Hamburg. Christof Loys Inszenierung von Richard Strauss’ selten gespieltem Spätwerk „Daphne“ hatte Premiere an der Staatsoper.

    Im Ausblenden ist diese Inszenierung lange groß und böse. Denn tatsächlich, geradezu aktenkundig gezeigt wird zunächst nur wenig von dem, was in diesem fast blickdicht verbretterten Ignoranten­stadl los ist. Was mies und frauenfeindlich aus dem Ruder lief und dennoch zur „A Hund isser scho“-Tradition verklumpte: Derbe bayerische Bauernrüpel in Lederhosen quetschen sich hackedicht in die Rollen der mythologisch verfeinerten Griechen aus der Plotvorlage, das dionysische Fest wird mit Bier druckbetankt statt mit Wein zelebriert. Gsuffa und geschnackselt wird auch nicht vor sagenhaft idyllischer Kulisse am Fuße des hellenischen Bergs Olymp, sondern irgendwo im Nirgendwo in der Voralpenprovinz, wo die tumben Herren der Schöpfung in Rudeln unterwegs sind. Und wenn da mal welche ausrasten, werden sie eben wie geile Rüden an lange Leinen gelegt.

    Nichts vom Vorspiel zu diesem Elend ist auf der kargen Bühne zu sehen, einzig eine Bretterverschlagtür öffnet sich hin und wieder, doch dahinter geht es offenbar noch rabiater zu. Details wie die Routine, mit der hier ein junges Mädchen erwachsene Männer auszieht, sprechen Bände.

    Diese Tür also öffnet sich zu Beginn von Christof Loys „Daphne“-Inszenierung, heraus tritt eine verloren gegangene Seele. Daphne, gut nur mit ihren kleinen Topfpflanzen, denn Grün ist hier nicht die Hoffnung, sondern die Keuschheit. Eingeschüchterte Servicekraft statt ätherische Fischerstochter ist sie, isoliert in dieser Welt, mit einer Mutter geschlagen, die ihren Promillepegel mit der Schnapspulle ausbalanciert und sich ansonsten lieber raushält. Und mit einem Vater, Gastwirt und damit der wichtigste Drogendealer im Kaff, den eh nichts mehr kümmert. Hanna Schwarz singt Gaea mit angemessen verlebter Stimme, die bis in zappendusterste Alt-Lage sackt, Wilhelm Schwinghammer als Peneios singt, was er soll.

    Agneta Eichenholz hingegen singt, spielt, verkörpert diese Daphne, die hier verdorrt und emotional vertrocknet, mit schmerzerfüllter Intensität und einem jugendlichen Heldinnensopran, der die nötige Kondition hat, die nötige Tiefe und unverkrampfte Klarheit. Sie ist das schwarze Loch, alles Elend ihrer Welt anziehend wie Motten das Licht, und sie steigert sich beeindruckend in den wahnsinnigen Rausch ihrer hochvirtuosen Partie ­hinein, die mit den bekannteren Titel-Frauenrollen von Strauss durchaus mithalten kann. Eichenholz ist Stamm-Star in Loys Produktionen, diese vertraute Nähe sieht man in der Personenführung.

    Daphne wird es auch sein, für die sich Loy, einer der selteneren Regie-Gäste an der Hamburgischen Staatsoper, eine Kurz-vor-Schluss-Wendung ausgedacht hat, die so nicht im Libretto steht: Nicht der ins Allzumenschliche hinabgestiegene Apollo, Gott des Lichts, bringt Daphnes Jugendfreund Leukippos um – Daphne selbst ersticht Leukippos, mit einer von Apollo geführten Hand, bevor sie wahnsinnig, in einen Lorbeer verwandelt und auf den Olymp umgetopft wird.

    Loy hat Strauss’ Spätwerk „Daphne“, das wegen der spröde verschwurbelt erzählten Geschichte und trotz der musikalischen Überfülle als undankbar-renitentes Sorgenkind im Werk­katalog gilt, klug und provokant hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt. Nachdem seine Vorgängerin Simone Young das Stück vor acht Jahren lediglich konzertant und damit letztlich halbherzig brachte, stellte Intendant Georges Delnon nun jene komplette Version auf die Bühne, die vor mehr als einem Jahr am Theater Basel Premiere hatte, Delnons Wirkungsstätte vor dem Wechsel an die Dammtorstraße.

    Für Loy ist „Daphne“ ein Stück des melancholischen Abschieds von der Wirklichkeit, für Daphne ebenso wie für den greisen Strauss, der sich 1938 vor seinen oft sehr nahen Umgang mit dem NS-Regime in eine mythologische Gegenwelt träumte, in der es noch Gutes, Schönes, Wahres geben durfte.

    So interessant der andere Denk­ansatz Loys war, die Geschichte von innen heraus neu zu denken, so brüchig wurde dieses Konzept allerdings beim szenischen Umgang mit den beiden hoffnungslos verliebten Tenören dieses Stücks. Der eine, Leukippos (Peter ­Lodahl: solide, aber nicht überwältigend), bekommt zur Verstärkung seines Wunschs, ihr nah sein zu können, gleich ein Daphne-Double-Dirndl verpasst, was dann doch wie eine tiefenpsychologisierende Drehung zu viel wirkt. Der andere, Apollo (Eric Cutler: prächtiger und voluminöser), stapft wie ein Freischütz, der sich ins falsche Stück verlaufen hat, mit Armbrust ins Geschehen. Er kann oder darf nicht zeigen, warum Daphne bei und wegen ihm schwach zu werden droht.

    Schade auch, dass Dirigent Michael Boder erst in der zweiten Hälfte des handlichen Opernabends (knapp zwei Stunden mit Längen trotz der Kürze, viel, aber nicht allzu euphorischer Beifall) entdeckte und entdecken ließ, wie feinfarbig und klangmalerisch Strauss’ Orchestersatz auf seine alten Tage war. Strauss wollte niemandem außer sich selbst beweisen, was er noch konnte. Bis es in der Premiere so weit kommen durfte, wurde mittelschöner Strauss nach Vorschrift abgeliefert. Strauss, der nicht verführerisch duftete, sondern verbindlich roch und trotz des guten Orchesters unterhalb der Möglichkeiten blieb. Das gab sich immerhin im Finale, in der Verwandlungs- und Mondlichtmusik, die jedes Warten auf Überwältigung im Halbdunkel lohnt.

    Weitere Termine: 8./11./16./19./23.6., Staatsoper, Karten (7 bis 176 ,-) unter T. 35 68 68