New York. Das Reeperbahn Festival präsentierte sich am Big Apple. Und natürlich ging es in diesen Tagen in New York um eines: das Geschäft.
Überraschend entspannt sitzt Alexander Schulz, Chef des Hamburger Reeperbahn Festivals, in der Lobby des East Side Marriott Hotels in Manhattan. Dicke Teppiche schlucken den Soundtrack New Yorks, den die Lexington Avenue draußen produziert: Sirenen, Hupen, der stete Laut der Stadt. Schulz ist erst vor wenigen Stunden gelandet, allerdings ohne seinen Koffer. Der liegt irgendwo auf halber transatlantischer Strecke, vermutlich in Island. „Ich gehe gleich erst mal einkaufen, damit ich nachher nicht in meiner Flugjeans auf dem Podium sitze“, sagt er und grinst.
Gemeinsam mit Experten aus der US-Popbranche wird Schulz über die Vermarktung mitgefilmter Konzerte sprechen. Ein wachsender Markt in Zeiten, in denen Live-Auftritte mehr Geld einbringen als die Verkäufe von Tonträgern. Und darum geht es in diesen Tagen in New York: ums Geschäft. „There’s No Business Like Show Business.“ Diese Redensart drängt sich auf. Denn erstmals besucht eine europäische Delegation unter der Dachmarke des Reeperbahn Festivals die sogenannte Indie Week der American Association Of Independent Music, kurz A2IM. Und wenn sich der größte Musikwirtschaftsverband Nordamerikas versammelt, ist das in der Regel eine recht exklusive Sache. Das Land ist groß. Das Interesse, internationale Konkurrenz einzuladen, ist – vorsichtig formuliert – nicht oberste Priorität. Es ist also ein echter Coup, dass das Reeperbahn Festival mit gut 20 Musikmanagern, Labelbetreibern, Veranstaltern, Promotern sowie Vertretern von Musik-Export-Büros aus Deutschland, Schweden, der Schweiz und Lettland anreisen konnte, um Einblick und Einlass in den größten Unterhaltungsmarkt der Welt zu erhalten.
Es geht um Einlass in den größten Unterhaltungsmarkt
„Das Reeperbahn Festival hat uns angesprochen. Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander entwickelt und vertrauen dem Team“, sagt A2IM-Chef Richard James Burgess, ein drahtiger Mann mit wachen Augen, der selbst eine Zeit lang in Hamburg gelebt hat. „Ich war sehr enttäuscht, als die Musikindustrie in den 90ern nach Berlin gezogen ist, aber ich bin froh, dass sich die Branche in Hamburg nun revitalisiert.“ Burgess sieht für seine Firmen großes Potenzial darin, das Reeperbahn Festival als Handelsbörse zu nutzen. Die Verbindung ist also keineswegs eine Einbahnstraße. Doch zunächst gilt es für die Festival-Delegation, es in New York zu schaffen. Oder zumindest einen Fuß in die Tür zu bekommen.
„Das hier ist der wohl beste Ort in den USA, um so konzentriert Entscheider aus der Pop-Branche zu treffen. Also macht das Beste daraus“, bläut Paul Cheetham den Delegierten beim ersten Treffen ein. Der Brite mit dem unüberhörbaren Akzent seiner Heimatstadt Sheffield arbeitet seit zwei Jahren als internationaler Projektmanager für das Reeperbahn Festival. Er reist nach Tokio, Seoul und L.A., um die Hamburger Club-Sause rund um den Globus bekannt zu machen – und zwar nicht nur als Ort, an dem Musik-Fans an vier Tagen geballt Newcomer-Acts erleben können, sondern vor allem als Marktplatz in Sachen Pop für Europa. Dementsprechend beschäftigt ist er in New York. Wer ihn sieht, sieht ihn reden, Hände schütteln, gestikulieren. Immer wieder überreicht er einen der Rabatt-Gutscheine, mit denen Pop-Geschäftsleute für 150 statt 230 Euro am Business-Teil des Reeperbahn Festivals im Herbst 2016 teilnehmen können. Theoretische Kärrnerarbeit, um die Praxis zu stärken, um das Festival „gesund wachsen zu lassen“, wie Cheetham betont.
