Hamburg. Der neue Direktor der Kunsthalle, Christoph Martin Vogtherr, über sein Ziel, das Museum in die ganze Stadt hinein zu öffnen.
Wenn Christoph Martin Vogtherr als Junge mit seiner Familie beim Abendbrot saß, dann führten häufig drei Männer das Wort: Großvater, Vater und einer seiner Brüder. Alle waren Historiker, „und alle drei praktizierten das Denken in zeitlichen Linien“. Schon als Zwölfjähriger hörte er ihnen gern zu. Doch erst als er entdeckte, dass auch Bilder andere Welten erschließen können, wusste Christoph Martin Vogtherr, dass er Kunsthistoriker werden wollte. Da war er 14 Jahre alt.
Jetzt sitzt Vogtherr (51), ein zierlicher, beherrschter Mann mit großen offenen Augen, der rasch zu erkennen gibt, dass er strukturiert und fokussiert denkt, in seinem noch kahlen Direktorenbüro in der Hamburger Kunsthalle und lernt langsam sein neues Umfeld kennen. Sein Lebenslauf verläuft geradlinig – Vogtherr hat offensichtlich früh das gefunden, was ihn am meisten begeistert. Hinter ihm liegen Stationen in Potsdam bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und bei der Wallace Collection in London, die eine exquisite Privatsammlung mit Kunst beherbergt, vorwiegend aus dem 18. Jahrhundert. Dort war er seit 2007 tätig, erst als Kurator und dann fünf Jahre als deren Direktor. Zudem arbeitet er seit Jahren in Forschungsprojekten mit der Getty-Stiftung zusammen. Bis er nach Hamburg kam, hat er eher im Verborgenen gewirkt, nicht im Glamourzirkus der Kunstwelt mitgespielt. Dass sein neues Museum strukturell unterfinanziert ist, weiß er natürlich. Er sagt dazu, dass er in Sachen Haushalt mit der Kulturbehörde im Gespräch sein müsse. Bekannterweise steigen die Kosten stärker als die Zuschüsse.
Von der Elbmetropole ist Vogtherr begeistert. In Bergedorf haben er und sein Lebenspartner eine geräumige Gründerzeit-Wohnung mit hohen Decken gefunden, endlich jenen Platz für Bücher, den sie in London nicht hatten. „Ein enormer neuer Luxus“, findet er. Sein Freund arbeitet im Sozialbereich: „Es ist ganz heilsam, wenn er die Fragen, die ich habe, aus einer unerwarteten Richtung beantwortet. Das hilft mir oft weiter, wenn ich mich in den Inhalten verhakt habe.“ Vogtherrs Spezialgebiet ist die Kunst des 18. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit liebt er die weltläufigen, respektlos-kritischen Bilder genauso wie die prachtvolle Musik. Er hat bereits entdeckt, dass der Barock-Komponist Johann Adolph Hasse, der an den Höfen in Dresden und Venedig engagiert war, aus Bergedorf stammt. Früher hat Vogtherr selbst Barock-Blockflöte gespielt und Kammermusik gemacht. Dafür hat er zuletzt nur wenig Zeit gefunden.
Die historische Basis der jeweiligen Stadt, in der er lebt, spielt für den neuen Kunsthallen-Direktor „eine riesige Rolle. In Hamburg gibt es einen gewissen Stolz. Und ein Gefühl für die eigene Identität. Es ist schön, wenn sich dieser Stolz auf das Museum überträgt. Um aber neue gesellschaftliche Gruppierungen ins Museum zu locken, müssen wir noch viel kreativer werden, und darüber muss ich mehr wissen. In London haben solche Programme funktioniert. Aber ich habe gelernt, dass sie extrem langfristig angelegt sein müssen.“
Museen hätten die Funktion der Verlangsamung, in seinen Augen leisten sie einen sanften, langsamen Dienst an der Gesellschaft. Auch darüber könne ein Beitrag zu Frieden und Verständigung geleistet werden. „Wir als Museum können da hoffentlich Horizonte eröffnen.“ Interessant sind auch seine Gedanken über die Relativität von Zwängen. Einerseits sind Museen auf Geld vom Staat, von Stiftungen und der Wirtschaft angewiesen, andererseits wollen sie kritische Ausstellungen machen und müssen auf der Unabhängigkeit ihrer inhaltlichen Arbeit bestehen.
Neun Jahre England haben ihre Spuren hinterlassen
Eine strenge Trennung müsse es nicht in jedem Fall geben: „Die Stadt hat das Recht, von den Museen zu verlangen, dass sie sie unterstützen. Das meine ich nicht glatt populistisch. Sondern wir sollten Harburg und Bergedorf genauso erreichen wie die Elbvororte. Und zweitens geht es darum, die Wahrnehmung der Stadt von außen positiv zu beeinflussen.“ Er nennt das Frankfurter Städel, das durch seine herausragenden Ausstellungen das Image der Banken-Stadt Frankfurt aufpoliert habe.
Neun Jahre England haben in seinem Denken Spuren hinterlassen. Museen haben dort freien Eintritt, und insgesamt ist man stärker am Besucher orientiert, was sich auch Vogtherr auf die Fahnen geschrieben hat. Der Erfolg eines Museums wird im Allgemeinen an den Besucherzahlen gemessen: „Was nützt es aber, wenn jemand den Louvre besucht, die Mona Lisa fotografiert und dann wieder geht?“ Das sei zwar gut für die Besucherstatistik, aber wohl wenig effektiv. Viel eher bedeute Erfolg, „wenn Besucher Neues entdecken, sich wohlfühlen, nachdenken, sich über Kunst austauschen“.
Dass selbst nach der Renovierung nur 20 Prozent der Besucher in die ständige Sammlung gehen, bedauert er. „Sie ist der Herzschlag des Museums. Wir können da sehr viel experimentieren.“
Einmal hat Vogtherr Arbeiten des zeitgenössischen Künstlers Tom Ellis in den historischen Räumen der Wallace Collection gezeigt: „Diese produktive Intervention hat die Wahrnehmung verändert. Hier in Hamburg kann man sehr viel mehr machen.“ Dennoch verwehrt er sich vehement dagegen, „dass ältere Kunst zeitgenössische als Herzschrittmacher braucht. Den Gedanken mag ich nicht.“ Heute, da viel altes Wissen verloren geht, die griechische Mythologie und selbst das Basiswissen aus der Bibel nicht mehr geläufig sind, „muss man sich solchen Tatsachen stellen. Es reicht nicht, eine Bibelstelle zu erläutern, um ein Bild zu erklären.“
Der Kunstwissenschaftler Vogtherr liest fast in jeder freien Minute. Viel über Kunst, satirische Romane von Henry Fielding, kürzlich den Wenderoman „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Und die Bücher des französischen Romanciers Pierre Péju.
Eines seiner belesenen und gebildeten Vorbilder hat einst die Hamburger Kunsthalle geleitet: Werner Hofmann. „Er hat das intellektuelle Potenzial von Museen erschlossen. Ihn habe ich schon als Teenager bewundert.“ Auch der englische Kunst- und Sozialhistoriker Francis Haskell hat ihn geprägt. Er war Experte für Geschmacksgeschichte und die Theorie, dass sich der Blick auf Kunst immer wieder wandelt. Darüber denkt Vogtherr nach, wenn er mit der Bahn nach Hause fährt. Oder per Fahrrad. Spätestens im Frühling.
Christoph Vogtherr in der Freien Akademie der Künste (U Steinstraße) Di 11.10., 19.00, Klosterwall 23, Karten 10,-, erm. 7,-