Hamburg. Die renommierte Schauspielerin inszenierte exklusiv für das Hamburger Theater Festival. Heute ist Eröffnungspremiere.

Liebeskummer kennt jeder. Auch Johanna Wokalek weiß um dieses Gefühl: „Das ist ja jedem schon mal in seinem Leben begegnet“, sagt die Schauspielerin lächelnd. Liebeskummer ist gerade ihr Thema – in einem künstlerisch-literarischen Zusammenhang, inspiriert durch einen Text der französischen Schriftstellerin Marcelle Sauvageot. „Mich hat berührt, wie sie Liebeskummer in Worte fasst, ihre Klarheit der Gedanken und die Distanz, mit der sie versucht, ihr Verhalten zu überprüfen.“

Von Marcelle Sauvageot ist nur ein einziges Werk erschienen – und das posthum. „Fast ganz die Deine“ ist das radikale und schroffe Dokument einer gescheiterten Liebe, der Antwortbrief an den Geliebten, der sich von ihr lossagt, weil er eine andere heiraten will. Und der von der Schreiberin nie abgeschickt wurde. Sauvageot hat diesen 70seitigen Brief 1930 geschrieben, in einem Zug auf dem Weg ins Sanatorium. 1934 starb sie in Davos an Tuberkulose. Wokalek, 15 Jahre lang Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und inzwischen als freie Schauspielerin in verschiedene Projekte involviert, hat den Text der Französin zusammen mit dem Wiener Merlin Ensemble für einen literarisch-musikalischen Abend aufbereitet. Die Premiere an diesem Montag im Deutschen Schauspielhaus eröffnet das bis zum November dauernde Hamburger Theater Festival und ist zugleich die erste Arbeit, die im siebten Jahr seines Bestehens exklusiv für das Theater Festival inszeniert wird.

In der vergangenen Woche ist Johanna Wokalek nach Wien gereist, um mit den drei Musikern des Merlin Ensembles den Abend endgültig zusammenzubauen. „Bei der ersten Probe war der ganze Boden mit Notenblättern ausgelegt, aus denen wir dann Stücke ausgewählt haben“, erzählt die jetzt in Hamburg lebende Schauspielerin. „Wir werden auch mit Walzern arbeiten, weil der Walzer für mich der Inbegriff des Lebens ist. Für Liebe, Befreiung, Tod. Der ,Valse triste‘ von Jean Sibelius zum Beispiel passt sehr gut zum Text von Marcelle Sauvageot, weil er etwas Gebrochenes in sich trägt. Außerdem umkreist auch Sauvageot wieder ihr Thema. Da ist der Walzer wie eine musikalische Spiegelung.“

Nachdem die 40 Jahre alte Schauspielerin nicht mehr fest an die Burg gebunden ist, war sie in den vergangenen Jahren an einer ganzen Reihe von Aufführungen beteiligt, in der Musik und Literatur sich miteinander verbinden. „Nachtwache“ hieß ein Abend mit Liedern und Gedichten der Romantik, den sie mit ihrem Mann Thomas Hengelbrock, dem Chef des NDR-Sinfonieorchesters, und dem Balthasar-Neumann-Chor gestaltet hat. 2014 war sie als Sprecherin bei den Salzburger Festspielen in der Oper „Charlotte Salomon“ dabei und in diesem Jahr dort in Henry Purcells Oper „Dido und Aeneas“, für die sie einen Prolog und einen Epilog verfasst hat. „Das Schreiben macht mir gerade sehr viel Freude. Genauso wie die Zusammenarbeit mit Sängern und Musikern“, sagt sie. „Dido und Aeneas“ ist übrigens im kommenden Mai auf Kampnagel zu erleben.

Auf Marcelle Sauvageots Buch ist Wokalek schon vor zehn Jahren gestoßen, als das schmale Bändchen zum ersten Mal in deutscher Übersetzung erschienen ist, Jahrzehnte nach der Veröffentlichung in Frankreich. Kurz vor ihrem Tod erhielt Sauvageot 1934 Besuch von dem berühmten Kritiker Charles du Bos. Er nahm das Manuskript des Textes an sich und veröffentlichte diese schonungslose Analyse romantischer Liebe nach dem Tod der Autorin. „Es ist ein faszinierender Text, klar, direkt, ironisch“, sagt Johanna Wokalek. „Sauvageot wirft eine Reihe von Fragen auf, die man sich selber auch immer wieder stellt: Was bedeutet Liebe? Wer bin ich, wenn ich liebe? Verändert man sich, um dem anderen zu gefallen?“

Wokalek gefällt an „Fast ganz die Deine“, dass dieser Brief nicht nur eine Seelenschau ist: „Sie schreibt sich den Schmerz von der Seele, versucht aber immer wieder, sich nicht von ihrer Verletzung überwältigen zu lassen. Weil sie um Objektivität ringt, können wir sie so gut lesen.“ Liebeskummer kennt jeder, der richtige Umgang damit fällt schwer. Sauvageots Lektion könnte helfen.

„Fast ganz die Deine“, Deutsches Schauspielhaus, heute 20 Uhr. Das Theaterfestival läuft bis zum 9.11., Karten und Infos: www.hamburger-theaterfestival.de