Hamburg . Das Ernst Barlach Haus stellt Barlachs zeichnerisches Werk dem seines Künstlerkollegen Alfred Kubin gegenüber.

Dass er Ernst Barlach nie persönlich getroffen habe, tue ihm schmerzlich leid „bei der außerordentlichen Schätzung und den dankbaren Gefühlen, die ich für den wunderbaren, mich zutiefst berührenden Künstler hatte“, schrieb der österreichische Zeichner Alfred Kubin nach Barlachs Tod an den Hamburger Industriellen und Kunstsammler Hermann F. Reemtsma. Dass umgekehrt auch Barlach Sympathie für das Werk seines Kollegen empfand, ist ebenfalls bekannt.

Diese wechselseitige Wertschätzung, die sich wohl nicht zuletzt aus ähnlich gelagerten künstlerischen Vorstellungen erklärt, macht eine direkte Gegenüberstellung der zwar oft ähnlichen, wenn auch jeweils sehr eigen geprägten Positionen reizvoll. Und genau darin besteht auch das Konzept der Ausstellung, die das Ernst Barlach Haus im Jenischpark jetzt unter dem Titel „Lichte Finsternis. Alfred Kubin und Ernst Barlach“ in Kooperation mit dem Oberösterreichischen Landesmuseum Linz und der Ernst Barlach Stiftung Güstrow zeigt.

Zu sehen sind insgesamt etwa 80 Blätter der beiden Künstler, die jeweils im direkten Vergleich gezeigt werden und insgesamt 13 Themenkreisen zugeordnet sind. „Seher, Rufer, Mahner“, „Getriebene“, „Gequälte“, „Schicksalsmächte, Schattenwesen“ oder auch „Traum und Tod“ heißen die inhaltlichen Schwerpunkte, die Barlach wie Kubin schon in der Wahl ihrer Themen als Künstlerpersönlichkeiten ausweisen, die sich dem Schicksalhaften, dem Abgründigen und dem Unbe­wussten des Menschen zuwenden.

„Lichte Finsternis“, heißt der Titel dieser Schau, bei der gleichwohl das Finstere deutlich zu überwiegen scheint. Und das ist durchaus nicht nur der aus konservatorischen Gründen auf maximal 50 Lux beschränkten Beleuchtung der Ausstellungsräume geschuldet.

So zeigt etwa die meisterhafte Tuschzeichnung „Der Traum vom Alter“ (1913/15) von Kubin eine nackte junge Frau im Schlaf, vor der deren Bett bereits der Tod lauert, während auf der 1907 entstandenen Kohlezeichnung „Schwerer Traum“ von Barlach ein Mann im Schlaf von Dämonen heimgesucht zu werden scheint. Obwohl Seelenerforschung und Psychoanalyse im frühen 20. Jahrhundert absolut im Trend lagen, war der „Blick nach innen“ darüber hinaus etwas, das die beiden Künstlerpersönlichkeiten in ihrem Naturell verband.

Beide zogen sich weitgehend aus der öffentlichen Szene zurück, um in der Stille zu arbeiten. Barlach lebte seit 1910 im mecklenburgischen Güstrow, Kubin fand bereits ab 1906 in dem Schlösschen Zwickstedt in Oberösterreich für mehr als 50 Jahre seinen Lebensmittelpunkt.

Mit Hamburg verband den Österreicher gleichwohl eine besondere Beziehung, 1924 hatte er in der Galerie Commeter eine erste Ausstellung. Zwei Jahre später zeigte die Bücherstube Hans Götz seine Werke und 1931 folgte eine Ausstellung im Hamburger Kunstverein, bei deren Eröffnung Kubin anwesend war. Wichtiger noch war freilich die Freundschaft zu dem Hamburger Apotheker Kurt Otte, der Kubins Werk intensiv sammelte und seit den 1920er-Jahren das Kubin-Archiv aufbaute, bei dem es sich um das größte Einzelarchiv handelte, das einem bildenden Künstler dieser Generation überhaupt gewidmet wurde.

Alfred Kubins
„Hyänen“ entstand
im Jahr 1934
(Feder und Tusche
auf Papier,
33,5 x 36,8 cm)
Alfred Kubins „Hyänen“ entstand im Jahr 1934 (Feder und Tusche auf Papier, 33,5 x 36,8 cm) © Eberhard Spangenberg, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Die letzte große Hamburger Kubin-Ausstellung zeigte die Kunsthalle vor einem Vierteljahrhundert. Mit dieser noch von Werner Hofmann kuratierten Werkschau ist die aktuelle Ausstellung im Ernst Barlach Haus nicht vergleichbar, dafür setzt sie aber in der direkten Gegenüberstellung mit den Werken ihres Hauskünstlers einen besonders reizvollen Akzent.

Innerhalb der Ausstellung erstmals zu sehen ist mit Barlachs 1923 entstandener Holzskulptur „Weinende Frau“ außerdem eine bedeutende Neuerwerbung. Dabei handelt es sich um eine der ganz wenigen noch in Privatbesitz befindlichen Holzbildwerke des Künstlers. Die Stifterfamilie des Ernst Barlach Hauses konnte das Werk, an dem Barlachs Streben nach Vereinfachung und Monumentalisierung besonders eindrucksvoll sichtbar wird, kürzlich von den Erben des jüdischen Kunstsammlers Ernst Eichenwald erwerben, der es 1924 bei Paul Cassirer in Berlin gekauft und als Emigrant Mitte der 1930er-Jahre mit in die USA genommen hatte.

„Lichte Finsternis. Alfred Kubin und Ernst
Barlach.“
Ernst Barlach Haus, Jenischpark. Bis 10.1.2016, Di–So, 11.00–18.00, Eintritt 6,-, ermäßigt 4,- Info: www.barlach-haus.de