Ein Hamburger, der in Bremen geboren wurde und gern in Florida lebte, wurde zum erfolgreichsten deutschen Bandleader.

Ich werde das Publikum vermissen“, sagte James Last noch vor wenigen Wochen vor seinem Hamburger Abschiedskonzert in der O2 World. Jetzt vermisst das Publikum ihn. Hansi. Der erfolgreichste deutsche Bandleader, den es gab und wohl je geben wird, ist am Dienstag im Alter von 86 Jahren in seiner Wahlheimat Florida gestorben, wie der Konzertveranstalter Semmel Concerts am Mittwoch mitteilte.

Sicher, 86 ist kein schlechtes Alter, um auf die andere Seite zu gehen, zu Benny Goodman und Glenn Miller, Bert Kaempfert und Kurt Edelhagen, den großen Bandleadern, die einfach so genannt werden müssen. Weil die deutsche Entsprechung Kapellmeister zu national klingt – zumal für einen internationalen Star wie Hansi, der mit seinem Orchester fast die ganze Welt bereiste, abgesehen von den USA, wo seine geplante Tour nach Gewerk-­ ­schaftskonflikten mit dem Personal der Konzerthallen abgesagt wurde. Nein, Kapellmeister klingt zu sehr nach Marsch.

Marsch hat er zwar gespielt, Volkslieder und Polka, aber das eher auf Wunsch der Plattenfirma, die ihn James nannte, als Kapitän oder Mexikaner verkleidete und auf Plattenhüllen platzierte, die mit skurrilen Titeln wie „Humba Humba à gogo“ (1968), „Käpt’n James bittet zum Tanz“ (1968) oder „Hereinspaziert zur Polka Party“ (1979) auch heute noch fassungslos machen. „Früher habe ich gedacht, oh Mann, was für ein Scheiß wieder. Auf der anderen Seite gefiel es den Leuten. Solang ich aber meinen Kram machen konnte, war das alles in Ordnung“, erzählte Hansi mal der „Welt“. Gebt mir ein Orchester, und ich spiele euch „James Last im Allgäu“ (1984) ein und lasse mich von euch James statt Hans nennen. Das war sein Motto. Alles für die Musik.

Geboren am 17. April 1929 in Bremen als Sohn eines musikbegeisterten Beamten, machte Hans Last schon früh Kompromisse für seine Leidenschaft. Die Heeresmusikschulen in Frankfurt am Main und Bückeburg waren im Krieg die einzige Möglichkeit einer musikalischen Ausbildung. Last lernte Fagott, Kontrabass, Tuba und Klavier und überstand diese dunkle Zeit, ohne wie andere seines Jahrgangs in letzter Minute an Flakgeschützen und Panzerfäusten verheizt zu werden.

Für die Besatzungstruppen spielte er in deren Bars und Casinos Jazz und Swing und schrieb ein wichtiges Stück Nachkriegsgeschichte mit, als das Tanzorchester von Radio Bremen im Dezember 1945 loslegte. Last zupfte den Bass, schrieb Arrangements und war bereits als einer der führenden deutschen Musiker etabliert, als er 1955 mit seiner ersten Frau Waltraud nach Hamburg und zum NWDR-Tanzorchester zog. In der Hansestadt entwickelte Last seinen „Happy Sound“, einen instrumentalen Paartanz von Schlager-Pop und Swing, unterlegt mit samtigen Streicherteppichen.

Und dieser Klang war so multifunktional, dass er wie eine Schablone über alle Stile und Genres gelegt werden konnte. Jazz, Polka, Shanty, Rock’n’Roll, Samba, Operette, Hip-Hop, Volksmusik. Wenn Last ein Stück gefiel, setzte er sich hin, und aus einem Hardrock-Klassiker wie „Black Night“ von Deep Purple wurde eine harmlose Schunkelnummer für wildes Schwofen zwischen Biertheke und Sparclubkasten im holzvertäfelten Partykeller. Für die Entscheidung zwischen Mortadella und Pfeffersalami im Supermarkt. Für TV-Galas und Konzertbühnen. Und nicht nur fremdes Material bearbeitete er erfolgreich, auch seine eigenen Kompositionen wie „Der einsame Hirte“, die auf dem Soundtrack von Quentin Tarantinos „Kill Bill“ landete, oder die „Traumschiff“-Titelmelodie sind schon lange Legende.

