Hamburg . Mit Jan Wagner ist auch ein Hamburger für den renommierten Preis nominiert. Lesen Sie hier die Kurzrezensionen der fünf Schriftsteller.

Am 12. März wird in Leipzig der insgesamt mit 60.000 Euro dotierte Preis der Buchmesse vergeben. In der Kategorie Belletristik (außerdem gibt es noch Übersetzung und Sachbuch) sind traditionell fünf Autoren nominiert. Diese Shortlist-Vertreter, ausgewählt aus einer Jury von Literaturkritikern, stellen sich wie zuletzt auch nun im Literaturhaus am Schwanenwik vor – und wir an dieser Stelle sie mit ihren Büchern.

Ursula Ackrill ist die Debütantin in der Finalrunde. Ihre Vita ist nicht alltäglich, schreibt sie doch aus einer doppelten Außenseiterposition. Ackrill wurde 1974 in Kronstadt, Siebenbürgen geboren. Heute lebt sie als Bibliothekarin und Schriftstellerin in Nottingham. Ihr Roman „Zeiden, im Januar“ ­(Wagenbach) ist ein höchst eigenwilliges Stück Literatur. Die Form transportiert den Inhalt: So schwer sich die Siebenbürger Sachsen im Jahr 1941 mit ihrer Identität tun – mehrheitlich rennen sie dann doch Hitler hinterher –, so schwer tut sich Ackrill, sich in einen Erzählfluss zu werfen. Ihr Episoden­roman greift bis an den Jahrhundertanfang aus und berichtet von den Geschicken der skeptischen Lehrerin Leontine Philippi und des so deutschbegeisterten Arztes Franz Herfurth. Die Bewohner der Exklave sind sehr eigen, speziell geworden durch den jahrhundertelangen Minderheitenstatus. Originell ist auch die Sprache Ackrills, in ihren besten Momenten sortiert sie das Deutsche und seine Möglichkeiten neu. Was unbedingt hilft: sehr konzentriert lesen. Und sich nicht davon irritieren lassen, dass Ackrill, wie vor ihr Uwe Johnson, auch kleinste Vorgänge so formuliert, dass der Leser sie sich selbst zusammensetzen muss.

Theresa Präauer, geboren 1979 in Linz, ist Schriftstellerin. Und Künstlerin. Ihr zweiter Roman „Johnny und Jean“ ist – ein Künstlerroman! Und ganz auf das Imaginäre zielend, denn darum geht es ja schließlich vor allem in der Kunst. Johnny und Jean sind Nachwuchskreative aus der Provinz, die nun Kunst studieren. Während Jean sexuell und künstlerisch steil geht – auch in Paris und New York –, ist Johnny eher der Typ nachdenklicher Spätzünder. Aus seiner Sicht wird in „Johnny und Jean“ eine Art Entwicklungsgeschichte mit Fantasie-Bonus erzählt. Denn hier unterhalten sich, hoppla, plötzlich auch mal Dalí und Duchamp über ästhetische Strategien. Ja, im Ausmalen ist der Maler Johnny groß. Deswegen ist er Maler geworden. Deswegen weiß er, genau wie Jean, dem das Kunststück gelingt, in Österreich ständig auf Frauen mit französischen Namen zu stoßen, deswegen weiß Johnny: Attitüde ist alles, das Bewusstsein dessen, was es heißt, Künstler zu sein. Man trinkt immerzu Pastis, und Präauer erzählt von der Kunstwelt als Kunstwelt. Was für eine Perspektive.

Norbert Scheuer, 1951 in der Eifel geboren und dort lebend, ist mit seinem fünften Roman „Die Sprache der Vögel“ (C.H. Beck) nominiert. Er handelt hauptsächlich von einem jungen Hobby-Ornithologen und Sanitäter, der in Afghanistan 137 Vogelarten beobachtet, aber niemals den Grad an Freiheit erreicht, den die Vögel jeden Tag erleben. Sie müssen einfach abheben. Der Erzähler Scheuer ist auch ein Höhenbegabter: In seinem Roman baut er eine Unglückspyramide. Er weiß nur nicht recht, wo das Leid größer ist, ob zu Hause in Deutschland, wo die Menschen Krebs bekommen, die Familie verlassen, Selbstmord begehen, Drogen nehmen. Oder in Afghanistan, wo es Selbstmordattentäter gibt und den ­Lagerkoller der Soldaten. Am schlimmsten trifft es Paul, seinen vogelbegeisterten Helden, der vor dem Dienst fürs Vaterland einen Unfall verschuldete, in dem das Gehirn von Pauls Freund Jan irreparabel verletzt wurde. Das Trauma des Afghanistaneinsatzes erfährt so eine kräftige Grundierung an der Heimatfront. Harte Kost.

Bei Michael Wildenhains Roman „Das Lächeln der Alligatoren“ (Klett-Cotta) muss man zunächst den Titel loben: So was hat sich seit Simmel keiner mehr getraut. Außerdem verknüpft der 56-jährige Berliner in seinem Buch durchaus ambitioniert sehr unterschiedliche Dinge. Da ist zum einen die schwierige Familiengeschichte seines Protagonisten Matthias, der aus kaputten Verhältnissen stammt und von seinem Onkel groß gezogen wird. Der Onkel ist im Dritten Reich ausgerechnet Euthanasiearzt gewesen; ausgerechnet, weil Matthias’ Bruder schwer behindert ist. Eine Pflegerin dieses Bruders, Marta, nutzt später Matthias’ Verliebtheit, um den Onkel zu ermorden. Wir sind im Deutschen Herbst, und Wildenhain verplottet das Drama der RAF auf die kühnste und gleichzeitig normalste Weise: Es reicht bis in die eigene Familie hinein, in diesem Fall die von Matthias. Die Geschichte rächt sich für die früheren Untaten, und Vergebung gibt es nicht, auf beiden Seiten. Gemein nur, dass die Hauptfigur Matthias so gar nicht weiß, was gespielt wird – und mit ihr der Leser. Spannungsmäßig ein cleverer Schachzug.

Wir sind unbedingt parteiisch: Natürlich ist dem 1971 in Hamburg geborenen und in Ahrensburg aufgewachsenen Lyriker Jan Wagner der Preis der Leipziger Buchmesse 2015 zu wünschen! Vor allem auch, weil mit ihm erstmals überhaupt ein Dichter nominiert ist. Die Lyrik führt bekanntlich das, was man ein Schattendasein nennt. Licht, immer mehr Licht kann literarisch nur der Roman für sich beanspruchen. Dabei haben Wagners „Regentonnenvariationen“ (Hanser) viele Leser verdient. Wagner ist seit langem ein anerkannt artistisch und kunstvoll operierender Wortsetzer.

Im Elfenbeinturm sitzt er aber nicht. Er ist mitten unter uns, wie sein „requiem für einen friseur“ beweist. „weil montags alles ruht,/nun alles montag bleibt,/verhängt die spiegel, nehmt der schere ihren schneid/(...)weil jetzt kein umhang mehr so prachtvoll, langsam wie ein zelt/herabsinkt überm körper, und wer innehält/nicht länger weiß, was es zu finden gilt, wonach zu suchen,/nur daß die haare weiter wachsen, weiter wuchern“.

Alltagslyrik kann etwas sehr Freundliches sein. Und Reime haben noch nie geschadet.

Leipziger Buchpreis im Literaturhaus Die Kandidaten lesen heute Abend aus ihren Werken, Beginn ist 19.30 Uhr. Ulrike Sárkány (NDR) und Rainer Moritz (Literaturhaus) moderieren.