrig blieben 4022 Quadratmeter Land zwischen Wohnsiedlung und Naturschutzgebiet. Es gilt der Baustufenplan von 1952. Wohnen, offene Bauweise.

Erste Gespräche mit der Genehmigungsbehörde ergaben, dass eine effiziente Nutzung durch eine soziale Einrichtung schwierig wird. Der Untergrund ist feucht, zulässig sind nur eingeschossige Häuser mit Dachgeschoss. Größere Zweckbauten sind ausgeschlossen, Ausnahmegenehmigungen schwierig. Die Nachbarn sind wachsam. Sie hatten schon einmal gegen die Kirche geklagt. Vor ihrer Errichtung. Weil eine Kirche im Wohngebiet „nichts zu suchen“ habe.

Der Gemeinderat scheint mittlerweile zur gleichen Überzeugung gekommen zu sein. In der Region Volksdorf/ Bergstedt/Hoisbüttel gibt es rund 12.900 Mitglieder. Im städtischen Umfeld sollen es laut Kirchenkreisbeschluss etwa 5000 pro Gotteshaus sein. Für die fragliche Region stehen damit zwei von vier Kirchen vor dem Aus.

Die historische Kirche in Bergstedt ist gesetzt, die am Volksdorfer Rockenhof auch. Übrig sind die modernen Häuser in Hoisbüttel und am Volksdorfer Sorenremen. Die Burgen bleiben, die Zelte werden abgebrochen?

Der Kirchenkreis Ost, Herr über die Finanzen, weist auf die Gemeinden. Er bevormunde niemanden. Beschlossen sei lediglich, dass in der Region Volksdorf nur noch zwei von vier Gebäuden „förderfähig“ seien, sagte Kirchenkreis-Sprecher Wolfgang Främke. Die Gemeinden würden autonom entscheiden, wie sie mit ihren Gebäuden verfahren. „Nicht förderfähig“ heiße lediglich, dass der Kreis keine Renovierung oder Sanierung mehr bezuschusse.

Die Liste der betroffenen Kirchengebäude in den 38 Regionen und 116 Gemeinden gibt der Kreis nicht heraus, das Pastorat der Gemeinde Hoisbüttel gibt keine Auskunft. Auch der Volksdorfer Gemeindevorstand nennt erst nach monatelangem Gezerre genauere Zahlen zur Begründung seiner Entscheidung. Auf einer erzwungenen Gemeindeversammlung und nur zum Mitschreiben, nicht zum Mitnehmen. Die Pastorin und Gemeinderatsvorsitzende Gabriele Frietzsche sagt, es sei fünf Jahre lang versucht worden, einen diakonischen Träger zu finden, der das Grundstück nutzen und die Kirche offen halten würde. Aber das sei wirtschaftlich an dem entlegenen und zu kleinen Standort nicht darstellbar. Ihr Finanzvorstand assistiert: Eine Verwertung des Grundstücks könne auch Möglichkeiten eröffnen. 2004 hatte die Gemeinde ihre Kirche am Volksdorfer Damm geschlossen und das Grundstück verkauft. Es brachte 1,7 Millionen Euro.

Für St. Gabriel legte die Gemeindeversammlung jetzt ihr Veto ein. 300 Kirchgänger waren gekommen und warteten geduldig das Ende der gut einstündigen Ausführungen des Gemeindevorstands ab. 20 Minuten vor Ende der Veranstaltung kam endlich der Antrag zur Sprache, um dessentwillen sie gekommen waren. Die Schließung der Kirche solle ausgesetzt werden, bis alle Möglichkeiten zu ihrem Erhalt ausgelotet sind. Dazu gehört auch ihre Überführung in eine private Stiftung. Unmittelbar vor der Abstimmung wies Pröpstin Isa Lübbers noch darauf hin, dass Beschlüsse der Gemeindeversammlung den Gemeinderat nicht binden. Pastorin Frietzsche versuchte einen Gegenantrag. Die Versammlungsleitung regte eine Vertagung an. Es nützte nichts. Gut 90 Prozent der Anwesenden votierten für St. Gabriel.