All diese Anbahnungsgespräche finden in kürzester Zeit und hoch konzentriert statt, in sogenannten „One-on-One Meetings“. Zehn Minuten Speeddating mit potenziellen Partnern. Dabei scheinen die Show, der Glamour, der Rock ’n’ Roll und das gute wilde Leben zunächst so abwesend zu sein wie die Hitze der Stadt, die im Tagungshotel von der stetig summenden Klimaanlage eliminiert wird. Die insgesamt knapp 800 A2IM-Teilnehmer sitzen in Konferenzräumen an vielen kleinen Tischen, von denen Fragen, Verkaufsargumente, Hoffnungen aufsteigen. Sie erschaffen den „Buzz“, wie der Amerikaner sagt. Das Brummen, den Hype. Vielen Menschen jedoch, die den großen „Indie Week“-Pass um den Hals hängen haben, ist die Liebe zum Rock-Lifestyle – zum Glück – dann doch anzusehen. Da sind die Langhaarigen und die Typen im Retro-Anzug, die Frau mit den pinkfarbenen Haaren und eine andere in Biker-Stiefeln. „Solche Speedmeetings mache ich zum ersten Mal. Das ist richtig super. Du kannst den ganzen Small Talk weglassen und direkt zum Wesentlichen kommen. Ich knüpfe hier sehr viele wichtige Kontakte, damit hätte ich in der Intensität gar nicht gerechnet“, sagt Tobias Lampe, der für die Hamburger Firma Superstition Entertainment arbeitet. Für Künstler wie den Electro-Komponisten Trentemöller sucht er Kompagnons, die die Musik in den USA vertreiben und promoten.
„Ich trichtere mir hier vor allem Wissen ein, dass ich dann zu Hause weitergebe. Außerdem will ich dabei sein, wenn das Reeperbahn Festival in New York etwas Neues aufbaut“, sagt Jean Zuber, der das Schweizer Export-Büro für Musik leitet. Seine Augen leuchten, aber sein Blick ist auch schon leicht flackernd angesichts der Mixtur aus Jetlag und Daueraustausch. Gut, dass es an den Abenden mit der Delegation hinausgeht in die Stadt. Klassenfahrt-Feeling im Big Apple.
Angeführt wird die Gruppe von einem waschechten New Yorker: Kodi McKinney, ein bäriger sowie grundfreundlicher Typ, dessen Agentur Marauder für das Reeperbahn Festival ein großes Konzert während der Indie Week organisiert. Unterwegs zum offiziellen A2IM-Empfang in einem Club downtown wird die Delegation im wahrsten Sinne des Wortes zusammengeschweißt. Denn in der New Yorker Subway zu Feierabend an einem hochsommerlichen Tag lernen sich alle hautnah kennen – ob gewollt oder nicht. Drangvolle Enge auch in der dunklen, schicken Location. Der Gesprächsgeräuschpegel ist auf normalem New Yorker Level, also unfassbar laut. Die Kontaktiererei hört nicht auf, wird von Brooklyn Lager und Gin Tonic befeuert.
Wesentlich luftiger geht es da am zweiten Abend zu. Das norwegische Konsulat hat einige Indie-Week-Teilnehmer auf die Dachterrasse seines Penthouses mitten in Manhattan geladen. Der Blick schweift über den East River bis nach Queens, vorbei am Uno-Gebäude, hin zum silber glänzenden Chrysler Building. Und dann – endlich – echte Musik: Der norwegische Singer-Songwriter Sondre Lerche steigt auf einen Tisch und schickt eine Handvoll seiner herzzerreißenden Lieder über das atemberaubende Panorama. „Das ist absolut toll. An dieser Einladung sieht man erneut, wie wichtig es den skandinavischen Ländern ist, Musik zu unterstützen“, schwärmt Oke Göttlich.
