Hamburg. Hamburger Theaterfestival zeigt von Montag an aufregende Gastspiele. Festivalchef Nikolaus Besch hat bisweilen schlaflose Nächte.

Zum siebten Mal findet vom 5. Oktober an das Hamburger Theaterfestival statt, das dem Hamburger Publikum an verschiedenen Spielorten herausragende Gastspiele aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert. Das Festival wird von einer privaten und gemeinnützigen Stiftung getragen und bekommt keine Subventionen. Festivalchef Nikolaus Besch stellt das Programm zusammen. Wir sprachen mit ihm über seine Auswahl, seine Arbeit und darüber, wie wichtig das Risiko sein kann.

Hamburger Abendblatt: Wie viele Inszenierungen schauen Sie sich jährlich an?

Nikolaus Besch: 40 bis 50. Aber das ist bereits eine Auswahl aus ein paar Hundert Inszenierungen. Natürlich leitet mich mein persönlicher Geschmack, sowohl bei den Inszenierungen, die ich mir ansehe als auch bei den Produktionen, die letztlich in die enge Wahl kommen.

Welche Gründe sprechen für eine Aufführung?

Besch: Es muss ein starker Stoff sein. Auch bei zeitgenössischen Stücken. Dann braucht es einen spannenden Zugriff, eine interessante Regiehandschrift. Ganz, ganz wichtig sind herausragende schauspielerische Leistungen. Danach suche ich und stelle meine Favoriten unserem Stiftungskuratorium zur Entscheidung vor. Im Kuratorium sitzen 19 Persönlichkeiten, Entscheider des öffentlichen Lebens. Jeder engagiert sich sehr, möchte Hamburg auf seinem Weg zur Kulturmetropole und Festivalstadt begleiten und das Theater fördern.

Orientieren Sie sich an Kritiker­meinungen?

Besch: Nein, ich fahre meist zu den Premieren und will mich nicht von Verrissen oder Hymnen beeinflussen lassen. Ich möchte auch nach neuen Schauspielern und Regisseuren gucken, aber natürlich gibt es in den Metropolen das aufregendere Theater. Deshalb kommen die meisten Gastspiele auch aus Großstädten.

Haben Sie sich schon mal getäuscht?

Besch: Ich hatte ‚Phädra‘ mit Sunnyi Melles eingeladen, obwohl mich die Aufführung in Salzburg nicht überzeugt hatte. Ich war hochgradig nervös, hatte ein bisschen Sorge vor der Reaktion des Hamburger Publikums. Aber die Inszenierung wurde hier frenetisch gefeiert. Überrascht war ich auch, dass Produktionen wie „Krieg und Frieden“ oder „Troja“, die über viele Stunden laufen, jeweils vor 1000 Zuschauern auf Kamp­nagel funktioniert haben. In Wien wurden sie nur vor 300 Zuschauern ­gespielt.

Auch in diesem Jahr zeigen Sie wieder eine Viereinhalbstundenproduktion, Goethes „Faust“, inszeniert von Bob Wilson mit der Musik von Herbert Grönemeyer. Zudem noch an einem neuen Ort, dem Mehr! Theater. Ist das nicht ein Wagnis?

Besch: Es gibt in jedem Jahr Situationen, in denen ich viele, viele schlaflose Nächte habe. Für Schlingensiefs „Mea Culpa“-Inszenierung mussten wir 2010 aus Gründen der Kalkulation die teuersten Eintrittspreise nehmen, die je im Theaterbereich genommen worden sind. Die Vorstellungen waren bis auf den letzten Platz ausverkauft. Als wir 2013 das Brahms-Requiem auf der Baustelle der Elbphilharmonie gezeigt haben, wussten wir bis zwei Tage vor dem Konzert nicht, ob wir die Genehmigung bekommen, dort spielen zu können. Mit Wilsons „Faust“ sind wir natürlich wieder ein Risiko eingegangen. Das Theater ist mit 2300 Plätzen riesig und vielen Besuchern auch noch nicht bekannt. Hinzu kommt, Wilson und Grönemeyer sind die Stars, mehr als die Schauspieler. Aber glücklicherweise ist das Risiko schon aufgegangen. Bis auf Restkarten sind beide Abende ausverkauft. Das Hamburger Publikum lässt sich ja gern auf Neues ein.

