Hamburg. Am Jungen Schauspielhaus gelingt Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ mit einer hervorragenden Florence Adjidome in der Hauptrolle.

Die Bühne, aus hellen Holzbrettern gezimmert, hat die Form eines Trichters. Er verjüngt sich nach hinten, wird zum Ende flacher, sodass man nicht aufrecht stehen kann und endet mit einer Luke. Die Schauspieler werden aus dieser Luke ausgespuckt und landen in Klaras Welt. Einer Welt mit strengen moralischen Regeln, unumstößlichen Prinzipien und einem Begriff von übermächtiger Ehre. In der ersten Szene wäscht Klara sich den Schritt unter ihrem rosafarbenen Kleid. Es ist der erste Hinweis auf das Dilemma des jungen Mädchens, das sich zu einer Tragödie auswachsen wird, aus der es kein Entkommen gibt, weil niemand die starren Regeln brechen will.

„Maria Magdalena“, von Friedrich Hebbel Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben und 1846 in Königsberg uraufgeführt, gilt als letztes bürgerliches Trauerspiel. Klara ist von dem Kassierer Leonhard (Johannes Nehlsen) geschwängert worden, doch der verweigert ihr die Hochzeit, weil ihr Bruder Karl (Jonathan Müller) wegen eines angeblichen Diebstahls in Haft sitzt. Die Mutter (Christine Ochsenhofer) trifft der Schlag, als sie von der Verhaftung des Sohnes hört, der Vater (Hermann Book) lässt die Tochter am Totenbett der Mutter schwören, dass sie noch Jungfrau sei und ihm keine Schande machen werde. Unverhohlen droht der angesehene Tischlermeister ihr mit Selbstmord, da seine Ehre durch das Verbrechen des Sohnes schon befleckt sei. Klara versucht Leonhard zurückzugewinnen, indem sie sich ihm wie eine Sklavin unterwerfen will, doch der eiskalte Mitgiftjäger und Karrierist hat bereits mit der Tochter des Bürgermeisters angebandelt.

Regisseur Alexander Riemenschneider inszeniert Hebbels Tragödie mit vielen kurzen Blacks, in denen die Schauspieler unbemerkt von der Bühne auf- und abgehen können. Trotz der etwas antiquierten Sprache erklärt sich Klaras Gewissensnot sehr deutlich. Sie sieht keine Chance, den christlich geprägten Dogmen des Vaters zu entkommen. Ihre einzige Möglichkeit ist ein Ehren-Selbstmord.

Das mag aus heutiger Sicht mit unserem liberalisierten Moralbegriff überholt wirken, doch sozialer Druck und ein oftmals striktes Wertesystem existieren auch heute noch in Kulturen, die auf unterschiedlichsten Wegen zu uns gekommen sind und die deren längst integrierten Kindern Probleme bereiten. Darin liegt die Aktualität dieses 150 Jahre alten Dramas.

Der Abend ist spannend, weil die Regie und das Ensemble überzeugen

Dass der Abend im Jungen Schauspielhaus so spannend ausfällt, liegt nicht nur an Riemenschneiders überlegter Regie und Rimma Starodubzevas beeindruckender Bühne, sondern auch an der Klasse des siebenköpfigen Schauspieler-Ensembles. Florence Adjidome ragt als Klara, die zentrale Figur, mit ihrem differenzierten Spiel zwischen Verzweiflung und Hoffnung heraus, Johannes Nehlsen spielt den Leonhard als einen selbstgefälligen Hallodri, Hermann Book den Meister Anton als einen gebrochenen Vater. Ihm gehört der entscheidende Schlusssatz: „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“

„Maria Magdalena“ am Jungen Schauspielhaus (Gaußstr. 190), wieder am 27. und 28. April