Als Chef des digitalen Musikvertriebs finetunes ist der 40-jährige Hamburger nicht Teil der Reeperbahn-Festival-Delegation, sondern bereits zum fünften Mal auf der A2IM-Versammlung, um seine Firma nach vorne zu bringen. Nebenbei bleibt als Vereinspräsident des FC St. Pauli aber auch noch Zeit, bei den East River Pirates vorbeizuschauen, den in Brooklyn ansässigen Freunden der Kiez-Kicker – und das am liebsten per Fahrrad. Die Welt gehört den Mutigen.
Eine risikofreudige Pioniertat leistet sich am dritten Abend auch das Reeperbahn Festival. Das erste Mal in der Geschichte der Indie Week geht neben all den Panels, Diskussionen und Meetings ein Live-Konzertabend über die Bühne – mit sechs Acts, die das bunt gemischte Flair des Reeperbahn Festivals vermitteln sollen. „Reeperbahn Tonight“ steht in schwarzen Lettern auf weißem Grund auf dem Vordach des Gramercy Theatre, gelegen an der 23rd Street zwischen einem Candystore und einer Bude für Pizzastücke zu zwei Dollar. Das vor fast 80 Jahren erbaute Haus besitzt im Innern einen wunderbar abgeblätterten Charme. Ein wenig Kiez-Atmosphäre in New York.
Doch bevor Künstler wie der junge Münchner Blues-Barde Jesper Munk oder der schwedische Rapper Rebstar die Bandbreite des europäischen Sounds zum Klingen bringen, hat das Reeperbahn Festival Messe-Besucher und Medien zum Empfang in die plüschige Kellerbar des Theaters geladen. Markenpflege bei Bier und Burgern. Alexander Schulz schaut zufrieden umher, gibt Interviews und betont, dass er kommendes Jahr gerne mit einer größeren Delegation wiederkehren will.
Unter den Gästen ist auch Andrea DaSilva, beim US-Wirtschaftsministerium zuständig für die Unterhaltungsbranche und ausgestattet mit jener energischen Euphorie, wie sie wohl nur Amerikaner besitzen können. „I love Reeperbahn!“, ruft sie sofort und strahlt. Im vergangenen Jahr hatte sie gemeinsam mit einer US-Delegation der A2IM erstmals das Festival auf St. Pauli besucht – und ist voll des Lobes. „Toll organisiert, einfach zu navigieren, und die Leute sind extrem freundlich“, sagt DaSilva. „Ich hatte wirklich das Gefühl, dass Hamburg eine Musikstadt ist – so wie New York oder Nashville.“ Auch für kommenden Herbst wird die US-Regierung daher amerikanische Musikfirmen unterstützen, die geschäftlich zum Reeperbahn Festival reisen möchten.
Die Bedeutung, die das Hamburger Pop-Event seit seiner Gründung 2006 erlangt hat, hat auch die Bundesregierung erkannt und die New-York-Edition mit 130.000 Euro unterstützt. „Das Auswärtige Amt begrüßt ausdrücklich, dass das Reeperbahn Festival europäische Partner als Teil der Delegation mitnimmt. Damit wird ein sichtbares Signal für Hamburg als weltoffene europäische Kulturmetropole und wichtiger Musik-Standort gesetzt“, erklärte ein Sprecher vorab. Doch fern aller taktischen Überlegungen geht es dann letztlich doch um das Gefühl, das gute Lieder auslösen können. Etwa wenn die Berliner Band Malky ihren souligen Folk-Song „Lampedusa“ vorträgt. „Isch liebä disch“, ruft eine Frau aus dem Publikum Sänger Daniel Stoyanov zu. Mit seinem Gitarristen bricht der später noch zu einem Spontan-Auftritt im Madison Square Park auf. „Diese Stadt ist echt eine Ansage“, sagt er, lächelt und beginnt zu singen. Die Nacht ist lau, die Sirenen heulen, die Menschen lauschen. Und was bleibt, ist die Musik.
Die Reise wurde unterstützt von der
Reeperbahn Festival GbR.