Es gibt eigentlich nichts, was er nicht gespielt hat auf mehr als 160 Langspielplatten, die sich von 1963 an weltweit mehr als 80 Millionen Mal verkauften. Er spielte für seine Zuhörer die Beatles, obwohl diese die Fab Four für Krachlümmel hielten. Er spielte „Die Moldau“ und „Für Elise“ und brachte damit Fans zum Träumen, die sonst einen weiten Bogen um klassische Musik machten. Kaum hatte Fleetwood Mac 1969 mit „Albatross“ einen Riesenhit, da erschien er nur wenige Wochen später im Happy-Sound-Gewand aus Lasts Studio in Rahlstedt, verewigt auf einer der ungezählten Schallplatten der „Non Stop Dancing“-Reihe. Hansi war immer am Puls der Zeit und kannte überhaupt keine Berührungsängste. Das Jubiläums­album „They Call Me Hansi“ vereinte 2004 Tom Jones, Jan Delay, RZA, Luciano Pavarotti, Nina Hagen und Herbert Grönemeyer. Mit Fettes Brot nahm er 1999 das Lied „Ruf mich an“ auf. Grenzen, Limits, die gab es nicht für ihn.

Irgendwann hatten sogar seine Kritiker es aufgegeben, sich an ihm abzuarbeiten und sich damit abgefunden, dass man sehr reich damit wird, wenn man Hits aus Pop und Klassik in Seife taucht. Die Seitenhiebe, dass Last angeblich nur am Bühnenrand stehe und mit der Hand schnippe, wurden selten. Hansi wusste es eh besser. Er schrieb und arrangierte in einer Tour und ging damit auf Tournee. Das war sein Leben, die Fans seine Freunde, das Orchester seine Familie.

Wild wurde gefeiert damals, die Musiker planschten in Hotelpools, und der Bandleader winkte ihnen mit seinem Gin Tonic zu. Die „James Last Partys“ in den 70er- und 80er-Jahren in der Ernst-Merck-Halle hatten durchaus etwas von Rock’n’Roll-Lebensstil, wie Last in der „Welt“ zusammenfasste: „Unsere Partys waren gigantisch. Das waren Rabatz-Feste mit 7000 Leuten, und alle waren voll wie die Strandhaubitzen.“

So hätte es ewig weitergehen können. Andere gingen auf Kur, James Last ging auf Tour. Aber als wir Hansi im März dieses Jahres im Café Funk-Eck in Rotherbaum trafen, sah man, dass die Abschiedstournee tatsächlich „The Last Tour“ werden würde. „Ich bin sehr krank gewesen, und da hat sich im Kopf ein Schalter umgelegt. Man macht sich mit 85 doch so langsam Gedanken. Auch meine Frau hat gesagt, dass sie mal mehr von mir haben will – und sie hat recht“, sagte er.

Eine lebensbedrohliche Dickdarm-Entzündung und eine Notoperation im Herbst 2014 hatten viele Pläne, die Last noch hatte, vereitelt. Mal im Madison Square Garden in New York spielen. Oder beim Wacken Open Air: „Die jungen Leute dort leben und lieben Musik aus voller Leidenschaft, sie tanzen sogar zur Feuerwehrkapelle. Aber so hart wie Rammstein oder Motörhead bin ich ja nicht“, lachte Hansi. Und wenige Tage später bei seinem letzten Konzert in Hamburg genoss er den Beifall und haderte wieder mit dem Rücktritt von der Bühne: „Ich bin nicht ganz sicher.“

In seiner Wahlheimt Florida ist er nun gestorben, im Kreise der Familie

Wer soll auch die Lücke füllen, die James Last, Hans Last, Hansi hinterlässt? Wer soll „Happy“ von Pharrell Williams in den Happy Sound übertragen? Es gibt sie ja noch, die jüngeren Bandleader wie Roger Cicero oder Tom Gaebel, aber Hansi hatte im Café Funk-Eck eine so lustige wie weise Antwort auf die Frage, wer James Last ersetzen wird: „Das Internet. Da sind eine Menge Sachen von mir drin.“

„Ich bin ein Hamburger, der in Bremen geboren wurde und der gern in Florida lebt“, erklärte James Last sich oft und gern. Und in Florida ist er nun gestorben, im Kreis der Familie. Und es hätte wohl auch keinen besseren Ort geben können, um auf die andere Seite zu gehen. Es war 1997, als Hansis erste Frau Waltraud, schwer krebskrank, in Hamburg zum letzten Mal ein Konzert ihres Mannes besuchte. Dann flogen sie für ein gemeinsames Abschiednehmen nach Florida. Weil ihr Hamburg zu kalt zum Sterben war.