Hamburg. Für seine letzte Ausstellung hat Direktor Hubertus Gaßner 60 Gemälde des berühmten französischen Malers zusammengestellt. Ein Hochgenuss!

    Elegante Pariserinnen, sonnige Parks, frivole Balletteusen, Farbenpracht und die Noblesse erdiger Töne: Was für eine Augenweide! Ohne Übertreibung ist es sensationell zu nennen, dass ein Museum wie die Hamburger Kunsthalle einen so hochkarätigen Künstler wie Édouard Manet nun so groß präsentieren kann.

    Mit der glanzvollen Wiedereröffnung des Hauses zum Ende der Amtszeit des Direktors und Kurators Hubertus Gaßner (unterstützt von der Hubertus-Wald-Stiftung, Freundeskreis, Ausstellungsfonds und Airbus) ist dieser Traum nach sechs Jahren Vorbereitungszeit wahr geworden: 60 Werke von Manet, davon knapp 40 Gemälde als Leihgaben aus 30 Museen weltweit, von Honolulu über São Paolo bis Chicago, sind hier in der neuen Ausstellung „Manet sehen. Der Blick der Moderne“ bis 4. September zu bestaunen.

    Darüber hinaus besitzt das Haus als einziges deutsches Museum selbst drei Gemälde des berühmten französischen Malers. „Der Blick der Moderne“ ist ein beziehungsreicher Ausstellungstitel. Zum einen ist damit der oft direkte Blick der Figuren gemeint, die Manet porträtierte, und dem Hubertus Gaßner viel Aufmerksamkeit widmete, auch in der Beziehung der Bilder zu­einander im jeweiligen Raum.

    Damit zusammenhängend bezieht sich der Titel aber auch auf die Revolutionierung der Malerei vor dem Hintergrund der erstarkten bürgerlichen Gesellschaft, die Manet als einer der ersten seiner Zeit mutig und immun gegen die derben Beleidigungen seiner zahlreichen Kritiker vorantrieb. Deshalb ist die Idee schlüssig, die ersten zwei Räume mit den Bildern zu verknüpfen, die Manet in den ersten Pariser Salons zeigte. Neben 3000 bis 4000 anderen Gemälden stachen sie so heraus, dass die Kritikerschaft aus den angestammten Akademien ihn jedes Mal mit großem Tamtam niedermachte.

    In mehrerlei Hinsicht hatte Manet nämlich ein Tabu gebrochen. Nicht nur, dass er es wagte, im Stile höfischer Malerei des 18. Jahrhunderts statt Königen und Kardinälen nun Bettler und Prostituierte lebensgroß und repräsentativ zu porträtieren und damit diese Form der Selbstdarstellung dem Volk übereignete. Er malte auch nicht so ordentlich wie sein Erzfeind Jean-Léon Gerôme, dessen Gemälde „Phryne vor den Richtern“ zum Vergleich in der Ausstellung hängt. Stattdessen ließ er Flächen skizzenhaft unausgearbeitet, flüchtig, bewegt, und er verschloss bei vielen seiner ausdrucksvollen Porträts den Hintergrund in einem verwischten Übergang zum tonigen Boden, wie es schon Goya oder Velazquez vor ihm taten. Hier ist die stolze Balletttänzerin Lola de Valence hervorzuheben, die er mit buntem Rock und melancholischem Blick malte, aber mehr noch das exzellente Bildnis des Künstlers Marcellin Desboutin: Er trägt nur noch wenige Zeichen seiner vornehmen Herkunft wie den eleganten Spazierstock, doch sein Anzug hängt lappig an ihm herunter, ebenso wie sein Hut. Dieser Mann hat seine guten Tage hinter sich, aber es scheint ihn nicht zu stören, so lange der Tabakbeutel noch gefüllt ist. Geradezu frech hat Manet im Stil italienischer Heiligenbilder den aus einem Trinkglas saufenden Hund hinter dem Mann in überirdisches Licht getaucht.

    Große, herrliche Meisterwerke erfreuen das Auge des Betrachters

    In der Mitte zwischen dem Desboutin-Porträt und einer eleganten jungen Pariserin hängt ein Bild, das in Europa nahezu unbekannt sein dürfte: Der wie ein fotografischer Schnappschuss aufgefasste „Maskenball in der Oper“ (1873) leidet unter Frauenmangel. Ein Meer schwarzer Zylinder formt die Bildmitte, und aus dem Schwarz der Männeranzüge erkennt man ein paar anhängliche Balletteusen auf Beutezug. Der Witz in diesem die Pariser Romanwelt spiegelnden Gesellschaftspanorama ist ein rotes Stiefelchen, das von der oben abgeschnittenen Empore ins Bild hängt. Den lockeren Pariser Sitten des 19. Jahrhunderts war schließlich halb Europa verfallen, man reiste sogar aus Russland an ...

    Große, herrliche Meisterwerke wie das „wohl berühmteste Balkonbild der Welt“ (Gaßner) aus dem Pariser Musée d’Orsay erfreuen das Auge, außerdem das viel gerühmte „Frühstück im Atelier“, ein sehr modernes Arrangement, aus dem die zentrale Figur des jungen Mannes frontal auf den Betrachter zuzugehen scheint. Ähnlich wie auf dem Theater riss Manet hier die unsichtbare vierte Wand zum Betrachter noch offensiver ein, als es die Hamburger „Nana“ mit ihrem selbstbewussten, provokanten Blick tat.

    Der alte Mann neben „Nana“ ist Staffage, sie ist der Mittelpunkt und die Dirigentin der Szene, weshalb sie fundamental anders ist als die liebreizenden Mädchen, die Fragonard oder Boucher im 18. Jahrhundert auf ihre Schaukeln setzten. Gleichwohl bezog sich Manet, als sich seine Bilder in den 1870er-Jahren aufhellten und färbten, auf die französische Kunstgeschichte, vor allem auf den sinnenfrohen Barock.

    Viele weitere Hinweise darauf, dass Manet „der Türöffner für die Gegenwartskunst“ (Gaßner) war, birgt seine Malerei. Ein ganz zentraler sind die Blicke der Figuren, die meistens auf ein Ziel jenseits des Bildes gerichtet sind, die aber auch ohne deutbare Beziehung zueinander stehen. Kunsthistoriker haben die Entfremdung moderner Großstadtmenschen dort hineininterpretiert. In der Tat blicken die meisten seiner Figuren („Die Eisenbahn“, „Im Wintergarten“) aneinander vorbei – in einer Anonymität, die Edward Hopper später auf die Spitze trieb.

    „Manet sehen. Der Blick der Moderne“, 27.5.–4.9. Hamburger Kunsthalle, Eintritt im Mai frei, danach 12, erm. 6 Euro. Bis 31.5. gelten für die Manet-Schau Sonderregeln: Tickets sind eine halbe Stunde vor dem jeweiligen Zeitfenster erhältlich, nur vor Ort an den Kassen und nicht vorab reservierbar. Di–So 10–8.00, Do 10–21.00.Fürexklusive Abendblatt-Veranstaltungen am 12. und 19.7. gibt es noch Karten à 45 Euro. Inbegriffen ist der Empfang durch den Direktor, Führung und französisches Büfett. Karten unter Tel. 30 30 98 98 oder in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32.