Das Haus am Spielbudenplatz feiert am Montag 175. Geburtstag. Schauspieler Burghart Klaußner über ein Theater, das ihm am Herzen liegt.
Natürlich sind es am Theater immer die Menschen, die ein Haus prägen. Aber auch die Architektur bleibt ein Stempel, den man als Spieler zu spüren bekommt. Im Schauspielhaus mit Putten, Engeln, Gold und Stuck mag es die Überfülle des Erzählens sein, im Thalia, dem Getäfelten, das manchmal verschwörerisch, diskret Gemeinsame, im St. Pauli Theater ist es halt der glutrot leuchtende, der warme Schoß.
Ein Blick von jener Bühne dort ist ja vor allem davon fasziniert, wie dicht man hier bis unters Dach mit anderen zusammenhockt.
Und was heißt das nun fürs Spielen hier? Na was wohl: Man sitzt mit dem Schoß im Schoß aufm Schoß.
Wie sich das anfühlt konnte ich Anfang der 80er-Jahre erfahren, als ich, frisch in Hamburg, das erste Mal damals ins Theater ging. Christa Siems war meine Taufpatin, und sie spielte „Die Kartoffelkönigin“. Ein erstklassiges Stück deutscher Schrebergartendramatik, gleich hinter der „Zitronenjette“.
Eine laute, selbstbewusste, beinah kugelrunde Hauptdarstellerin, die mit Verve, Witz und Herz dem Publikum im hamburgischen Tonfall einzuleuchten wusste. Und so auch mir und meinen Freunden vom Schauspielhaus, die wir auf der Suche nach dem Ursprünglichen waren.
Noch gab es keine Szene, keinen Corny Littmann und kein Schmidt Theater, und das St. Pauli Theater war, als wär es immer dagewesen. Aber hinterm Haus an der Kastanienallee gab’s einen Keller, hier spielte ein älterer, sehr komischer Mann allabendlich die ersten, vor allem homoerotisch geprägten Stücke einer neuen Zeit. „Für das Bühnenbild bedanken wir uns bei der städtischen Müllabfuhr“, hieß es, und wer noch weiß, wie er nun hieß, der melde sich bei mir.
Nach tollen Kammerspiele-Jahren gingen meine Freunde Ulli (Waller) und Ulli (Tukur) auf den Kiez, weil ein neuer Freund, Thomas Collien, aus ältestem Hamburger Theateradel, so mutig war, mit diesen beiden Quiddjes sein Haus erneuern zu wollen.
Ich betrat das Theater also wieder, doch diesmal durch die Hintertür, die den Angehörigen dieses Traumschiffs vorbehalten ist. Und siehe da, auch hier saß jeder jedem auf dem Schoß! Komischerweise hatte ich als Zuschauer im warmen Rot des Pauli-Saals gedacht, dort oben, hinten auf der Bühne, sei so viel Platz, wie vornerum. Stattdessen sind’s vom Hinterhof nur 14 Schritte bis zur Bühne, und unterwegs passiert man noch Toilette und Garderoben. Dann steht man auf dem Nudelbrett und stößt sich gleich an der Schwärze, hält inne, um sich zu gewöhnen, staunt über die Beengtheit und fühlt doch zugleich auch, wie weit, auf dieser Bühne, uns die Zeit zurückzutragen scheint.
Von 1841 bis jetzt: ein Katzensprung. Ein handgemachtes Spiel bis heute, wozu Technik? Vom Biedermeier bis zu Merkel: Die Bretter ächzen, aber sie brechen nicht. Und wenn dann doch die S-Bahn alle fünf Minuten die Bühne zu erschüttern weiß, ist man im Heute wieder angekommen und staunt, wenn dann der Vorhang wieder hochgeht, wie fein dosiert und nicht nur grob hier Spielen möglich ist.
Ich habe Momente im St. Pauli Theater erlebt, die, was gemeinsames Stecknadelfallenhören betreffen, einzig waren. Im „Handlungsreisenden“ auf dieser Bühne hier zu sterben, war eine Köstlichkeit. Dann wird es Licht, dann stehst du auf, verbeugst dich, ab.
Im Aufenthaltsraum von vielleicht zwölf Quadratmetern wartet die Ausklanggemeinschaft mit einem Bier. Der Feuerwehrmann verabschiedet sich. Marlies holt die letzten Kostüme aus den Garderoben. Die Technikerinnen und auch die Techniker lassen dich höchst selbstbewusst und großzügig in ihre Mitte, und eine elektrische Eisenbahn fährt auf halber Höhe immer an der Wand lang.
Nach der Vorstellung ist vor der Vorstellung.
Und wer in diesem Schoße hier, erst einmal sanft geborgen war, der will, und dauert’s 100 Jahr, bestimmt wieder hinein.
Jubiläumsgala: 175 Jahre St. Pauli Theater
Mo 30.5., 19.00, Laeiszhalle, ausverkauft!