Hamburg. Iulia Maria Dan und Jürgen Sacher aus dem Staatsopernensemble über Kent Nagano am Pult, das Publikum und ungeliebte Produktionen.

Sie ist noch neu im Ensemble, er ein alter Hamburger ­Hase: Die Sopranistin Iulia Maria Dan, 1987 in Bukarest geboren, singt an der Staatsoper in dieser Saison einen ganzen Strauß großer Partien zum ersten Mal. Der Tenor Jürgen Sacher, 1960 in Augsburg geboren, kam 1991 ans Haus und war seither in kaum mehr zählbar vielen Rollen zu erleben. In „Le Nozze de Figaro“ stehen derzeit beide ­gemeinsam auf der Bühne.

Hamburger Abendblatt: Frau Dan, Sie ­kommen von der Bayerischen Staatsoper München. Was hat Sie zum Wechsel ­bewogen? Kent Nagano?

Iulia Maria Dan: Nein, wir kennen uns, aber bisher haben wir nur „Babylon“ von Jörg Widmann zusammen gemacht. Ich bin hierhergekommen, weil das Repertoire hier für mich traumhaft ist. Dass ich jetzt schon so große Partien singe, ist richtig für mich. Und als sich die Möglichkeit ergab, das hier zu tun, war das ein Glücksmoment. Man kann als Sänger noch so gut vorbereitet sein – wenn in einem Ensemble alles schon besetzt ist, kann man eben drei oder vier Jahre lang diese Partien nicht singen. Das ist hier anders, und deshalb bin ich total glücklich.

Wären Sie in München geblieben, wenn sich die Partien, die Sie singen wollten, dort für Sie ergeben hätten?

Dan: Ich glaube, es gibt eine Zeit und einen Ort für alles. Ich bin seit vier Jahren in Deutschland, und ich habe das Gefühl, als hätte ich meine Energie aufgespart für diesen Moment hier.

Herr Sacher, Sie kennen das Haus in- und auswendig. Fühlt es sich anders an unter der neuen Intendanz?

Jürgen Sacher: Jeder Wechsel ist von Vorteil, jeder Wechsel ist gut. Das ist künstlerisch ein neuer Aufbruch, auch für mich, jetzt, nach 25 Jahren. Ich sehe darin eine Chance, neue Partien zu präsentieren und alte Muster abzulegen. Man ist ein bisschen skeptisch vorher, was wird kommen. Das ist immer das große Fragezeichen. Aber der Start hier jetzt war fantastisch.

Man kennt das vom Mannschaftssport: Manchmal lassen Trainer einen Spieler auf der Bank versauern. Hatten Sie solche Phasen in früheren Intendanzen?

Sacher: Das kann man nicht sagen. Ich wurde immer viel und auch prominent eingesetzt, das war schon in Ordnung. Aber ich hatte viel Ehrgeiz, dieses oder jenes auch noch zu singen, und das ist manchmal mit einem Theaterbetrieb nicht ohne Weiteres vereinbar. Es ging mit wie dir, Iulia: Ich habe auch wahnsinnig lange auf die eine oder andere Partie gewartet. Und ist man in einem Repertoirebetrieb als Sänger erst mal in einem Fach angesiedelt, dann ist es schwer, das zu sprengen und zu sagen, hallo, ich kann vielleicht auch noch was anderes, hört euch das mal an.

Wie ist das Gefühl, wenn Sie jetzt in die Kantine gehen?

Sacher: Sehr gut. Das Essen ist nicht schlecht (lacht), es ist besser geworden.

Dan: Ich habe noch nie dort gegessen.

Sacher: Nein, also da ist eine sehr aufgeweckte, gelöste Stimmung. Viele neue Gesichter, das ist auch schön.

Frau Dan, spielt Ihre Agentur, die Ihr Vorsingen hier vermittelt hat, innerhalb des Hauses noch eine Rolle?

Dan: Eine ganz große! Die Operndirektorin, Frau Könemann, spricht mit meiner Agentur. Ich habe natürlich mitzureden und auch die künstlerische Direktion. Aber meine Agentur macht das für mich, und sie macht das sehr gut.

