Hamburg. Am St. Pauli Theater hatte „Höchste Zeit – Vier Heldinnen im Hochzeitsrausch “ Premiere. Eine komische Aufforderung zum Mitfeiern.

Vielleicht ärgern Sie sich gerade über das miese Wetter, den verpatzten Urlaub, die Kollegen. Vielleicht schweben Sie aber auch gerade im Glück, weil Sie Familienzuwachs bekommen haben oder den Mann ihrer Träume. Vergessen Sie’s für zwei Stunden. Denn egal, ob Sie gut, schlecht oder einfach nur so mittel drauf sind. Sie werden bessere Laune bekommen und sehr viel Spaß haben, wenn Sie sich im St. Pauli Theater „Höchste Zeit“ angucken, den aufgedrehten, abgedrehten Abend über vier Frauen im besten Alter, die entfesselt vom Hochzeitsrausch heiße Zeiten, große Träume und bitterböse Wahrheiten über Männer und Frauen aufleben lassen.

Hier weiß man: Die Liebe ist ein Schmachtfeld. Und das Leben mit Mister Perfect bedeutet für jede etwas anderes. Die eine zieht’s nach Pinneberg (großer Lacher im Publikum), die andere liebt ihre Freiheit. Die dritte will heiraten, die vierte die Scheidung. Der Traum vom perfekten Leben wird hier munter demoliert und am Ende zuckersüß zusammengefügt. Es werden Hits gesungen und mit deutschsprachigen Coverversionen zu allen Gefühls- und Lebenslagen ganz neu interpretiert. Stevie Wonders „For Once in My Life“ ist darunter, Aretha Franklins „Think“, der „Shoop Shoop Song“ oder „Relight My Fire“ als „Tanz die Arthrose“. Da wird getanzt und gezickt, gestöhnt, gebeichtet und auch gekotzt. Schließlich ist der Abend vor der Hochzeit gerade ein paar Stunden vorbei, wenn die vier sich im noblen Hotelzimmer am Morgen der Zeremonie treffen.

Gerburg Jahnke, die vor ein paar Jahren die Erfolgsrevue „Heiße Zeiten“ am St. Pauli Theater inszenierte, hat nun auch „Höchste Zeit“ dort mit viel Witz und Liebe zum Detail nach der ­alten Theaterregel „Dezenz ist Schwäche“ in Szene gesetzt. Die Autoren Tilmann von Blomberg, Carsten Gerlitz und Katja Wolff haben ein rundum ­witziges, rührendes und schmissiges Stück geschrieben. Das Publikum ­bekam sich am Premierenabend kaum mehr ein vor Freude über die munteren Mädels und ihre Liebes-Kollisionen. Bereits das erste Lied wurde heftig ­beklatscht, am Ende gab es zehn Minuten Applaus und nach zwei Zugaben war noch immer nicht Schluss. Die vier Musiker in Zimmermädchenkleidung, darunter Arrangeur Jan Christof Scheibe am Klavier, die von Eva Humburg in galliggrüne Festkleider gesteckten spiel- und singfreudigen Schauspielerinnen, die von Susanne Hayo choreografierten Tanzeinlagen – all das sorgte für Hoch(zeit)stimmung.

Gabi ist Karrierefrau und will heiraten, hat aber die Nacht vor der Hochzeit im Biermuda-Dreieck auf Sankt Pauli durchgezecht und ist so verkatert, dass selbst ihre Haare erschöpft herumliegen. Die stark getrübte Erinnerung sagt ihr außerdem, dass sie heißen Sex hatte. Sie weiß allerdings nicht mehr, ob es ihr Zukünftiger war oder vielleicht Howard Carpendale, der zufällig in der Suite gegenüber wohnt. Brautjungfer Doris kann’s nicht fassen: „Howie?“ Ihr Traummann. Sie guckt so fasziniert, als würde sie in einer Tierdoku Igel beim Kopulieren betrachten, sie bebt und zittert, singt zu „Living Next Door to Alice“: „Mit Howie werd ich ­älter und wenn ich einmal sterb, dann tu ich das ganz sicher auf nem Carpendale-Konzert“ und trifft dabei schon früh am Abend den Mitklatsch-Nerv des Publikums. Die Kolleginnen fragen erstaunt „Who the fuck is Haui?“

Doris ist Hausfrau und seit Jahrzehnten mit dem sparsamen Fritz verheiratet. „Ich hab meine tolle Figur nicht nur behalten, ich hab sie verdoppelt“, sagt sie einmal, ihr sitzt der Scherz auf dem rechten Fleck. Wie ­Sabine Urig, diese pralle Komikkönnerin, das spielt, erinnert viele Zuschauer sicher daran, dass „Konfektionsgröße 36“ eine Bezeichnung ist, die sie zuletzt beim Fall der Mauer eingekauft haben. Doris will keinen Schampus. „Ich trink lieber Asti, da darf auch Dosenobst rein.“ Wenn eine ihrer Freundinnen, eine echte Plapperschlange, über Gabi sagt, „fängt mit Sch an und hört mit lampe auf“, korrigiert sie: „Stehlampe.“

Anna Bolk spielt „die Junge“, dürr und durchgeplant. Ein Kind hat sie zwar, aber immer noch keinen Antrag von ihrem Martin. Ganz verrückt macht sie das. Zu Edith Piafs „La
Foule“ hat sie einen schönen deutschen Text geschrieben – sie hat zu mehr als einem Dutzend Songs neue, hintersinnige Texte erfunden – und dann singt sie herrlich klar: „Es gibt doch so ’ne Reihenfolge im Leben, dazu gehört, dass der Mann den Antrag macht.“ Sie träumt von Haus und Garten und pfeift einstweilen ihren Langzeitverlobten am Telefon an, er solle dem Kind bloß nicht den Zucchini-Brei geben.

Ines Martinez spielt als „Die Vornehme“ die dritte Brautjungfer im jungfernfernen Alter. Sie hat auf alles eine schnippische Antwort. „Viagra für Frauen, was soll das bringen? Dass man blind wird?“ Jetzt will sie unbedingt die Scheidung, „ich betrachte es als vorzeitige Haftentlassung“. Als sie „Ich bin ne Ex“ singt und sich fragt, ob sie dann vielleicht doch „nur dumm rumhockt und Schokolade braucht“ oder gar „im Kirchenkreis endet“, bekommt sie ­allerdings Zweifel. Aber dann empfehlen die anderen: „Mach dich mal locker, schüttel den Speck.“ Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt und hoffentlich nie.

Susanne Hayos Gabi jedenfalls ­bewältigt das Chaos mit Whitney Houstons „One Moment in Time“ das sie kraftvoll und stimmgewaltig als „Ich sag ja“ singt. Und was dann folgt – „Geh’n wie auf Wolken“ („Walking on Sunshine“), „Er gehört zu mir“ und „You don’t own me“ ist die pure Aufforderung zum Mitfeiern. Herrlich.

„Höchste Zeit“ St. Pauli Theater, täglich 20 Uhr
(So 19), bis 13. Sept außer montags, Karten unter
der Abendblatt-Ticket-Hotline: T. 30 30 98 98