Hamburg. Das Festival endete mit der Vergabe der Monica Bleibtreu Preise und hatte mit 5600 Besuchern so viele wie nie.
Dabei sein ist alles. Das olympische Motto scheint inzwischen auch für die Privattheatertage zu gelten. „Das waren die besten Privattheatertage, die ich in fünf Jahren erlebt habe“, bemühte Intendant und Initiator Axel Schneider am Sonntagabend indirekt den früheren IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch. Während der spanische Sportfunktionär das einst über jedes „seiner“ Olympischen Spiele sagte, wählte Hausherr Schneider diese Worte bei der Gala in den Kammerspielen bewusst zum ersten Mal.
Nicht nur ihn hatten die von einer Reisejury unter 86 Bewerbungen aus ganz Deutschland ausgewählten je vier Produktionen in den Bereichen „(zeitgenössisches) Drama“, „Komödie“ und „(moderner) Klassiker“ durchgängig überzeugt. Auch das hanseatische Publikum kam so zahlreich wie nie zuvor: Insgesamt 5600 Besucher sorgten bei dem Festival der Privattheater für eine Platzauslastung von 90 Prozent.
Am Ende der Gala, von den Hamburger Kabarettisten Michael Ehnert und Kristian Bader frech, auch mal spontan moderiert, von US-Sängerin Helen Schneider musikalisch bereichert und mit der Vergabe der Monica Bleibtreu Preise gekrönt, nutzte Schneider die Plattform auch für klare Statements zur finanziell angespannten Situation der privat betriebenen hanseatischen Theater. „Hamburg hat die größte Strahlkraft“ (Schneider) unter allen deutschen Städten. Die von städtischer Seite auch schon mal als „Leuchtturm“ bezeichnete Hamburger Privattheaterszene warte jedoch seit acht Jahren auf eine Erhöhung der Fördergelder. Der von einer unabhängigen Kommission im Auftrag der Kulturbehörde ermittelte Mehrbedarf von 2,7 Millionen Euro für 23 Bühnen von 2017/18 an sei „existenzsichernd“ und nicht für goldene Türklinken gedacht. Bisher will der Senat auf 1,5 Millionen Euro erhöhen, davon nur 500.000 Euro im ersten Jahr, 2018 dann eine Million Euro. „Ich möchte ein klares Bekenntnis der Hamburger Politik, dafür oder dagegen, aber kein Aussitzen“, sagte Schneider. Im Hintergrund wird offenbar nachverhandelt. Die Privattheatertage aber erhalten alljährlich etwa 500.000 Euro vom Bund.
Dass die dokumentarische Inszenierung „Auch Deutsche unter den Opfern“ den Monica Bleibtreu Preis als bestes Drama gewann, verwunderte nicht. Das Rechercheprojekt zum NSU von Tugsal Mogul will nicht bloß informieren oder unterhalten, es will aufrütteln. Die Zwei-Mann-eine-Frau-Produktion aus dem kleinen Zimmertheater in Tübingen ist ein hochaktuelles und gut gebautes Stück, das von den Zuschauern Haltung einfordert und die drei ausgesprochen motivierten Akteure Katrin Kaspar, Philipp Lind und Paul Schaeffer ebenfalls nicht aus ihrer Verantwortung entlässt. Das gefühlt nicht enden wollende Aufzählen rechtsmotivierter Straftaten in Deutschland geht unter die Haut, das offensiv dargestellte Versagen von Polizei und Verfassungsschutz schockiert. Vielleicht ist es Schneider möglich, diese gesellschaftlich notwendige Produktion zu weiteren Gastspielen nach Hamburg einzuladen. Obwohl „Auch Deutsche unter den Opfern“ (Regie: Sapir Heller) stellenweise ein wenig selbstbespiegelnd gerät, wünscht man dem Stück mehr Hamburger Publikum.
Diesmal besonders breit – und für die Hamburg-Jury dieser Sparte am schwierigsten zu bewerten – war das Spektrum der Komödie. Es reichte von Shakespeares mehr als 400 Jahre altem Werk „Was ihr wollt“ bis zur „Trennung für Feiglinge“, ein modernes Boulevardstück. Statt der als Favoriten gehandelten „Lieber schön“ von US-Autor Neil LaBute mit Oliver Mommsen und Tanja Wedhorn sowie der musikalischen Mundart-Komödie „Soul Kitchen“ (Ohnsorg), die auch im Altonaer Theater begeisterte, entschied sich die Jury für die klassische Komödie.
Mit „Was ihr wollt“ gewann das Wolfgang Borchert Theater aus Münster bei seiner fünften Teilnahme erstmals einen der begehrten, weiterhin undotierten Monica Bleibtreu Preise. Regisseur und Übersetzer Meinhard Zanger gelang es auch im Winterhuder Fährhaus vortrefflich, Shakespeares Liebeswirrwarr um die schiffbrüchigen Zwillinge Viola und Sebastian im Königreich Illyrien zu entstauben.
Wolfgang Borchert Theater spielte Komödie und Klassiker
Das zwölfköpfige Ensemble aus Münster spielte im Harburger Theater auch Schillers „Kabale und Liebe“. In der Kategorie Klassiker wurde jedoch eine weitere Shakespeare-Inszenierung für preiswürdig erachtet, die durchaus komödiantische Züge trägt: „Das Wintermärchen“, vom Forum Theater Stuttgart im Bergedorfer Haus im Park dargeboten, entpuppte sich in Dieter Nelles Regie als echte (Wieder-)Entdeckung. Die Romanze um jahrzehntelange Folgen von Eifersucht des Königs Leontes gegenüber seiner Ehefrau Hermione komprimiert er in drei Stunden.Den Publikumspreis gewann das Junge Theater Bonn: Lajos Wenzels Bühnenadaption des Romans „Supergute Tage“ gefiel prozentual gesehen den meisten Besuchern.