„Ich kenne in der gesamten Kirchengeschichte kein Beispiel dafür, dass eine Kirche aus Geldmangel eingegangen wäre“, sagt der erste Pastor der kleinen Kirche und spätere Propst, Helmer Christoph Lehmann. „Zu so einer Kirchenschließung gehört eine gewisse Überzeugung!“ Und die, so Lehmann, sei derzeit die falsche in den oberen Etagen der Nordkirche. „Ich habe nichts gegen Zahlen. Als Propst bin ich jahrelang damit umgegangen. Aber in der Kirche dürfen sie nicht dominant werden, sonst fehlt es am Heiligen Geist.“

Es sei grundsätzlich falsch, sich aus der Fläche zurückzuziehen und ganze Regionen aufzugeben. „Die Menschen, die jetzt nach St. Gabriel gehen, wollen nicht in die Burg am Rockenhof. Sie wären mit der Schließung der Kirche für die Gemeinde verloren.“

150 Leute zählt der Förderverein, der sich zum Erhalt St. Gabriels zusammenfand. Er will Geld geben, kann aber nicht. Der Gemeinderat steht dagegen. Er wollte nach eigenem Bekunden schon die Gründung des Förderkreises verhindern, weil dessen Existenz „eine ergebnisoffene Diskussion verhindert“. „Da scheinen Leute zu sitzen, die sich mit aller Gewalt von St. Gabriel trennen wollen“, sagt Müller vom Förderverein.

Die Besucherzahlen in St. Gabriel stimmen. Gut 50 Leute kämen zum sonntäglichen Gottesdienst, zum Vorführen des weihnachtlichen Krippenspiels meldeten sich jedes Jahr mehr Kinder als beschäftigt werden könnten. Mit steigender Tendenz.

Der Gemeinderat argumentiert mit anderen Zahlen. Frietzsche spricht von 80.000 Euro „strukturellem Defizit“, wovon 65.000 Euro auf St. Gabriel entfielen. Laufender Unterhalt plus Rücklagen für Reparaturen und Gebäudeabschreibung. St. Gabriel sei energetisch indiskutabel und praktisch nicht heizbar. Es müsse jetzt gespart werden, damit die Gemeinde auch in 15 Jahren noch handlungsfähig sei. Konsolidieren nennt das der Betriebswirt.

„Quatsch“ nennt es Müller. 2,1 Millionen Euro hat die Gemeinde auf der hohen Kante, davon sind 700.000 Euro nicht zweckgebunden. „Ich glaube nicht an die heilige kirchliche Rücklage“, sagt Müller. Der Förderverein, das hätten Sondierungen ergeben, könne jährlich 30.000 Euro für Betriebskosten aufbringen. Eine Instandhaltungsrücklage sei verzichtbar. Es müsse nur ein Heizkessel eingebaut werden, da die Kirche derzeit aus den zum Abriss vorgesehenen Gebäuden mit Wärme versorgt werde.

Müller will ohne Netz agieren und die Kirche auf den Prüfstand stellen. Wie Lehmann will er sehen, ob die Leute wirklich nichts für ihre Kirche tun wollen. Er will die Gemeinschaft der Gläubigen nicht „konsolidieren“, sondern riskieren. „Wenn der Glaube nicht trägt, soll er vielleicht untergehen. Aber wir müssen ihn probieren, in die Gemeinde gehen und an den Zusammenhalt appellieren, an den Willen, das Ganze zu erhalten. Das kann scheitern, aber wer im Vorhinein die Sammelpunkte zerschlägt, handelt unverantwortlich. Er macht die Gemeinden kaputt. Als wenn die Leute sich danach um die verbliebenen Kirchtürme scharen würden.“

Der Förderverein hofft auf die Gemeinderatswahlen am 27. November. „Vielleicht kommen dann andere Mehrheiten zustande und wir können St. Ga­briel retten“, sagen Müller und Lehmann. Die Nachbarn von der Philemon-Kirche in Poppenbüttel haben es vorgemacht. Das Gotteshaus sollte 2003 geschlossen werden und lebt seitdem von Spenden, Aktionen und Vermietung – ohne Zuschüsse von oben.