Hamburg. Das hemmungslos lokalpatriotische Musical „Hamburg Royal“ wurde vom Premierenpublikum mit Standing Ovations gefeiert.
Die Dosis macht das Gift, sagt man ja. Aber wer weiß, das gilt vielleicht gar nicht für die bisweilen hemmungslose Selbstverliebtheit von Großstädtern – und Hamburg, das ist schon schwer abzustreiten, gilt hier eher nicht als minderschwerer Fall. Und man muss schon Hamburger (gebürtig oder geboren spielt an dieser Stelle ausnahmsweise keine Rolle) oder wenigstens als Quiddje eine ganze Weile an der Elbe zu Hause sein, um jede der zahlreichen Anspielungen und Insider-Pointen zu verstehen, die Hausherr und Regisseur Uli Waller in seiner Premiere des neuen Lokalpatrioten-Musicals „Hamburg Royal“ am St. Pauli Theater aufs Großzügigste verteilt.
Zur Uraufführung der Hanseaten-Persiflage jedenfalls gab es die volle Breitseite Hamburghamburghamburg. In einem – fiktiven, aber unverkennbar an Kowalkes „Fischereihafenrestaurant“ angelehnten – Luxus-Lokal mit herzerweichend schönem Bullaugenblick auf Elbe, Wolken und Hafenkräne geht sie ein und aus, die Hamburger Gesellschaft. Die Pfeffersäcke und Musicaldarsteller, die leichten Mädchen und Scheidungsanwälte, der HSV-Vorstand, der Gastrokritiker und die Medienmeute.
Mittenmang kümmert sich der grundsympathische, charmante Geschäftsführer Hansen (Serkan Kaya) mit seiner verlässlichen Oberkellnerin Steffi (Victoria Fleer) ums Kerngeschäft: „Bei Sauvignon und Bratfisch fühlt sich jeder hanseatisch ...“
Hansen (der etwas überraschend so heißt, obwohl die Figur erklärtermaßen aus Duisburg kommt) will die Tochter des Miteigners ehelichen, um als Zugereister endgültig Zugang zur feinen Gesellschaft zu bekommen und sich seinen ganz persönlichen Traum von Hamburghamburghamburg zu erfüllen. Die Auserwählte Natalie (Anneke Schwabe) ist süß, kess, witzig und weltgewandt, hat die richtigen (Reeder-)Gene und den richtigen Nachnamen (Jenisch), aber eine entscheidende Charakterschwäche: Sie will vor allem weg von der Waterkant. London, New York, Südsee, egal, ab durchs Tor zur Welt, möglichst weit weg vom ewigen Hamburghamburghamburg. Das führt verständlicherweise zu Verwicklungen, die darstellerisch, musikalisch und tänzerisch allerdings professionell genutzt werden, bis am Ende das eintritt, was der Zuschauer schon in Minute drei ahnte: Die richtige Frau für uns Hansen ist natürlich nicht Natalie.
In toller und besonders liebevoll gediegener Bühneneinrichtung von Raimund Bauer und Nina von Essen sowie genüsslich überzeichneten Kostümen (Ilse Welter) kalauert und singt sich das ausgesprochen stark aufgelegte Ensemble temperamentvoll durch den Abend.
„Es gibt im Leben Momente, die muss man zelebrieren“, lautet schon der erste Satz der Inszenierung und gibt damit die Richtung vor: Dezenz ist Schwäche, heißt das in Bühnensprache. Im „Royal“ wird dem Gast, na klar, neben Hummer, Scholle und Matjes ganz bewusst auch das eine oder andere Klischee serviert. Wir lernen: „Fußball ist Arbeit, Tennis ist Handwerk, Hockey ist Kunst.“ Die Anspielungen reichen von einem stadtbekannten Milliardär, der sein Geld im HSV versenkt und an der Alster ein Luxushotel baut, dessen Restaurant dann – hihi – „Osteria Labbadia“ heißen werde, über einen zeitweise glücklosen Sportdirektor („Passt du mal kurz auf meinen Rucksack auf?“) und der Hanseaten liebste Zweigstelle („Sylt? Ich dachte, ich komm mal wech von Hamburg!“) bis zum liebgewonnen roten Filz („Auf die Sozis ist Verlass!“).
Es gibt Pointen, da lachen – jedenfalls zur Premiere, in der gewisse Überschneidungen zwischen Publikum und „Royal“-Gästeschar festzustellen sind – nur die Mehrfachimmobilienbesitzer, andere, da amüsieren sich vor allem die Juristen und Reeder, und natürlich weiß jeder der marineblauen Herren im Parkett, welcher Notar mit dem saloppen „Henning“ gemeint ist.
Klares Plus neben den fabelhaften Stimmen sind die Live-Arrangements der Band um Matthias Stötzel und die Choreografien von Hakan T. Aslan, das Highlight des Abends ist ein phänomenales Medley-Duell aus dem russischen „Kalinka“ und „Nordisch by Nature“ von Fettes Brot. Gepriesen wird auch Hamburgs „Wunderschönes Grau“ (im Original von Stefan Gwildis und Michy Reincke) und natürlich „St. Pauli“ (Jan Delay), Heidi Kabel kommt mit dem Klassiker „In Hamburg sagt man Tschü-hüs“ zum Zug. Das alles ist mal rührend, mal schmissig. Vor allem Victoria Fleer als patenter Oberkellnerin gelingt es stimmlich beeindruckend vielseitig, Emotionen auszuloten und Atmosphäre zu schaffen.
Dass einige Gags eher Humor der Marke „Voll auf die zwölf“ sind – geschenkt. Mindestens irritierend ist jedoch eine Szene, in der die aktuelle Flüchtlingsthematik zu Unterhaltungszwecken herhalten muss. Hier wurde der richtige Ton von der Regie leider so gar nicht getroffen.
Am Ende gab es Standing Ovations. Den kräftigsten Szenenapplaus erntet übrigens die rhetorische Frage „Welcher normale Mensch geht schon freiwillig von Hamburg nach Berlin?!“ Merke: Der Spagat zwischen Selbstironie und hemmungsloser Heimatverehrung ist gar keiner – jedenfalls nicht in Hamburghamburghamburg.
„Hamburg Royal“ am St. Pauli Theater, Spielbudenplatz (S Reeperbahn), weitere Vorstellungen bis 7. 11., 20 Uhr, sonntags 19 Uhr. Karten zu 18,90 bis 65,90 unter der Abendblatt-Tickethotline 30 30 98 98.