Ein schwuler HSV-Spieler, Touristen aus Bayern, Lindenberg singende Obdachlose: Das neue Musical des St. Pauli Theaters birgt noch mehr Überraschungen.
Gibt es eine zweite Stadt in Deutschland, über die so viele Lieder geschrieben wurden wie über Hamburg? Udo Lindenberg, Ina Müller, Hans Albers, Fettes Brot, Jan Delay, Willy Astor, Roger Cicero und Stefan Gwildis – sie alle haben Hamburg-Lieder gesungen. Haben das Lebensgefühl der Stadt eingefangen, weit über Seefahrt und Hafen hinaus. Kaum vorstellbar, dass es über Stuttgart, Frankfurt, Köln – abseits vom Karneval – ähnlich viel Musikalisches gibt. Na, Berlin vielleicht.
Hamburg ist auch Musical-Hauptstadt. Ein Grund mehr also dafür, dass unsere Stadt im September ein zweites „Hamburg-Musical“ bekommen wird. Titel der Geschichte rund um ein Hamburger Restaurant, seine Besucher, Besitzer und Mitarbeiter: „Hamburg Royal“. Das soll bewusst an die Fernsehserie „Kir Royal“ erinnern, die einst die Münchner Schickeria aufs Korn nahm und parodierte. Denn auch im Musical wird es Geschichten von Reedern, ihren Gattinnen, Aufgeplusterten und Abgehalfterten, von Glückssuchern und Pechvögeln geben. Wie’s Leben halt so spielt. Vor allem auf der Bühne.
Nach „Linie S1“, dem Musical rund um die Stadt, mit Hits von Udo Lindenberg, Hans Albers, Marius Müller-Westernhagen und Jan Delay, das im September 2013 im St. Pauli Theater erfolgreich uraufgeführt wurde und bis März dieses Jahres auf dem Programm stand, wird im September das zweite Musical über die Stadt und ihre Bewohner im St. Pauli Theater starten. Inszeniert und geschrieben (mit Co-Autor Markus Busch) von Ulrich Waller, der auch „Linie S1“ verantwortet hat. Wallers Inszenierung des Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ feiert seit vier Jahren in Berlin im Theater am Potsdamer Platz Erfolge.
Das Restaurant als Treffpunkt für alle Hanseaten
„Als wir gesehen haben, wie gut ein Hamburg-Musical ankommt, wollten wir auf jeden Fall ein zweites herausbringen“, sagt Ulrich Waller, der mit seinem Co-Chef am St. Pauli Theater, Thomas Collien im „Fischereihafen-Restaurant“ sitzt. Nicht von ungefähr. Denn hier machen die einen Gerichte, die anderen Geschäfte. „Dieses Restaurant liefert uns im Hansa Theater die Gastronomie“ sagt Waller. „Wir haben so viele Geschichten gehört, die nicht nur ums Essen kreisen. Ähnlich geht’s uns auch, wenn wir in unseren Stammlokalen sitzen.“ Schnell war da die Idee geboren, ein Restaurant zum Schauplatz des nächsten Musicals zu machen. Thomas Collien nennt es „das Hanseaten-Musical. Weil es eigentlich ein Musical über die Leute in der Stadt ist“. In einem Restaurant treffen sich eben alle, Politiker und Partymäuse, Alster und Elbe, wichtig und wild.
Es wird wieder eine Liebesgeschichte geben, Storys über Geschäfte und Gerüchte, Jung und Alt. „Der Grundplot handelt von einem Geschäftsführer, der das Restaurant vor Kurzem übernommen, sowie eine Reederstochter geheiratet hat und der jetzt merkt, dass es nicht gut läuft. Als Mitbesitzer sind die Witwe des ehemaligen Besitzers im Geschäft, ein Hamburger Reeder, der hier oft zu Gast war und sich ein neues Wohnzimmer schaffen möchte, sowie ein Russe, der das große Geld machen will. Diese drei Parteien streiten sich, wie es in der Gastronomie weitergehen soll. Matjes oder Sushi? Am Ende wird natürlich alles gut ausgehen. Wird das Restaurant gerettet? Klar. Finden sich die wahren Liebenden? Klar. Dann muss Steffi nicht mehr Ina Müllers „Allein durch Hamburg“ singen.
