Hamburg. Weichenstellungen für die Musikstadt Hamburg: Das NDR Elbphilharmonie Orchester umreißt seine erste Saison an neuer Spielstätte.
Viel Ungewöhnliches soll es zur Weihe des Hauses geben, einen Bogen von der Renaissance bis in die Gegenwart, und als Höhepunkt die Uraufführung der Auftragskomposition von Wolfgang Rihm. Dem ersten der beiden Elbphilharmonie-Eröffnungskonzerte geht am 11. Januar 2017 ein Festakt voraus, nach der „Tagesschau“ werden Bilder und Töne vom NDR global verteilt. Nur was genau außer Rihms Jahnn-Vertonung für Orchester, Chor, Orgel und Star-Solisten erklingen wird, das bleibt unklar.
Das „Such das Stück“-Spiel, das Generalintendant Christoph Lieben-Seutter am Montag bei seiner Vorschau begann, geht also weiter.
Man wolle und müsse erst den Herbst abwarten, die ersten Annäherungsbegegnungen mit dem neuen Großen Saal des neuen großen Konzerthauses, hieß es am Freitag vertagend und entschuldigend bei der Vorstellung der ersten Spielzeit des NDR Elbphilharmonie Orchesters im gleichnamigen Neubau in der HafenCity. Hätte Hengelbrock nicht wegen Grippe absagen müssen, um sich für seine Konzerte zum Musikfest-Beginn in der nächsten Woche zu schonen, hätte es vielleicht von ihm Hinweise gegeben, was kommen könnte.
Aber schon Peer Steinbrück wusste: hätte, hätte, Fahrradkette.
Dennoch blieb noch etliches übrig, um den programmatischen Ehrgeiz und den Profilierungsdruck in der Spezial-Saison 2016/17 unter dem Motto „Voller Klang voraus“ gebührend auszubreiten. In dieser Ausnahmezeit wird das Orchester außergewöhnlich viel spielen: 125 Konzerte, ein Drittel mehr als zuvor. Bis an alle Belastungsgrenzen sei man bei der Planung gegangen, hieß es. Personell aufgestockt wird deswegen allerdings nicht. 70 Konzerte, gut ein Drittel aller dieser im Großen Saal der Elbphilharmonie, wird der NDR als dortiges Residenzorchester geben. Das wohl für längere Zeit letzte NDR-Orchester-Konzert in der guten alten Laeiszhalle wird Mitte Dezember stattfinden: Bachs „Weihnachtsoratorium“, dirigiert von Hengelbrock. Aber der Stress, Umzug in den Neubau inklusive, sei ja für eine gute Sache.
Deswegen auch die Erweiterung des Sortiments mit mehreren neuen Formaten: Die „Konzerte für Hamburg“ sind einstündig, mit in jeder Hinsicht attraktiven jungen Solisten, kurzen Programmpunkten und neulingsfreundlich angelegt. Der Vorverkauf von 60.000 Tickets, bei Sechs-Euro-Karten beginnend, startet im Oktober. Die „Klassik kompakt“-Reihe wird immer wieder sonntagnachmittags angeboten, gleiche Dauer, größere Werke. Bei der Nachfrage nach Abos geht es dem NDR so gut wie anderen Anbietern: Die Zahl der Neu-Kunden steigt und steigt stündlich steil. Bald muss über eine Deckelung der Abo-Quoten entschieden werden, um genügend Plätze für den freien Verkauf zu haben, der am 4. Juni beginnt.
Am 8. und 9. Juli findet auf einer Freifläche mit 20.000 Plätzen am Baakenhöft (dort, wo das Thalia für seine Sommer-Specials in einem Zelt gastierte) das erste große „HafenCity Open Air“ statt. Krzysztof Urbanski, Erster Gastdirigent, dirigiert als Abschluss der laufenden Spielzeit unter anderem Dvoraks „Aus der Neuen Welt“. Solistin ist die Cellistin Sol Gabetta.
Die neuen „Late Night“-Konzerte des NDR kombinieren in Zusammenarbeit mit N-Joy klassische Musik mit Pop-Acts: an Wochenenden, beginnend um 21.30 Uhr. Den Auftakt Anfang Februar 2017 macht ein Abend featuring Thomas Hengelbrock und Tim Bendzko. NDR-Orchesterredakteur Achim Dobschall lieferte für diesen Eingewöhnungs-Mix die schöne Formulierung „klassisches Vorglühen“.
Derzeit hinter den Kulissen in der Abstimmung ist die Frage, ob und wie Streaming-Angebote à la „Digital Concert Hall“ der Berliner Philharmoniker auch bei Elbphilharmonie-Konzerten möglich und gewünscht sind.
Im Inneren der Elbphilharmonie
Die Infrastruktur sei da, hieß es vonseiten des NDR, und auch, dass der NDR kein Geld dafür nehmen würde. Zu klären wären aber vorher auch Rechtefragen bei anderen Ensembles und Künstlern.
Als Artist in Residence hat der NDR den Countertenor Philippe Jaroussky engagiert, der für vier Konzerte kommt. Auf der Gästeliste finden sich auch so interessante Namen wie der Alte-Musik-Spezialist Marc Minkowski oder der ehemalige NDR-Chefdirigent Christoph von Dohnányi, vor einigen Jahren im Streit von Bord gegangen, der nun zur Feier des Neubaus Bruckners Vierte dirigieren wird. In jenem Großen Saal dort, dessen Design er in frühen Planungsphasen geprägt hatte. Thomas Hengelbrock hat nicht nur viel Konzertrepertoire im Kalender (26 Konzerte mit neun Programmen in der Eröffnungsphase), sondern außerdem ein konzertantes „Rheingold“. Dazu kommen Education-Programme, auch von Schülern für Schüler, die Möglichkeit, in öffentlichen Proben unter die Motorhaube zu sehen, und Familienkonzerte für Kinder ab sechs Jahren.
Geburtshelfer der Rihm-Premiere sind Nikolaus W. Schües und die Reederei F. Laeisz. NDR-Hörfunk-Programmdirektor Joachim Knuth nannte die Unterstützung „Taufgeschenk“, sie ist also eine Fortführung des Engagements für die Laeiszhalle an anderer Adresse. Eine weitere Weichenstellung von sehr vielen in diesen Tagen des Musikstadt-Aufbruchs.