Hamburg. Maja Kleczewska hat den Roman von J. M. Coetzee mit fünf grandiosen Schauspielern inszeniert. Drastische Folterbilder im Malersaal.
Ein Mann baumelt über Kopf an Ketten. Das Nachthemd, mit dem er seine Blöße verdecken wollte, ist ihm an den Hals gerutscht. Er ist dreckig, blutig, nackt. Ein Mensch in einer Folterkammer. Vor ihm turnt ein Conferencier (Michael Weber) über die breite Bühne. Im Mund blitzt ein glänzendes Stahlgebiss, seine Jacke glitzert.
Willkommen bei der großen Folter-Reality-Show. Launig und aufgedreht erzählt er einen Witz nach dem anderen, doch niemand lacht. Mit anbiedernden Gags versuchte er, das Publikum zum Mitmachen zu animieren, doch es bleibt stumm. Zu grausam ist das Gesagte, zu stark sind die Bilder, die im Kopf des Zuschauers auftauchen und ihn vor Entsetzen erstarren lassen. Von Abu Ghraib und Guantanamo ist die Rede, von Streckbank, Waterboarding und anderen bekannten Praktiken aus dem Handbuch der Folterknechte.
„Warten auf die Barbaren“ heißt ein Roman des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee, der Folter zum Thema hat. Die polnische Regisseurin Maja Kleczewska hat Coetzees Vorlage für das Theater bearbeitet und es auf die Bühne des Malersaals gebracht. Sie findet drastische Bilder.
Detailliert und emotionslos beschreibt eine Frau in Springerstiefeln die Foltermethoden
Die Füße des Barbarenmädchens (Sachiko Hara) sind verkrümmt, ihre Beine voller Blutergüsse, das Gesicht von Schlägen geschwollen. Der Magistrat (Markus John) gerät wegen Landesverrats ebenfalls in die Hände der staatlichen Sadisten. Er hat das Barbarenmädchen zurück zu ihrem Volk gebracht. Dieser Akt der Menschlichkeit wird ihm als Verrat ausgelegt, schlimme Torturen folgen: Erst wird er unter einem Erdhaufen lebendig begraben, dann baumelt er hilflos von der Decke.
Detailliert und emotionslos beschreibt eine Frau in Springerstiefeln (Anja Lais) die bestialischen Methoden der Folterer. Oberst Joll (Christof Luser), der Staatsschutzchef, rechtfertigt das gnadenlose System. „Nur Schmerz ist Wahrheit“, sagt er und trinkt einen Schluck Champagner.
Am liebsten möchte man am Ende von "Warten auf die Barbaren" einen Schnaps kippen
Kleczewskas Inszenierung ist eine Zumutung im positiven Sinne. Sie zwingt das Publikum hinzusehen und hinzuhören und konfrontiert es mit der schlimmsten Form der Unterwerfung. In unserem Rechtssystem ist Folter abgeschafft, in vielen Teilen der Welt existiert sie weiter, nicht zuletzt bei den Geheimdiensten der USA.
Jeder der fünf Schauspieler ist grandios, vor allem Markus John und Sachiko Hara gehen an schauspielerische Grenzen; Michael Webers Conferencier mit dem Slogan „Foltern für eine bessere Welt“ ist von so grenzenlosem Zynismus, dass man als Betrachter erstarrt – und am liebsten einen Schnaps kippen möchte, als das Spiel nach eindreiviertel Stunden vorbei ist.
Nächste Vorstellung im Malersaal: 3.2., 20 Uhr