Hamburg. Der Seitensprungklassiker wird zur intelligenten Radioshow. Ein genialer Kunstgriff von Regisseur Sienknecht.

Der Erste knipst mit Wumms das Licht an. „Bitte Ruhe“ flackert es rot über der Tür. Das weiche Licht der Lampenschirme erhellt ein Tonstudio, das mit alten Möbeln zugemüllt den liebenswert analogen Charme der 1970er-Jahre atmet. Clemens Sienknecht trägt sein Blondhaar um eine Halbglatze drapiert, die Crew erscheint nicht minder ansehnlich. Multiinstrumentalist Friedrich Paravicini mit Fönwelle, Yorck Dippe mit Stehlocken und Michael Wittenborn in Jeanshose mit Schlag und Pottfrisur. Ausstatterin Anke Grot hat ganze ­Re­tro-Arbeit geleistet.

Das gab es noch nicht. „Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ im Malersaal des Schauspielhauses als Radioshow, ­genauer als Episode aus der Serie ­„Berühmte Seitensprünge der Weltliteratur“. Neu vertont. Ein wirklich genialer Kunstgriff von Regisseur Sien­knecht, der mit Barbara Bürk und Sybille Meier auch die Textfassung nach Theodor Fontane erstellt hat.

Der Klassiker der Weltliteratur über die junge Effi, die im zarten Alter von 17 Jahren, initiiert von ihrer Mutter, in eine unglückliche Ehe mit dem mehr als doppelt so alten, militärisch korrekten Langweiler Baron von Innstetten gerät, erklingt ehrfürchtig gesprochen von einer Schellackplatte. Umso lebendiger gerät das Spiel des auch musikalisch glänzend aufgelegten Ensembles. Mit Michael Wittenborn als schnoddrigem Radiomoderator der „Nur Knüller, keine Füller“ und „Das Beste von Übermorgen“ verspricht. Mit dem funky trompetenden Markus John als steifer Baron, der sich mit Wittenborn als Ministerialrat Wüllersdorf eine hochkomische Regieanweisungsszene liefert. Und Yorck Dippe, das ­Saxofon im Anschlag, als leichtlebiger Frauenverbraucher Major von Crampas, mit dem Effi eine verhängnisvolle Affäre beginnt.

Man spürt Effis gehemmten ­Lebenswillen in der apart arrangierten Liedauswahl, deren Cover von Coun­trygemütlichkeit bis zum entfesselten Souljaulen reichen. Von Iggy Pops „Lust For Life“ über James Browns „It’s a Man’s Man’s Man’s World“ bis zu „Kiss“ von Prince. Sienknecht und seine Truppe führen den poetischen Realismus Fontanes intelligent und auf bitter ironische Weise ad absurdum, ohne ihn plumper Lächerlichkeit preiszugeben. Heute erscheint es – zumindest hierzulande – kaum vorstellbar, dass Ende des 19. Jahrhunderts, in der Wilhelminischen Ära moralische Fehltritte noch Duelle zwischen Ehemann und Geliebtem und das Verstoßen aus dem Familienverband nach sich zogen.

Die sich entspinnende Tragödie kommt bei allem Ringen um humoreske Leichtigkeit nicht zu kurz. Ute Hannig gibt eine großartig verpeilte Nachrichtensprecherin und strahlt in der Effi-Rolle anrührende Naivität aus. Wenn sie, bereits dem frühen Tode geweiht, am Ende ihren Selbstekel, aber auch ihren Hass auf die heuchlerische gesellschaftliche Moral in Philippe Sardes „La Chanson d’Hélène“ aus Claude Sautets „Les Choses de la Vie“ herausheult, ist das wahrhaft herzerweichend.

„Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ nächste Vorstellungen 21.9., 22.9., 24.9., 28.10., 31.10., jew. 20 Uhr, Malersaal im Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten zu 22 Euro unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de