Hamburg. 25 Jahre lang stand sie auf der Bühne. Jetzt ist die Schauspielerin in der Jury bei den Privattheatertagen.
Bei der Inszenierung von „Auch Deutsche unter den Opfern“ anlässlich der Privattheatertage sitzt Renate Bleibtreu ruhig und hochkonzentriert im Zuschauerraum der Hamburger Kammerspiele. Muss sie auch. Sie hat schließlich eine Aufgabe. Gemeinsam mit zwei Kollegen ist sie Teil der Hamburg Jury in der Kategorie „(Zeitgenössisches) Drama“, die einen der vier nach ihrer Schwester Monica Bleibtreu benannten Preise vergibt.
Die 2009 gestorbene Hamburger Schauspielerin war bundesweit durch ihr Wirken auf der Bühne und im Fernsehen sehr populär. Was eher wenige wissen, ihre Schwester Renate Bleibtreu spielte auch. Beide entstammten einer Wiener Schauspielerdynastie, die über sechs Generationen bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Renate und Monica Bleibtreus Vater Renato Attilio Bleibtreu war Schriftsteller, Theaterautor und –direktor. Der Weg der Töchter schien vorgezeichnet.
Alles begann bei einem Karl-Valentin-Abend
Am Morgen nach der Vorstellung Treffen in den Kammerspielen. Renate Bleibtreu ist eine resolute zierliche Dame, der man ihre 74 Jahre nicht ansieht. Trotz Familientradition fand sie erst in ihren 30er-Jahren ans Theater. „Ich habe lange gezögert, weil ich durchaus gespürt habe, dass Spielen nicht unbedingt mein Element ist“, sagt Renate Bleibtreu. „Irgendwann gab es trotzdem kein Halten mehr.“ Eine Schauspielschule hat sie nie besucht. Auch weil ihr der literarische Anteil an der Schauspielkunst immer am Herzen lag, wählte sie den Umweg über eine Dramaturgiehospitanz am Kieler Schauspielhaus.
Bei einem bunten Abend anlässlich eines Intendantenwechsels stand sie auf einmal als Kabarettistin Liesl Karlstadt bei einem Karl Valentin-Abend auf der Bühne. Das kam an. Als später eine Schauspielerin in Roger Vitracs „Viktor oder die Kinder an die Macht“ ausfiel, erlernte sie die Rolle der Esther innerhalb von drei Tagen. Damit war sie festes Ensemblemitglied.
25 Jahre lang spielte sie an verschiedenen Theatern, an der Schaubühne Berlin mit Klaus Michael Grüber, in Bochum unter Intendant Claus Peymann mit Niels-Peter Rudolph, außerdem in Göttingen, Konstanz, Nürnberg. Doch die Dinge veränderten sich . „Es ist ein gut verhülltes Geheimnis, dass man als Frau in dem Beruf nicht ins Rentenalter gelangt, weil einfach keine Rollen mehr da sind“, sagt Renate Bleibtreu. „Das Bittere daran ist, dass man droht, diesen Lebensraum Theater zu verlieren. Das tut unendlich weh.“
Bleibtreu fand einen eigenen Weg, baute ihre Liebe zur Literatur aus und wurde Übersetzerin. Angeregt durch eine Filmbegegnung mit einem Ingmar-Bergman-Schauspieler erlernte sie Schwedisch, erwarb notwendiges Wissen als Gasthörerin an der Universität und gab später Handschriften von August Strindberg und Werke von Ingmar Bergman heraus, der sein Archiv für sie öffnete.
„Ich tue genau das, was mich am Theater am meisten fasziniert hat“, sagt Renate Bleibtreu. „Schon als junges Mädchen dachte ich, die Dichter brauchen jemanden, der sie versteht und das bin ich. Das war immer mein Zugang.“ Ein Glücksfall für Bleibtreu. „Ich habe das Theater nicht verloren.“ Auch deshalb nicht, weil natürlich ihre Tochter Anja Rossmann ebenfalls Schauspielerin ist. Genauso wie Monica Bleibtreus Sohn Moritz, den sie als unglaublich verspieltes, fantasievolles und witziges Kind beschreibt.
Die Theaterleidenschaft teilte sie mit ihrer Schwester Monica, wobei die Schwestern sehr verschieden waren. „Wir haben uns in einer enormen Spannung befunden, aber wacker gekämpft und nicht losgelassen“, sagt Renate Bleibtreu. „Wir waren die besten Kolleginnen. Es gab ein großes beiderseitiges Interesse, viel Respekt und Neugierde. Sie ist in meine Vorstellungen gekommen und ich in ihre.“
Nächtelang saßen sie in Kneipen zusammen und diskutierten über das Geheimnis der Schauspielkunst. „Dass man einen Preis nach ihr benennt, hätte sie sehr gefreut, vor allem weil wir mit Privattheater groß geworden sind und ihr das auch bis zuletzt neben dem Fernsehen bei ihren Engagements wichtig war“, so Bleibtreu.
Ins Theater geht sie weiterhin regelmäßig, in Stadttheater genauso wie in Privattheater, in Hamburg, Berlin, Salzburg oder Wien. Sie empfindet es als eine Ehre, nach 2014 wo sie bereits in der Jury der Kategorie „(Moderner) Klassiker“ mitwirkte, erneut in die Jury berufen worden zu sein. „Das ist ungeheuer interessant, auch eine große Verantwortung“, sagt sie. Sie genießt die Diskussionen, die die Stücke und ihre Themen anregen. „Die Privattheater sind unterschätzt und zwar schwer. Das ist natürlich auch eine Frage des Geldes“, sagt Renate Bleibtreu. „Weil sie nicht so sehr im Pressefokus stehen, haben sie dennoch auf der anderen Seite eine größere Freiheit zu sagen, wir nehmen uns einfach mal ein Thema vor, weil es uns interessiert.“
Heute ist Renate Bleibtreu froh, unten zu sitzen und nicht mehr oben stehen zu müssen. Aber, und das zeigt ihr Beispiel, das Theater lässt sich ja von verschiedenen Warten aus erleben.
Privattheatertage bis 3.7., verschiedene Spielorte, Karten zu 9,- bis 29,- Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, HA-Ticket-Hotline T. 30 30 98 98