„Le Nozze di Figaro“ in der Staatsoper

Ilulia Maria Dan (Mitte) als La Contessa d’Almaviva (hier verkleidet als Susanna) , Wilhelm Schwinghammer (2 v.l.) als Figaro, Kartal Karagedik (liegend) als Il Conte d'Almaviva und weitere Mitglieder des Ensembles in der Staatsoper in Hamburg
Ilulia Maria Dan (Mitte) als La Contessa d’Almaviva (hier verkleidet als Susanna) , Wilhelm Schwinghammer (2 v.l.) als Figaro, Kartal Karagedik (liegend) als Il Conte d'Almaviva und weitere Mitglieder des Ensembles in der Staatsoper in Hamburg © dpa | Christian Charisius
Ilulia Maria Dan (Mitte) als La Contessa d’Almaviva und drei junge Komparsinnen in der Staatsoper in Hamburg
Ilulia Maria Dan (Mitte) als La Contessa d’Almaviva und drei junge Komparsinnen in der Staatsoper in Hamburg © dpa | Christian Charisius
Tigran Martirossian als Don Bartolo und Katja Pieweck als Marcellina
Tigran Martirossian als Don Bartolo und Katja Pieweck als Marcellina © dpa | Christian Charisius
Katerina Tretyakova als Susanna, Wilhelm Schwinghammer als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles
Katerina Tretyakova als Susanna, Wilhelm Schwinghammer als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles © dpa | Christian Charisius
Katerina Tretyakova als Susanna und Wilhelm Schwinghammer als Figaro
Katerina Tretyakova als Susanna und Wilhelm Schwinghammer als Figaro © dpa | Christian Charisius
Kartal Karagedik (Mitte) als Il Conte d'Almaviva, Ilulia Maria Dan (techts) als La Contessa d’Almaviva, Katerina Tretyakova (links) als Susanna und weitere Mitglieder des Ensembles
Kartal Karagedik (Mitte) als Il Conte d'Almaviva, Ilulia Maria Dan (techts) als La Contessa d’Almaviva, Katerina Tretyakova (links) als Susanna und weitere Mitglieder des Ensembles © dpa | Christian Charisius
Kartal Karagedik (Mitte) als Il Conte d'Almaviva, Wilhelm Schwinghammer (2 v.l.) als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles
Kartal Karagedik (Mitte) als Il Conte d'Almaviva, Wilhelm Schwinghammer (2 v.l.) als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles © dpa | Christian Charisius
Katerina Tretyakova (Mitte) als Susanna, Wilhelm Schwinghammer (kniend) als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles
Katerina Tretyakova (Mitte) als Susanna, Wilhelm Schwinghammer (kniend) als Figaro und weitere Mitglieder des Ensembles © dpa
Die Mitglieder des Ensembles (von links) Kartal Karagedik als Il Conte d'Almaviva, Dorottya Láng als Cerubino, Jürgen Sacher als Don Basilio und Katerina Tretyakova als Susanna
Die Mitglieder des Ensembles (von links) Kartal Karagedik als Il Conte d'Almaviva, Dorottya Láng als Cerubino, Jürgen Sacher als Don Basilio und Katerina Tretyakova als Susanna © dpa | Christian Charisius
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Aber Sie gehören zum Ensemble. Denkt man da nicht als Intendant oder Operndirektor automatisch: Die besetze ich für diese oder jene Partie? Ist eine Agentur wie im Fußball der Spielerberater?

Dan: Wenn die Agentur richtig und langfristig arbeitet für einen Sänger, dann baut sie auch sein Repertoire auf. Als junger Sänger will man alles singen, oder man hat Lieblingspartien, die man aber besser später oder vielleicht am besten überhaupt nicht singen sollte. Es ist gut, wenn jemand, der den Sänger länger kennt und eine klare Idee von seinem Weg hat, dann sagt, sie soll das nicht singen.

Muss sich die Intendanz Ihrer Agentur beugen? Ist das Bestandteil der vertrag­lichen Vereinbarung?

Dan: Nein, dann muss man miteinander sprechen. Aber diese ganzen Business-Aspekte der Kunst sind für mich nicht so interessant. Zurzeit kennt meine Agentur mich noch besser als die Leute hier vom Haus. Und es geht auch um Engagements anderswo. Alles muss zusammenpassen. Man wird als junge Sängerin sonst nicht ernst genommen.

Was macht für Sie einen guten Opern­dirigenten aus?

Dan: Wenn er mit den Sängern atmet. Dieser organische Kontakt, wenn der Dirigent fühlt und spürt, was der Sänger auf der Bühne macht, ist für mich das Wichtigste. Mir geht es nicht um Blickkontakt oder Einsätze.

Sacher: Im Idealfall hat der Sänger das Gefühl, er wird getragen. Man hat manchmal den Eindruck, dass man das Orchester so ein bisschen, na, mitschleppt ist zu viel gesagt; aber dass man als Einziger zurückstehen und dem Orchester den Lauf lassen muss.

Weil der Dirigent das Orchester wichtiger nimmt als die Sänger?

Sacher: Das gibt es manchmal, das sind dann keine guten Abende. Aber den Idealfall, dass man als Sänger getragen wird, den haben wir hier oft.

