Hamburg . Rock-Ikone Iggy Pop gab gemeinsam mit Josh Homme ein epochales Konzert im ausverkauften Mehr! Theater am Großmarkt

    Mit Schamanengesängen aus dem Off fängt es an. Als sich der Vorhang senkt, stehen da allerdings vier Männer samt Schlagzeuger in roten Dinnerjackets wie aus dem Ei gepellt. Und dann wirbelt er auch schon herein. Mit fliegenden Haaren und wankendem Schritt – Hüfte und Nacken wollen nicht mehr.

    Der Rest aber ist voll da. Iggy Pop hat „Lust For Life“ und startet mit dem Klassiker sein epochales, verschwenderisches Zweistundenset. Das ausverkaufte Mehr! Theater am Großmarkt liegt der 69 Jahre alten Punk-Ikone auf der „Post Pop Depression Tour“ sofort zu Füßen, ein Publikum nach seinem Geschmack. „Hi“, sagt er ein ums andere Mal, grinst in die Menge, sendet verführerische Blicke, lässt sich auf Händen tragen und bittet um Saallicht. Er will wissen, mit wem er es zu tun hat.

    Mit ihm arbeitet sich eine enorme Lässigkeit an den Tag legende Allstar-Band an ihren Instrumenten ab: Josh Homme, bekannt durch die beste aller Stonerrockbands, die Queens Of The Stone Age, an der Wüsten-Gitarre, am Schlagzeug Matt Helders von den Arctic Monkeys, am Bass Matt Sweeney, der schon mit Dave Grohl (Foo Fighters) gearbeitet hat. Dazu kommen Dean Fertita (Keyboard, Gitarre) und Troy Van Leeuwen (Gitarre), beide von Queens Of The Stone Age. Ein kongeniales Band-Monster. Mit Akkuratesse zwirbeln die Musiker die kurzatmigen Rockopern aus Iggy Pops und Josh Hommes weisem, aber keineswegs mildem Alterswerk „Post Pop Depression“ auf die Bühne.

    Da gibt es „Gardenia“, diese wunderbar ironische Liebesode, in der der Erzähler von seiner Angebeteten träumt, aber es läuft nichts mehr. Ein kurzes Aufbegehren gegen das Altern und die mit ihm einher gehenden Einbußen, aber auch ein Song über nicht versiegende Sehnsucht. Iggy Pop gibt auf der Bühne noch immer den rotzigen, aber stilvollen Liebesvagabunden. Das Sakko über der abenteuerlich entblößten ledernen Brust fällt schnell. Die tiefe, immer noch sinnliche Stimme, porös von all den Lebensspuren, hat an Glaubwürdigkeit nichts eingebüßt. Der schwere, stahlgerade Sound wird deutlich von Josh Homme bestimmt, als Arrangeur sorgt er für den trockenen, scharfkantigem Bass, die strengen Melodien, durchkreuzt von ein paar verwegen zirpenden Gitarrenlicks in schönen Soli.

    Wer hätte geglaubt, dass diese Band einen Song wie „Sunday“ ausbrüten könnte, einen furiosen Trauermarsch, der mit saftigen Bläsern und Streichern endet. Oder eine so grandiose Ode wie „Chocolate Drops“ mit rumpelnden Rhythmen und einem Herzschmerz-Text zum Niederknien. Mit dem Album hat sich allerdings auch die Endlichkeit eingeschlichen in die Kunst des Iggy Pop. Unsentimental, wütend, aufbegehrend. Zum Beispiel in „American Walhalla“: „Death Is A Hard Pill To Swallow“ (Der Tod ist eine bittere Pille). Kein Stooges-Song erklingt, dafür neben dem neuen Meisterwerk und „Repo Man“ nur erstklassiges Liedgut seiner finsteren Erfolgsalben der 1970er-Jahre „Lust For Life“ und „The Idiot“. Etwa das somnambule „Nightclubbing“, natürlich „German Days“, „Tonight“ und das einzigartige Liebeslied „China Girl“, das David Bowie einst für Pop schrieb, bevor seine eigene Version ihn zum Star machte.

    Überhaupt ist der im Januar mit 69 viel zu früh gestorbene Bowie sehr präsent an diesem Abend. Beide Iggy-Pop-Alben hatte er in den Berliner Hansa-Studios produziert. Und wenn am Ende des regulären Sets „The Passenger“ erklingt, grölen Jung und Alt im Saal „Lalalalalalalala“.

    Heute ist Iggy Pop, der als James Newell Osterberg in einer Wohnwagensiedlung in Michigan groß wurde, nicht nur der letzte Überlebende seiner Band The Stooges, die Ende der 1960er-Jahre mit ihrem rohen Punk eine musikalische Revolution auslöste, sondern einer der letzten Rock-Dinosaurier überhaupt. Berauschende Substanzen braucht er lange nicht mehr, er hat ja die Musik. Vielleicht gönnt er sich inzwischen sogar ab und zu eine Runde Golf an seinem Altersruhesitz Florida.

    22 Songs und zwei Stunden Rock-Schweiß später kommt Pop ein ums andere Mal auf die Bühne, nimmt Ovationen entgegen und verteilt Kusshände.

    Es fällt schwer zu glauben, dass der Godfather Of Punk-Rock bei soviel neu gefundener Energie und Weisheit hier seinen Abschied gefeiert haben soll. Der Punk stirbt schließlich nie.