Hamburg. Die Inszenierung der Mozart-Oper im Allee Theater punktet vor allem mit ihren Sängern. Besonders Julia Grüter überzeugt.
Sehnen sich die Frauen insgeheim doch nach dem Macker von der Straße? Nach Achselschweiß, Machismo, Bikersex? Regisseurin Birgit Scherzer scheint das zumindest anzudeuten. In ihrer „Don Giovanni“-Inszenierung am Allee Theater – die bei der Premiere ausgiebig gefeiert wurde – zeigt sie Mozarts Frauenverschlinger als Rocker mit Sonnenbrille, Lederkluft und Goldkettchen (Kostüme und Textfassung: Barbara Hass). Wenn er sich richtig aufbrezeln will, schlüpft er in ein Motörhead-Shirt; zur Champagnerarie gibt’s ne Buddel Bier.
1003 Damen hat der Wüstling allein in Spanien vernascht, wie sein Diener Leporello auf dem Smartphone dokumentiert. Doch jetzt ist der Wurm drin, sobald Don Giovanni den Mädels an die Wäsche will. Bei Donna Anna – die brave Tochter im Pünktchenkleid – kommt der Vater dazwischen, der das mit dem Leben bezahlt, Donna Elvira, seine Ex mit der strengen Steckfrisur, misstraut ihm sowieso, und die süße Zerlina ruft noch rechtzeitig um Hilfe.
Anrührendes Bild für die Einsamkeit des Womanizers
Dumm gelaufen. Da die Betäubung durch den erotischen Rausch wegfällt, tritt die innere Leere schmerzhaft zu Tage. Sein berühmtes Ständchen trällert Don Giovanni (Marco Ascani) ins Nichts, weil da gar keine Frau zum Fensterln wartet, und während er die letzten Töne singt, legt er sich wie schutzssuchend mit dem Bauch auf den Boden. Ein anrührendes Bild für die Einsamkeit des Womanizers. Nicht alle Szenen gelangen so stimmig wie diese. Die Drohgebärde des Pistolenfuchtelns hätte sparsamer dosiert sein dürfen; den schönen Schattenspieleffekt beim Auftritt des Komturs verriet die Regisseurin schon vorher – und einige Darsteller führte sie mitunter etwas hölzern. Der Eindruck, dass die Inszenierung womöglich noch nicht hundertprozentig zu Ende geprobt war, wurde von manchen Unschärfen im Zusammenspiel bestärkt.
So bewegte sich der Komtur (Igor Levitan) kurz vor Schluss hartnäckig in seinem eigenen Zeitmaß – als tickten die Takte bei ihm im Jenseits ganz anders, als beim Dirigenten Ettore Prandi am Pult des Allee Theater Ensembles.
Seine stärksten Momente verdankte der Premierenabend den Sängern, die von klein auf mit der deutschen Sprache vertraut sind und deshalb keine Mühe hatten, Mozarts herrliche Arien und die knappen Dialoge natürlich und verständlich zu gestalten. Die brillante Natascha Dwulecki und der kultivierte Bass Sönke Tams Freier etwa stritten, vertrugen und umgarnten sich als Zerlina und Masetto allerliebst; Feline Knabe offenbarte die Verletzlichkeit der Donna Elvira eindringlich.
Eine Sängerin stach aus dem Teamwork hervor: Die junge Sopranistin Julia Grüter vereinte in ihrer Darstellung der Donna Anna lyrische Wärme, eine geschmeidige Höhe und dramatische Leuchtkraft mit einer Präsenz, die sicher bald auch auf größeren Bühnen strahlen wird. Wie sie den Schmerz der Tochter über den Tod des Vaters in Töne fasste, wie sie jede Linie organisch phrasierte und auch die Koloraturen traumwandlerisch sicher setzte, das war schon eine kleine Sensation und dürfte zum Besten gehören, was die Kammeroper in ihrer 20-jährigen Geschichte erlebt hat.
Weitere Termine: 27.2. und diverse ab 6.3.