Wieso trauen Sie sich so etwas?

Besch: Weil aus dem Risiko heraus die schönsten Momente passieren. Wenn etwas klappt, ist jeder euphorisiert, diejenigen, die sich finanziell und ideell beteiligt haben, die Künstler, das Team. Alle bekommen Glücksgefühle.

Wie sind Sie vor sieben Jahren auf die Idee gekommen, ein Theaterfestival für Hamburg aus dem Nichts und ohne öffentliche Förderung zu etablieren?

Besch: Hamburg ist eine Theaterstadt, aber ein Theaterfestival fehlte noch. Wir hatten anfangs viel zu wenig Geld für Marketing. Ich war besorgt, dass niemand kommen würde. Dann wusste ich nicht, wie sich dieses Festival in die Hamburger Kulturlandschaft integrieren würde. Wir bekommen zwar keine direkten Fördergelder, aber dadurch, dass wir auch an den Staatstheatern spielen, profitieren wir von den öffentlichen Subventionen. Das heißt Verantwortung. Zu Beginn hat mancher befürchtet, dass wir Spendengelder für andere Veranstaltungen abziehen. Aber das war nicht so. Ich war in Sorge, dass das Festival nur ein oder zwei Mal stattfinden würde. Der Zuspruch des Publikums ist seit Anbeginn groß. Im Oktober beginnen wir mit dem siebten Festival. Aber ich weiß jetzt noch nicht, ob wir fürs nächste Jahr genügend Geld von Spendern einwerben können.

Gibt es woanders ähnliche Festivals?

Besch: Es gibt keine Stadt in Deutschland, in der man so etwas auf die Beine stellen kann. Diese Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement existiert nur in Hamburg. Ich habe festgestellt, die sogenannten ‚Hamburger Pfeffersäcke‘ gibt es nicht. Das sind Menschen, die neugierig sind, großzügig und engagiert.

Wie hoch ist ihr Etat?

Besch: Wir haben Kosten von einer Million Euro. 60 Prozent davon kommen aus Ticketeinnahmen, 40 Prozent aus Spenden. Wir veranstalten inzwischen auch Workshops, Vorträge, Einführungsgespräche in einem Nachwuchsprojekt während des Festivals, diesmal zum Thema „Macht und Ohnmacht“.

Sie haben lange mit dem ehemaligen Burgtheaterchef Matthias Hartmann gearbeitet. Wie geht es da weiter?

Besch: Ich arbeite weiterhin sehr eng mit dem Burgtheater. Alles andere wäre ja völlig unprofessionell. Aber auch mit Matthias Hartmann bin ich weiter im Gespräch. Ich schätze seinen Regiestil sehr.

Ihre Arbeit klingt spannend, Sie können reisen, viele Premieren sehen. Es muss doch auch Nachteile geben.

Besch: Die größte Schwierigkeit liegt darin, dass ich schon jetzt fürs nächste Jahr planen muss, aber bis Mai 2016 nicht weiß, ob wir genug Spenden bekommen werden. Theatern zu signalisieren, dass man sie einladen möchte, ist ein Wagnis, wenn man lange nicht weiß, ob man das überhaupt finanzieren kann. Im Mai haben die Staatstheater oft schon ihre Herbstplanungen abgeschlossen, auch was die Spielpläne an den Hamburger Theatern angeht. Da ist dann manchmal kein Platz mehr für ein Gastspiel. Das ist sehr aufreibend. Es erfordert viel Flexibilität und Geduld.

Müssen Sie ebenso viel essen gehen wie reisen, da Sie ja Spender meist beim Essen überzeugen wollen?

Besch: Viel. Aber glücklicherweise haben wir das Kuratorium und vor allem einen Claus Budelmann, die sich auch als Botschafter der Idee des Theaterfestivals verstehen. Ich möchte sehr gerne noch neue Spender aus der jüngeren Generation begeistern.

Haben Sie einen Traum?

Besch: Ein Festspielhaus für Hamburg.