Hamburg. Lina Beckmann gehört zum Ensemble des Schauspielhauses und wird am Sonntag mit dem renommierten Ulrich-Wildgruber-Preis geehrt.
Schon ein wenig abgeliebt ist der dunkelrote Samtstoff der alten Theaterklappstühle. Zärtlich streicht Lina Beckmann im Vorbeigehen über die Polsterung. Wie ein staunendes Kind streift sie durch das St. Pauli Theater, bemerkt die knarzenden Treppenstufen zur Hinterbühne und das Rumpeln der S-Bahn unter dem alten Haus, schaut ins Parkett und hoch in die Ränge. Ehrfürchtig fast, als würde sie nicht selbst Abend für Abend auf einer Bühne mit traumhaft schönem Blick stehen.
Seit drei Jahren ist Lina Beckmann Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, aber hier, im St. Pauli Theater, war sie noch nie. Dabei gefällt es ihr, es gefällt ihr sogar sehr. „So sollte ein Theater sein“, findet sie und nickt fast ein wenig versonnen. „Bei uns im Schauspielhaus hat man manchmal das Gefühl, man muss gegen all das Gold und den irrsinnig schönen Stuck anspielen.“
Sie sagt das nicht kokett, es ist eine simple Feststellung. Dabei scheint ihr das mühelos zu gelingen, das Um-die-Wette-Strahlen mit der Schönheit des Theaters. Und sollte es doch eine Anstrengung sein, dann immerhin eine, die honoriert wird: Im St. Pauli Theater, darum auch der erste Abstecher zu den Kollegen auf dem Kiez, bekommt Lina Beckmann am Sonntag den renommierten Ulrich-Wildgruber-Preis.
Geehrt werden sollen damit Schauspieler, die „auf besondere Weise“ auf sich aufmerksam gemacht haben. Man möchte „eigenwillige Begabungen“ fördern, solche, die die Sprache der Dichter „im wahrsten Sinn des Wortes“ verkörpern, so wie es auch Wildgruber, dieses Urviech des Theaters, getan hat.
Das mag alles etwas allgemein klingen – und doch trifft es Lina Beckmann sehr genau. Diese Frau, die in der direkten Begegnung so unkompliziert und aufgeschlossen und ganz einfach schrecklich nett daher kommt, scheint sich auf der Bühne immer ganz und gar herzuschenken. Jeden Knochen, jede Sehne, jeden Muskel. Sie spielt, was man wohl „groß“ nennt, sie spielt mit dem gesamten Körper.
„Ach“, sagt Lina Beckmann und winkt ab. Sie hat im St. Pauli Theater an einem großen Holztisch Platz genommen, immer wieder fährt sie mit Händen und Armen darauf herum, legt den Kopf schief, beugt sich vor, schürzt die Lippen, kneift interessiert die Augen zusammen. Stillstand liegt ihr nicht. „Ich denke über viele Gesten gar nicht so nach“, sagt sie. „Ich suche eigentlich, immer.“
Es ist eine Suche, an der sie den Zuschauer teilhaben lässt. Früher habe sie es als störend empfunden, dass dabei nicht allein ihr Spiel, sondern auch ihr Körper so beobachtet wird, von Schauspiellehrern, von Kritikern. Beobachtet und beschrieben. „Stämmig“ heißt es dann plötzlich, „kräftig“. „Man steht ja da und macht sich so auf. Das kann dann weh tun.“
Irgendwo „zwischen Angst und Lust“ sei ihr Drang, auf die Bühne zu gehen. Die Lust überwiegt. Meistens. Wenn jedoch jemand, wie kürzlich eine Kritikerin nach der Premiere von „Schiff der Träume“, ihr Spiel zwar virtuos findet, Lina Beckmann allerdings zum „Opfer ihrer eigenen Masche“ erklärt, dann beschäftigt sie das. „So ein Satz heftet sich in den Kopf. Ich möchte aber nicht, dass mein Spiel sich dadurch verändert. Ich möchte im Spiel genau und fein bleiben.“ Ihr rechter Zeigefinger fährt sanft über die Maserung des Tisches.
Vielleicht ist genau hier diese schwer zu greifende „Besonderheit“ zu finden, die Lina Beckmann ausmacht, der für eine „Masche“ die Abgeklärtheit fehlt: Ihre Feinheit, ihre Mädchenhaftigkeit ist noch in den groteskesten Szenen zu spüren. Niemals verschwindet Lina Beckmann ganz hinter ihrer Figur. Sie ist, vor allem in der Auftrittsszene, eine Naturgewalt der Komik als Zoe Mill in „Ab jetzt“, sie ist rührend unbeholfen als Astrid in „Schiff der Träume“, sie ist auf eine geradezu unheimlich körperliche Weise verführerisch in „John Gabriel Borkman“; minutenlang klimpert, windet und robbt sie sich da an ihr Objekt der Begierde. Eine charismatische Bühnenpersönlichkeit. Aber immer auch Lina, die Suchende.
Regisseurinnen wie Karin Henkel oder Karin Beier erkennen das als Qualität, geben ihr Raum. Nicht selten kommt es vor, dass man jemandem eine Inszenierung allein schon deshalb ans Herz legen möchte, weil Lina Beckmann darin mitspielt. Weil jeder das, was sie da tut, wenigstens einmal gesehen haben sollte. Weil es etwas so Spezielles, manchmal Merkwürdiges, immer Lina-Beckmann-haftes ist.
Diventum allerdings liegt ihr, die schon „Schauspielerin des Jahres“ war, komplett fern. Um eine Rolle buhlen? Beleidigt sein, wenn es „nur“ die Nebenrolle wird? „Pff, das klingt jetzt kitschig, aber ich finde eigentlich alle Rollen toll, die man mir so gibt“, sagt Lina Beckmann und lacht.
Sie wirkt wie ein pragmatischer Mensch, wie jemand, der sehr zufrieden ist mit dem, was ihm das Leben so bereitgestellt hat. Wenig ist es ja auch nicht. Sie ist als Tochter eines Wirtschaftsjournalisten und einer Sozialpädagogin mit vier Geschwistern im Ruhrgebiet aufgewachsen, verheiratet ist sie mit dem Ensemble-Kollegen Charly Hübner. Nicht-Theatergänger kennen ihn, der übrigens ähnlich geerdet und unkompliziert wirkt, vor allem als grantigen Kommissar Bukow aus dem Rostocker „Polizeiruf“.
Auch Lina Beckmann stand schon vor Filmkameras, fühlt sich aber auf der Bühne derzeit „aufgehobener“. Zu entdecken gibt es für die Suchende auch hier noch genug, einen Wunsch trägt Lina Beckmann schon länger mit sich herum. Vielleicht erfüllt sie ihn sich bei der Wildgruber-Preisverleihung im St. Pauli Theater aus reiner Lust am Tun: „Ich glaube nämlich“, sagt Lina Beckmann und verdreht etwas verlegen die Augen, „ich glaube, ich kann wirklich nicht so schön singen.“ Sie streckt den Rücken durch und lacht dann plötzlich laut los. „Aber ich würde es einfach so schrecklich gern einmal tun!“
Die nächsten Vorstellungen mit Lina Beckmann am Schauspielhaus (U/S Hauptbahnhof): 24.1. sowie 4. und 8.2 in „Schiff der Träume“, 2.2. in „Ab jetzt“, 11.2. in „John Gabriel Borkman“. Karten: T. 24 87 13.