Fünf Songs sollen für „Hamburg Royal“ komponiert werden, auch der Titelsong. Udo Lindenbergs „Ach wie gerne wäre / ich im Club der Millionäre / doch da kommt man nicht so ohne weit’res rein / da muss man schon Erfinder oder Schwerverbrecher sein“ werden Obdachlose singen, die vor dem Lokal Backfisch essen. Oberkellnerin Steffi wehrt sich gegen Annäherungsversuche des Russen mit dem Lied „Nordisch by Nature“. Zu den möglichen Gästen gehört ein HSV-Spieler, der sich hier beim Essen mit seinem Manager trifft, um ihm zu sagen, dass er schwul sei und sich outen möchte. Darauf der Manager: „Wir haben so viele Probleme mit dem HSV. Bitte das nicht auch noch.“ Oder eine Frau aus Eppendorf, die mit neuer Lederjacke kommt, aber vegan essen will. Touristen aus Bayern strömen ins Restaurant und singen „Hamburch“ von Willy Astor. Da heißt es: „Ich geh’ in St. Georg in nen Laden voller Lust / Und sag‘ moin moin, ich hätte gern so’n Tattoo auf meiner Brust / Und vom Motiv hab’ ich voll Bock / Auf so’n Schiff wie die Gorch Fock / Da sagt der Mann in einem Satz / Bei dir hat nur ne Jolle Platz.“
Eine Mutter aus gutem Hause möchte ihren Sohn in einer Anwaltskanzlei unterbringen, der aber will Musicalsänger werden. Das ganze Lokal macht ihm Mut, endlich selbstständig zu werden – mit Marius Müller-Westernhagens Song „Zieh dir bloß die Schuhe aus“, in dem es heißt: „Klaus, nun wehr dich doch / Verdammt du träumtest doch davon, dein eigener Herr zu sein“.
Die Geschichte spielt von morgens acht Uhr bis nachts um drei. Und erinnert ein wenig auch an die Operette „Im Weißen Rössl“, denn die eigentliche Liebesgeschichte spielt zwischen der Oberkellnerin Steffi, einer handfesten Frau aus dem Alten Land, die den Laden schmeißt und ein Auge auf den Besitzer des Restaurants geworfen hat. Dessen Ehefrau hat’s mehr mit der Esoterik und träumt von einem Leben in London, wenn sie an Herbert Grönemeyers Song „Glück“ denkt.
Ein Kommentar zum Kochshow-Wahn im Fernsehen gehört auch dazu
„17 Leute werden auf der Bühne stehen“, erläutert Uli Waller. Köche und Kellner, zwei ehemalige Spielerfrauen, eine Prostituierte vom Straßenstrich, Politiker und Pseudopromis gehören dazu. „Man wird einiges erkennen“, erzählt Uli Waller, „aber wir werden es verfremden.“ Dazu zählen nicht nur Personen. Auch die Rivalität zwischen Hockey-Clubs und Wohngegenden, Werbeagenturen und Segelvereinen zählt dazu. Wo macht mein Kind Abi? Welcher Friseur ist prominent? Welche Familie hat Erbstreitigkeiten? Welche Ehe geht gerade auseinander? All das, was das an Klatsch interessierte Bürgertum in Hamburg umtreibt.
Ein kleiner Kommentar zum „Kochshow-Wahn im Fernsehen“ gehört auch dazu. „Wir haben ja in Hamburg besonders viele Fernsehköche“, grinst Thomas Collien. Eine ältere Hamburger Verlegerin sinnt singend darüber nach, ob ihr Verlag nach Berlin ziehen soll. Und die Teilhaberin, die aus dem Lokal aussteigt, gibt „In Hamburg sagt man tschüs“ zum Besten.
Ein siebenköpfiges Orchester führt durch den Abend. Es wird gesungen, getanzt, gespielt, „mit allem, was dazu gehört“, sagt Waller. Sein Hauptdarsteller aus dem Udo-Lindenberg-Musical, Serkan Kaya, soll die Hauptrolle, Geschäftsführer Hansen, spielen. Victoria Fleer ist als Oberkellnerin Steffi vorgesehen, Anneke Schwabe als Reederstochter. Viele aus der Mannschaft der „Linie S1“ werden dabei sein. „Es wird ein Musical von Hamburgern für Hamburger“, sagt Thomas Collien. Premiere soll am 24. September sein.