Hamburg. Mit einem „Summertime“-Wunschkonzert in der Laeiszhalle sagte die Generalmusikdirektorin am Sonntag Adieu, Hamburg.

Die stetig sinkende Beteiligung bei Wahlen ist ein Phänomen, das die Politik lauthals beklagt. Als die Philharmoniker Hamburg vor sieben Wochen das Publikum aufriefen, aus einem Katalog von 41 Titeln ihre Lieblinge zu erwählen, in der Hoffnung, wenigstens einige davon dann auch beim großen, endgültigen, allerallerletzten Simone-Young-Finale am ­gestrigen Sonntag in der Laeiszhalle gespielt zu hören, folgten 600 Musikfreunde dieser Bitte.

Ist das nun viel oder wenig? Statistisch scheint diese Zahl bei rund 1,3 Millionen Wahlberechtigten eine zu vernachlässigende Größe, um so mehr, als der Wohnsitz Hamburg nicht zwingend vorgeschrieben war, auch nicht das Alter, der Kreis der Wahlberechtigten, also theoretisch die ganze Weltbevölkerung umfasste. Aber es ist doch irgendwie nett, dass sich 600 Menschen die Mühe machten, einen Wahlzettel auszufüllen, off- wie online, und so Verbundenheit mit dem Orchester und der scheidenden Generalmusikdirektorin bekundeten.

Die vermutlich größte Überraschung für das Orchester: Der musikalische Säulenheilige der Stadt, Johannes Brahms, wurde vom Rat der 600 komplett übergangen. So begann das zehnte und letzte der „Summertime“-Konzerte der Ära Young, die mit den „Salut!“-Matineen am Silvestervormittag zuverlässig die kalendarischen Antipoden der philharmonischen Sommer- und Wintersonnenwende markierten, mit Beethovens Leonoren-Ouvertüre. Schön zart und durchsichtig und in ausgesprochen gemessenem Tempo ließ Young ihren Schwanengesang angehen. Im Laufe des langen Vormittags gab es ein paar Evergreens wie Griegs „Morgenstimmung“ und „In der Halle des Bergkönigs“ aus „Peer Gynt“, Auszüge aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, oder „Tara’s Theme“ aus Max Steiners Filmmusik zu „Vom Winde verweht“. Dazu gesellte sich auch seltener zu Hörendes, etwa Mozarts allererste, mit acht Jahren komponierte Sinfonie, deren langsamer Satz thematisch schon fast wie die Larve des grandiosen Adagios aus der g-Moll-Sinfonie anmutet. Sie hatte es in der Kategorie Geheimtipps auf den zweiten Platz geschafft. Damit wenigstens ein lebender Komponist im Programm vorkam, fand auch Geheimtipp Nummer drei Berücksichtigung, das Duett für zwei Soloviolinen, begleitet von vier Bratschen, drei Celli und zwei Kontrabässen von Steve Reich. Der Gast-Konzertmeister Wolfram Brandl und die Stimmführerin der zweiten Geigen, Hibiki Oshima, spielten die Soloparts.

Da das Konzert vom NDR mitgeschnitten (und schon am selben Abend gesendet) wurde, las Simone Young ihre diesmal hübsch pointierten und segensreich kurzen Moderationen vom Blatt. Was sie dem Publikum nicht verriet: dass es zum Zeugen ihres letzten Wagner-Dirigats für ein ganzes Jahr werden würde. Das „Meistersinger“-Vorspiel rangierte in der Kategorie Oper & Ballett auf Platz zwei, deshalb führte zum Abschied kein Weg an Bayreuth vorbei. Aber in der kommenden Saison, ihrer ersten als Freiberuflerin, will Simone Young keine einzige Wagner-Partitur anfassen.

Als es dann langsam in die Zielgerade ging, gewann die Lust am Entertainment deutlich an Boden. Zu Edward Elgars „Pomp and Circumstance“ grüßte ein Holzbläser leutselig unterm Bowler-Hut, der Organist schwenkte den Union Jack, den sich nun auch Young als Schmuckfahne übers Podest legte. Auch ein Queen-Double lief royal winkend vor der Bühne von links nach rechts. Zu den Zugaben zwängte sich die scheidende Chefin gar in ein pinkfarbenes T-Shirt mit dem Aufdruck „Keep Calm And Love Hamburg“.

Da hatte es schon Ovationen und Bravorufe geregnet, auch Blumen waren ihr gereicht worden. Um 13.51 Uhr winkte Simone Young ein letztes Mal ins Publikum und ging ab. Bleibt zu hoffen, dass das Orchester, das sich zum Abschied auf offener Bühne null hatte einfallen lassen, ihr wenigstens beim Empfang hinterher ein fröhliches, munteres „Farewell“ mit auf den Weg in ihre neue Heimat England gab.