Hamburg. Elbphilharmonie-Auftritt bereits ausverkauft. Schumann-Einspielung auf YouTube mehr als drei Millionen Mal geklickt.

Khatia Buniatishvili ist schön. So schön, dass sich Männer wie Frauen zu ihr umdrehen, als sie das Foyer des Side Hotels nicht weit vom Gänsemarkt betritt. Die dunklen Locken, die tiefroten Lippen, die olivfarbene Haut, das warme Lächeln – sehr anmutig. Aber Khatia Buniatishvili ist kein Model, sondern Pianistin. Weltklassepianistin. Mit Exklusivvertrag bei Sony Classical. Eine, die mit den berühmtesten Orchestern spielt. Eine mit großer Fangemeinde, ein Piano-Popstar, der Traum jeder Plattenfirma, bereits mit zwei Echo Klassik ausgezeichnet.

Ihre Einspielung von Schumanns Klavierkonzert wurde auf YouTube bislang mehr als drei Millionen Mal geklickt und rund 2200-mal kommentiert. Was weniger am Werk als an der Interpretin liegen dürfte, bewegen sich doch alternative Aufnahmen von Größen wie Hélène Grimaud oder Wilhelm Kempff lediglich im mittleren fünfstelligen Bereich. Ein Unterschied: Die ­29-jährige Georgierin spielt mit vollem Körpereinsatz – und in einem hautengen weißen Kleid mit weitgehend freier Rückenpartie. Ein Anblick, der offensichtlich nicht nur Menschen fesselt, die ganz selbstverständlich mit Opuszahlen jonglieren. Sex sells, das gilt längst auch in der Welt der 88 Tasten.

Natürlich setzt Sony Classical genau darauf: Promofotos zeigen Khatia Buniatishvili häufig mit sinnlich-verträumtem Blick, leicht geöffneten Lippen, tief dekolletierten Kleidern. So effektiv das einerseits ist, so selbstverständlich ruft diese Marketingstrategie Kritiker auf den Plan, die Buniatishvili als Piano-Girlie abtun und die Qualität ihre Liszt-, Chopin oder Mussorgsky-Einspielungen ganz grundsätzlich bestreiten.

„Das interessiert mich nicht“, sagt die. „Wie ich mich kleide, hat nichts mit meiner Kunst zu tun. Ich werde meine Weiblichkeit jedenfalls nicht verstecken, um den Erwartungen mancher Kritiker an eine ,ernsthafte Künstlerin‘ zu entsprechen.“ Auch wenn sie freundlich lächelt, ist sie in diesem Punkt doch ganz klar: Es sei nichts weiter als eine Variante des Sexismus, ihr das Recht auf einen eigenen Stil abzusprechen. „Ich werde dem nicht nachgeben!“ Schön sein zu wollen sei doch nichts Falsches. „Alle Frauen wünschen sich das. Und übrigens auch alle Männer.“

Klavierspiel bedeutet für sie Körpereinsatz

Und wenn sie schon mal dabei ist, wird gleich noch etwas anderes klargestellt: Klavierspiel, das bedeute für sie eben Körpereinsatz. Um technische Meisterschaft gehe es auf der Bühne nicht, dafür sei das tägliche Üben da, sondern um Gefühle. „Und ich scheue mich nicht, meine Gefühle zu zeigen.“ Wo andere mit analytischer Distanziertheit auf dem Hocker sitzen, wiegt sich ihr Oberkörper, fliegen die Haare, sind Ergriffenheit und manchmal auch Schmerz im Gesicht abzulesen. Da sei dann nur noch die Musik, sagt sie. Sonst nichts. Notorische Huster im Publikum nehme sie zwar wahr, ablenken könnten aber auch die sie nicht. Alles ziehe vorüber. Wolken am Horizont.

Angesichts der Musik sei alles andere ohnehin Nebensache: die spektakulären Kleider, die sie auf der Bühne trägt, die männlichen Fans, die ihr bei Tourneen hinterherreisen.

Wichtig sei ihr allerdings, immer wieder ein positives Beispiel zu geben. Ihre Heimat, das Georgien der 90er-Jahre, sei trist und grau gewesen, ein Großteil der Bevölkerung, auch ihre eigene Familie, habe nur mit Mühe den Lebensunterhalt bestreiten können. Eine Situation wie geschaffen für Mut- und Hoffnungslosigkeit. Doch da gab es ja noch die Musik. „Ich war kein schönes Kind“, erinnert sich Buniatishvili. „Aber ich war ein begabtes Kind, ein Wunderkind.“ Mit vier saß sie erstmals am Klavier, mit fünf ging sie auf eine Musikschule, mit sechs gab sie ihr erstes Konzert. Ein ganz besonderer Moment, dem viele folgen sollten. Die meisten habe sie mit ihrer Schwester Gvastsa geteilt, auch eine Pianistin, mit der sie noch heute regelmäßig auftritt.

Mit 24 veröffentlichte Khatia Buniatishvili ihr CD-Debüt

Die kleine Khatia nahm an ersten Klavierwettbewerben teil, lernte den russischen Pianisten Oleg Maisenberg kennen, der ihr eine Ausbildung an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst vermittelte, und hinterließ bei ihren Konzerten so großen Eindruck, dass sie 2011, mit 24 Jahren, schließlich ihre Debüt-CD mit Kompositionen von Franz Liszt veröffentlichen konnte. Nicht bei einem kleinen Spezialistenlabel, sondern bei Sony Classical, einem der Platzhirsche. „Eine Pianistin mit außerordentlichem Talent“ hat die große Martha Argerich sie genannt, als „furchtlose Virtuosin“ beschrieb sie unlängst das britische Magazin „BBC Music“.

„Unser Leben in Georgien war schwer“, sagt Buniatishvili, „aber ich habe es geschafft, ich habe Erfolg.“ Ihr Lebensweg solle anderen Mut machen, wünscht sie sich. Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man es auch? Eher: Alles fängt mit kleinen Schritten an, einem nach dem anderen. Wie beim Laufen, einem ihrer Hobbys. Unlängst hat sie ein Foto auf ihrer Facebook-Seite gepostet, das sie mitten in Paris im figurbetonten Lauf-Outfit zeigt. „Ich wollte vermitteln, wie wichtig Sport für die Gesundheit ist“, erklärt sie dazu, lächelt und nippt an ihrer Selters. Fast 5000 Likes gab es dafür. Und viele positive Kommentare. Nicht alle bezogen sich auf Khatia Buniatishvilis musikalische Qualitäten.

Khatia Buniatishvili und die Tschechische Philharmonie unter Jirí Belohlávek
Di 29.11., 19.30, Laeiszhalle, Karten zu 20,-
bis 89,- im Vorverkauf

Khatia Buniatishvili mit der Kremerata Baltica Mi 5.4.17, 20.00, Elbphilharmonie, großer Saal, ausverkauft!