Hamburg. Sein Club Hasenschaukel schließt. Jetzt hat Boerue unter dem Pseudonym Tan LeRacoon ein wunderbares Folkpop-Album herausgebracht.

Es gibt Menschen, die sind Rückgrat und Seele der Hamburger Musikszene, ohne großes Aufheben darum zu machen. Tanju Boerue ist ein solcher Mensch. Charmant, zurückhaltend, unbedingt leidenschaftlich. Zudem hat der 49-Jährige eine Biografie, die so mancher Künstler flugs fingerleckend für Literatur, Theater und Film ausgeschlachtet hätte. Doch Boerue möchte vor allem Musik machen.

Soeben hat er unter dem Pseudonym Tan LeRacoon das wunderbar raue, poetische Folkpop-Album „Dangerously Close To Love“ veröffentlicht, auf dem er Mike Love von den Beach Boys ebenso besingt wie seine Sympathie für Schweden und die Liebe mit all ihren Unsicherheiten und Happy-Endings. Doch wer sich mit Boerue unterhält, der erhält keinen Musiker-Fachvortrag, sondern vielmehr eine Ahnung davon, wie gelebter Punk aussehen kann. Das Prinzip des Do-it-Yourself, des „Einfach machen“ jedenfalls zieht sich durch sein bisheriges Leben wie ein mal verschlungener, mal zerfetzter, aber immer leuchtend roter Faden.

Boerue eröffnete die Bar 2004 mit Anja Büchel

Und gerade weil Boerue bisher so viele Situationen und Stationen auf seinem Weg zugelassen hat, sitzt er nun einerseits traurig, andererseits mit optimistischer Gelassenheit in der Hasenschaukel, eben jener Bar, die er 2004 mit Anja Büchel eröffnet hat. Und die beide nun Ende Mai aus privaten Gründen schließen. Wer all die Musik-affinen Berufe kennt, die Boerue ausübt, hat sich ohnehin gefragt, wann und wie er die Kiezkneipe mit ihrem erlesenen Singer-Songwriter-Programm überhaupt noch bewirtschaftet hat.

In der spleenigen Schaukel mit ihren Puppenlampen und Tiertapeten auf der Toilette wirkt Boerue mit seinen wilden dunklen Locken und dem verschmitzten Grinsen wie ein gut ausgesuchtes Stück Interieur. Er hängt sein schwarzes Samtjacket über die altrosa-farbene Sitzbank, tischt dann Kaffee und Gurkenlimonade auf. Der Betrieb startet erst am Abend. Noch zieht der Kiez-Vormittag grau am Fenster vorüber. Zeit zum Erzählen.

Liebe zum Punk entstand Ende der 70er-Jahre

„Mein Körper braucht Musik. Muss sie hören. Und machen. Auch, um den Zorn loszuwerden“, erzählt Boerue. Musik, so führt er weiter aus, bewahre ihn davor, nicht auszuflippen, zu resignieren, zu verzweifeln. Stattdessen schreibt er dann einen fragil tönenden Song wie „Oh Me Oh My, ­Death Is Overrated“, in dem er Krankheits- und Todesfälle in seinem Umfeld verarbeitet. „Der Song floss so heraus. Das ist ein Geschenk“, sagt er ganz ruhig und lächelt. Boerue ist einer, der sich viel auf die Eigendynamik der Dinge verlässt. Der der Schönheit ebenso die Tür öffnet wie der Dunkelheit.

Seine Liebe zum Punk entdeckte er, als er Ende der 70er-Jahre den Briten Chris Spedding mit seiner Nummer „Pogo Dancing“ im Musikladen erlebte. Sein Bruder brachte kurz darauf Platten von Bands wie The Clash und Radio Birdman aus London mit in den Hamburger Osten, wo die Familie lebte. Doch obwohl Boerue bald begann, seine Punk-Passion in Fan-Magazinen niederzuschreiben und Mitte der 80er-Jahre selbst an die Themse zog, blieb er geschmacklich stets weit offen. „Von den Beatles zu den Sex Pistols und von den Rolling Stones zu den Ramones ist es kein so großer Schritt“, sagt er.

Leben in New York und Los Angeles

Im Gegensatz zu so manchem Dorfpunk, für den Hamburg das große Ziel bedeutete, hat Boerue, wenn man so will, das volle pop-historische Programm mitgemacht. Bei seinem ersten New-York-Besuch Ende der 1980er-Jahre übernachtete er direkt im legendären Chelsea-Hotel, wo er am dritten Tag bereits eine Band gründete. Und blieb. Es passieren ließ.

„New York saugt einen ein. Da fließt etwas, das die Seele beeinflusst. Damals war die Stadt allerdings auch ziemlich gestorben“, erinnert sich Boerue. Inspirierende Zeiten, anstrengende Zeiten. Boerue machte weiter. Er ist keiner, der stark an Orten festhält, eher an Ideen, Haltungen, Menschen. In Hamburg spielte er in diversen Bands, ging dann nach Los Angeles, wo er nach Veränderung suchte. Und sie im künstlerischen Umfeld von Hippieguru Timothy Leary fand. Boerue schrieb damals Gedichte, die er in kleinen Bänden verteilte. Leary las sie und bestärkte ihn, einen Roman zu schreiben.

Musikmanager, Tourbegleiter und Promoter

„Leary stellte mir einen Raum zur Verfügung. Ein ganz großer Typ“, erzählt Boerue – aber ohne Prahlerei, sondern mit der gleichen Achtung, mit der er auch über sein Barpersonal oder die Mitmusiker seiner neuen Live-Band spricht. Der Vinyl-Sammler Boerue, der auch sein neues Album im fein gestalteten Großformat herausgebracht hat, erbte von Timothy Leary kurz vor dessen Tod 1996 eine Ray-Charles-Platte.

Und so wie er in dem US-Psychologen einen Mentor fand, unterstützt er auch selbst Menschen, an die er glaubt. Seit Jahren ist er als Musikmanager, Tourbegleiter und Promoter gefragt – von Electro-Heroen wie Kruder & Dorfmeister über Rock-Acts wie die Jon Spencer Blues Explosion bis hin zu Folk-Barden wie José Gonzalez.

„Ich helfe den Leuten, denen ich helfen will. Wenn ich etwas nicht mag, kann ich das auch nicht machen“, erläutert Boerue, der bereits als Teenager erste Konzerte für Freunde in einem Jugendclub in St. Georg organisierte. Heute verantwortet er für das Reeperbahn Festival die gesamte Produktion. Sprich: Er sorgt dafür, dass alle Auftritte reibungslos über die Bühnen der Hamburger Clubs gehen können. Da mischt sich dann auch reichlich Akkuratesse in das Punk-Prinzip des „Einfach machen“.

Tan LeRacoon „Dangerously Close To Love“, Tan U Sound/Cargo Records (Vinyl + digit. Download); live: Reeperbahn Festival (21.–24.9.)