Hamburg. Im Deutschen Schauspielhaus erlebte „Geächtet“ von Ayad Akhtar deutsche Erstaufführung. Ein hochaktuelles Stück.

Wer diese Abendessen kennt, bei denen so heiße Diskussionen entbrennen, dass das Essen kalt wird, weil Sätze fallen wie „Ich halte den Islam für eine rückständige Denkweise“ oder „Den nächsten Anschlag verübt ein Weißer, der eine Waffe hat, die er nicht haben sollte“, der wird sich in Klaus Schumachers Inszenierung von Ayad Akhtars Stück „Geächtet“ wiedererkennen. Akhtar, US-Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, hat ein hochaktuelles Stück über Vorurteile, Inte­gration, politische Korrektheit und die Grenzen von Liberalismus und Multikulturalität geschrieben, für das er 2013 den renommierten Pulitzerpreis bekam. Am Schauspielhaus, wo „Geächtet“ am Wochenende Premiere hatte, stieß der gut anderthalbstündige Abend auf Begeisterung. Wohl kaum ein Zuschauer wird nach Hause gehen und nicht über das Thema weiterdiskutieren.

Akhtar schreibt Stücke, Romane und dreht Filme. Fast immer beschäftigt er sich mit dem Gefühl des Fremdseins, mit Identitätserfahrung. In einem Interview hat er einmal gesagt: „Um akzeptiert zu werden, muss man seine Herkunft verleugnen.“ Er selbst hat es so erfahren. Und in „Geächtet“ schafft er sich mit Amir einen Helden, der genauso handelt.

Akhtar zeigt wohlsituierte Wohlstandsbürger, deren ethnische und religiöse Wurzeln scheinbar keine Konflikte zur Folge haben. Das Stück, in dem es dann auch um Rassismus und allzu innige Umarmung alles Fremden, um Macht und Karriere geht, ist so aktuell, dass es nach dieser deutschen Erstaufführung demnächst an vielen Theatern zu sehen sein wird.

Zentrale Figur des Stückes ist Amir Kapoor. Er hat es geschafft, ist ein aufstrebender Anwalt in einer großen New Yorker Kanzlei, trägt teure Hemden und wohnt in einer schicken Wohnung. Seine Eltern stammen vom indischen Subkontinent, „aus Indien“, wie er sagt, aber gemeint ist Pakistan. Von seinen muslimischen Wurzeln will er sich lösen, deshalb hat er seinen Nachnamen von Abdullah in Kapoor geändert. Den Koran bezeichnet er als „einzigen langen Hassbrief an die Menschheit“. „Ich bin Apostat. Das heißt, ich habe meinem Glauben abgeschworen.“ Sehr gelungen an „Geächtet“ ist, dass die islamkritischsten Sätze dem (ehemaligen) Muslim in den Mund gelegt werden.

Verheiratet ist Amir mit Emily, einer aufstrebenden, sehr amerikanischen Künstlerin, die den Islam verehrt und dessen früheren Einfluss auf Kunst und Geschichte. „Gutmensch“, das „Unwort des Jahres“, passt zu ihr.

Zum Abendessen kommen Amirs Kollegin Jory, die schwarze Vorfahren und „sich aus dem Getto hochgearbeitet hat“, wie sie behauptet, und ihr Mann Isaac, ein anerkannter jüdischer Galerist und Ausstellungsmacher. Damit befinden wir uns im aufgeklärten, weltoffenen Kunst- und Intellektuellenmilieu, in dem es angeblich keine Grenzen gibt und das Verständnis füreinander grenzenlos ist.

Aber weit gefehlt. Unter der kultivierten Oberfläche brodelt es. Wie auch in den hintergründigen Boulevardkomödien Yasmina Rezas setzt ein kleiner Gesprächsfunke die ach so libertinäre, bürgerliche Ordnung in Brand. Die vier bemühen sich um aufgeklärte, ironisch-intellektuelle Konversation und reden sich dann doch um Kopf und Kragen. Jeder und alle Überzeugungen werden infrage gestellt oder erweisen sich als brüchig. Spätestens als Amir sich zu der Aussage provozieren lässt, die Anschläge vom 11. September 2001 hätten ihn „ein kleines bisschen stolz“ gemacht, gerät alles außer Kontrolle.

„Aussichtslose Helden“ soll Isaacs Ausstellung heißen, auf der Emilys Bilder präsentiert werden. Aussichtslose Helden sind auch Amir und Emily. Zur Gruppe zählt noch Abe, Amirs Neffe, der sich von Hussein umbenannt hat und am Ende seinen muslimischen Namen zurück will. Aus Überanpassung wird die Rückkehr zu „meinen Leuten“, für die er Verständnis zeigt: „Die (Westler) haben die Welt erobert und jetzt holen wir sie uns zurück.“ Radikalisiert er sich gar?

Klaus Schumacher inszeniert das Stück sehr gradlinig im stylisch-kargen Ambiente (Bühne: Jo Schramm) eines New Yorker Lofts. So können die Schauspieler brillieren. Carlo Ljubek, den man in der vergangenen Woche noch an drei Abenden als mutigen Reporter in der ARD-Serie „Die Stadt und die Macht“ sehen konnte, überzeugt als schnieker Anwalt ebenso wie als wütender Ehemann und Intellektueller, der im Affekt seine sämtlichen Überzeugungen über den Haufen wirft. Aus dem selbstsicheren Mann wird ein gerupftes Huhn.

Emily an seiner Seite (stets in irgendetwas Petrolfarbenes gekleidet von Kostümbildnerin Karen Simon) ist bei Ute Hannig anfangs übereifrig engagiert, will alles richtig machen und versteht dann die Welt nicht mehr. Hannig spielt eine wohlmeinende Weltfremde. Überredet ihren Mann dazu, einen Imam vor Gericht zu vertreten, erkennt die Folgen nicht. Und am Ende gibt sie sich enttäuscht darüber, dass Amir sich als das entpuppt, was sie doch immer behauptete zu mögen.

Samuel Weiss spielt den jüdischen Kunsthändler Isaac pointensicher und mit überrumpelndem Charme. Kommt Streit auf, sagt er schnell: „Es schmeckt so herrlich.“ Er ist ein gewinnender Typ, spielt ein bisschen den Ahnungs­losen. Seine Frau Jory ist bei Isabelle Redfern eine selbstbewusste Anwältin, die nicht allzu viel auf Gerechtigkeit gibt. In der Kanzlei, in der sie mit Amir arbeitet, wird sie die Gewinnerin sein.

„Geächtet“ nächste Vorstellungen 21., 23., 27.1., jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchen­allee, Karten 10-37 Euro, T. 24 87 13