Hamburg. „Der Besuch der alten Dame“ wird am Ohnsorg Theater zum „Hogen Besöök“ in einer zeitgemäßen, etwas eindimensionalen Inszenierung.

Der Mensch ist schlecht. Schwach ist er, verführbar und geldgeil, auch in Güllen. Da nützt es rein gar nichts, dass der gute Theodor Storm mal eine Nacht in diesem Kaff mit dem sprechenden Namen verbracht haben soll. In Güllen haben sie deshalb auch nicht mehr Moral. Stattdessen Schulden, Wünsche, Ansprüche. Materieller Art, vor allem. „Een kann allns köpen“, hat die superreiche, aber verbitterte Claire Zachanassian ganz richtig festgestellt und sich auf den Weg in die Heimat gemacht, um sich dort nach langen Jahren der Abwesenheit letzte Gerechtigkeit zu erkaufen. Eine Milliarde lobt sie aus, als Kopfgeld für den Tod ihres einstigen Liebhabers.

Jens Pesel hat Friedrich Dürrenmatts Welterfolg, die tragische Komödie „Der Besuch der alten Dame“, für das Ohnsorg Theater eingerichtet, übersetzt hat den „Hogen Besöök“, den „hohen Besuch“, gewohnt stilsicher und mit Sinn für norddeutsche Pointen und Details Frank Grupe. Längst bewegt sich ja das Ohnsorg Theater auch abseits von Schwanks wie dem soeben abgespielten Klassiker „Tratsch im Treppenhaus“ souverän in der großen Theaterliteratur. Übersetzt wird hier nicht nur ins Plattdeutsche, sondern auch ins Zeitgemäße. Fast 60 Jahre nach der Uraufführung hat der moralische Impetus des Dürrenmatt-Stoffes im Grunde nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Vielleicht sind wir, das Publikum, abgestumpfter, achselzuckender gegenüber der Tatsache, dass ein Konto gemeinhin mehr wert ist als der Mensch. Wir sind eben nur „een Radl inne Globalisierung“.

Beate Kiupel spielt die alte Dame Claire „Klärchen“ Zachanassian, die einst schwanger und entehrt fortging, ohne dass der Kindsvater Alfred Ill den Nachwuchs anerkannte, als harte, kalte Unversöhnliche. Sie wurde zur Hure, heiratete schwerreich, hörte mit dem Heiraten gar nicht mehr auf – nicht nur die bemerkenswerte Beehive-Frisur erinnert an Liz Taylor – und kehrt nun zurück, um Rache zu nehmen. Kiupel spricht viel nach vorn, ist konsequent rachedurstig und hätte doch womöglich gerade durch eine gelegentliche Weichheit ihrer Figur noch eine Farbe hinzufügen, den erlittenen Schmerz mitfühlbarer gestalten können.

Zu den Stärken der sehr gestrafften Inszenierung gehört unbedingt die Darstellung des Krämers Ill durch Frank Grupe. Grupe ist wirklich ein außerordentlicher Glücksfall, der in seiner Gesamtheit etwas eindimensional geratene Abend gewinnt nicht nur durch seine gelungene Übersetzung, sondern auch durch sein einfühlsames, vielschichtiges Spiel. Letzteres gilt besonders auch für Erkki Hopf als Lehrer und Oskar Ketelhut als korrumpierbarer Bürgermeister, überhaupt ist die Inszenierung nicht nur gut besetzt, sondern (insbesondere für Ohnsorg-Maßstäbe) mit 13 Darstellern auch sehr reichlich.

Schön ist, wie die Gier schleichend von den Güllenern Besitz ergreift. Die Farbe Gelb ist das untrügliche Zeichen, gelbe (brandneue) Schuhe hier, ein gelber (Seiden-)Schlips dort. Aus dem Hintergrund dräuen dazu unheilvoll die Wolken (Bühne und Kostüme: Siegfried E. Mayer). Etwas mehr Biss hätte der insgesamt unterhaltsame Abend hie und da durchaus vertragen. Trotzdem: sehr zugewandter Applaus vom Premierenpublikum.

Hogen Besöök bis 13. November am Ohnsorg Theater, Heidi-Kabel-Platz 1 (U/S Hbf.), Karten 13,50 bis 29 Euro unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de