Dan: Leider atmen aber nur sehr wenige Dirigenten mit den Sängern. Die es tun, sind die besten. Wenn man die Augen in den Noten hat oder die Partitur erst beim Dirigieren entdeckt, hat man keine Aufmerksamkeit für die Sänger.

Sacher: Es ist ein Ganzes, ein Geben und Nehmen. Wir machen Musik miteinander. Es gibt Momente, in denen ein Dirigent dem Sänger helfen kann, und es gibt solche, in denen ich mehr helfen kann für das Orchester. Ich denke, mit Kent Nagano wird das fantastisch werden. Ich habe noch nicht oft mit ihm musiziert, aber das war sehr schön. Und was er bisher hier gemacht hat, ist hervorragend. Ihm geht es um die Musik, nicht um Selbstdarstellung.

Wenn Sie auf der Opernbühne stehen, sitzt das Publikum ziemlich weit weg, jenseits des Orchestergrabens. Spüren Sie es da eigentlich überhaupt noch?

Sacher: Nein, man spürt es nicht immer. Und das hat Vor- und Nachteile. Bei der Produktion „Weine nicht, singe“ jetzt in der Opera stabile war die Distanz manchmal minimal, vielleicht zehn Zentimeter. Das war eine Herausforderung für mich: Ist mir das nicht ein ­bisschen zu nah? Erst zur Premiere ­hatte ich mich daran gewöhnt. Aber wenn man spürt, dass die Leute so dabei sind, hilft einem das bei der Konzen­tration. Sonst spürt man das nur durch ein Lachen oder einen spontanen Applaus über den Orchestergraben hinweg. Man muss da anders agieren, anders singen.

Dan: Ich fühle mich viel wohler in einiger Entfernung vom Publikum. Ich bin eher introvertiert ...

Sacher: Ah! Deshalb trägst du Blau.

Dan: Ja, genau (lacht). Wenn ich die Distanz habe, fühle ich mich frei. Aber wenn ich die Leute so nah sehe ... Beim Lied oder im Konzert mag ich es. Aber Oper ist eine große Sache. Da braucht man ein bisschen Distanz, um die Illusion zu bewahren.

Herr Sacher, sind Sie nach 25 Jahren Staatsoper noch aufgeregt, bevor Sie auf die Bühne gehen?

Sacher: Auf der Opernbühne war ich nie wahnsinnig aufgeregt. Eine gewisse Grundnervosität ist auch jetzt noch da, und das ist auch gut so. Konzerte machen mich viel nervöser. Auf der Bühne habe ich ja eine Rolle, da weiß ich genau, was zu tun ist. Aber im Konzert – was mach ich jetzt mit meinen Händen? Wo guckt der da hin? Sieht der jetzt meine Plombe?

Dan: Bei meinem Debüt in Bukarest war ich total nervös, weil ich dachte, jetzt zeigt sich, ob ich das wirklich kann oder nicht. Es lief dann sehr gut. Aber seither wächst die Nervosität. Weil man immer von sich erwartet, dass man es noch besser machen kann. Jedes Mal.

Wie ist es in Produktionen, die Ihnen von der Regie her überhaupt nicht zusagen?

Dan: Dann kann man nichts geben, dann ist es ein Riesenkampf.

Sacher: Da muss ich mir immer sagen: Was bin ich eigentlich? Ein Interpret, ein Medium, ein reproduzierender Künstler. Und Profi. Ich habe nicht das Recht zu sagen, die Produktion finde ich Mist, also rotze ich das hin. Das darf man sich als ernst zu nehmender ­Sänger nicht leisten. Das mache ich nie.

Gibt man sich womöglich gerade dann, wenn man von der Produktion nichts hält, sogar besondere Mühe?

Sacher: Ja, aber das braucht viel Kraft, die für die Partie, für die Kunst verloren geht. Man ist in diesem Entwicklungsprozess so geöffnet und auch so verletzbar. Da hab ich gar keine Kraft, was dagegenzusetzen, weil ich die für was anderes brauche. Und um geöffnet zu bleiben. Sonst gelingt das gar nicht.

Dan: Wenn ich eine Produktion nicht mag, versuche ich erst recht, darin so gut wie nur möglich zu sein. Aber die ideale Situation ist natürlich die, die wir jetzt beim „Figaro“ haben. Es bereitet uns allen so dermaßen viel Freude, das zu machen. Die Freude bringt das Beste aus den Leuten heraus.

„Le nozze de Figaro“, letztmals in diesem Jahr:Do, 3.12., 19.00, Staatsoper, Kartentelefon 35 68 68