Hamburgs Literaturreferent Wolfgang Schömel spricht im Interview über Sinn und Unsinn literarischer Auszeichnungen. Und gibt einen Ausblick auf die Zukunft der Branche.

Hamburg Wenn das Jahr 2013 demnächst zu Ende geht, blickt der Literaturbetrieb auf mehr als 1000 vergebene Preise in zwölf Monaten zurück. Allein in Hamburg gibt es etwa den Ben-Witter-Preis, den Klaus-Michael-Kühne-Preis, den Mara-Cassens-Preis, den Hannelore-Greve-Preis und die Förderpreise der Kulturbehörde. Für Autoren und Verlage sind die Preise in materieller und ideeller Hinsicht enorm wichtig. Trotzdem helfen die Preise nicht unbedingt, das Niveau zu heben – was aber nicht daran liegt, dass es zu viel von ihnen gibt, wie Hamburgs Literaturreferent Wolfgang Schömel im Interview darlegt.

Hamburger Abendblatt: Pro Tag werden in Deutschland etwa drei Literaturpreise vergeben. Entwertet diese Fülle nicht jeden einzelnen von ihnen?

Wolfgang Schömel: Ja, natürlich ist das so, was die Ehre angeht. Das ist ein Marktgesetz. Aber dennoch: Ein einigermaßen gut jurierter Literaturpreis ist für jeden Autor, er mag noch so routiniert und abgebrüht sein, eine schöne Bestätigung und, vor allem: ein finanzielles Glück. Selbst Thomas Bernhard glaube ich bis heute nicht, dass ihm die Preise derart am Gesäß vorbeigingen, wie er das in seinen wunderschön bösen Erlebnisberichten behauptet. Wenige Verfasser von Sprachkunstwerken können vom Verkauf ihrer Texte leben, der im Übrigen nur durch wenige Literaturpreise merklich angekurbelt wird. Es geht vor allem um die Preissummen.

Wie sehen Sie die Arbeit der jeweiligen Jurys?

Schömel: Da sehe ich das viel größere Problem: Jurys sind nicht in der Lage, tatsächlich in die Tiefe der angebotenen Literatur zu gehen. Sie greifen vor allem nach dem, was gerade hochgespielt wird, sozusagen nach den gängigen Verkaufspaketen, die Verlage und Literaturkritik geschnürt haben. Und dann werden gewisse, sagen wir: Markenautoren – besser noch junge Markenautorinnen, im Preiskarussell umhergereicht. Jurys und Kritik sind selten in der Lage, auch nur annähernd entdeckerisch zu arbeiten. Sie greifen sich das Bewährte, am besten noch mit einem politischen Engagement Ausgestattetes, besprechen es in den Feuilletons und bepreisen es.

Welche Bedeutung haben die Preise für Verlage? Und welche für die Autoren neben der finanziellen?

Schömel: Für die Verlage haben die großen Marketingpreise, also Deutscher Buchpreis, Preis der Leipziger Buchmesse, eine Riesenbedeutung. Sie sind immer noch Bestsellergarantien. Dahinter geht es rasch abwärts. Selbst Klagenfurt und Büchnerpreis verkaufen viel weniger Bücher als früher, der ehemals zweitwichtigste Preis, der Bremer Literaturpreis, hat sich mit seiner Ideenlosigkeit längst selbst annulliert. Für Verlage werden Literaturpreise zunehmend uninteressant. Für die Autoren gibt es immer noch 20, 30 Literaturpreise in Deutschland, die, neben dem Geld, auch immateriellen Ruhm einbringen, die sie – sozusagen – als Schriftsteller regelrecht etablieren. Deswegen besteht eine große Abhängigkeit der Schriftsteller von renommierten Literaturpreisen. Wer nie einen kriegt, der darf sich unter den Etablierten kaum blicken lassen. Das Problem: Wer keinen gekriegt hat, der kriegt auch in Zukunft keinen. Wer zehn Stück hat, kriegt auch noch den elften.

Besteht die Gefahr, dass das Preis-System die Qualität der literarischen Schöpfungen verwässert?

Schömel: Nein, diese Qualität wird nicht vom Preis-System verwässert, sondern von den Lesern bzw. Nicht-Lesern – und vor allem durch die Macht des virtuellen Prominentendorfes, in dem wir leben. Die großen Verlage passen sich an, sie müssen leben, sie veröffentlichen mangelhafte und schlechte Texte, sparen die Lektorate ein – weil es sowieso keinen Einfluss auf die Verkaufszahlen hat, wie eine Moderatorin oder sonst ein Bildermediengeschöpf die Sätze formuliert. Auch bei Kriminalliteratur spielt die Sprachqualität kaum eine Rolle, bei den ganzen schrottigen historischen-, Softporno- und Vampirromanen sowieso nicht.

Kritiker sagen, die Preise seien in Wirklichkeit beinahe allesamt Förderpreise – sie zeichneten keineswegs unbedingt Exzellenz aus.

Schömel: Was ist denn Exzellenz? Jede Jury behauptet, Exzellenz zu fördern, jeder Nicht-Ausgezeichnete wird das Gegenteil behaupten. Fast alle Verfasser von Literatur als Kunst brauchen ja, siehe oben, Förderung. Also lassen Sie uns ruhig von Förderpreisen reden, was spricht dagegen?

Sind sie sozusagen systemrelevant?

Schömel: Nein, das sind diese Preise allesamt nicht mehr. Wir erleben nämlich gerade einen Systemumsturz im Bereich des Publizierens von Texten – und keiner weiß, wie genau er ausgehen wird. Nur eines ist klar: Vieles wird sich außerhalb des tradierten Systems der Buchveröffentlichung durch Verlage bewegen. Und die Literaturkritik in der hergebrachten Feuilleton-Form wird das nicht überleben. Genau genommen ist sie ja bereits weitgehend am Ende, bespricht immer weniger literarische Neuerscheinungen und wenn überhaupt, dann am liebsten Übersetzungen. Oder sie rennt den Trends hinterher, hechelt hinter jeder neuen Sau her, die durchs Dorf getrieben wird. Beispiele dafür kennen wir alle. Die Dynamik des künftigen, quasi-anarchischen elektronischen Publizierens wird das alles überrennen.

Die Förderpreise der Kulturbehörde sind ein wichtiges Beispiel institutioneller Förderung. Durch sie werden immer wieder hoffnungsvolle Talente angespornt, eine literarische Karriere zu verfolgen. Es fällt auf, dass manche Preisträger wiederholt ausgezeichnet werden. Das deutet auf eine kontinuierliche Förderung hin.

Schömel: Wir haben die Obergrenze von drei gewonnenen Förderpreisen. Diejenigen, die das in den letzten 20 Jahren geschafft haben, sind inzwischen allesamt renommierte Autoren, ich nenne nur Mirko Bonné und Stefan Beuse. Daneben schaffen wir auch Kontinuität durch den „Hamburger Ziegel“. Eine ganze Reihe von Autoren, die es geschafft haben, haben den „Ziegel“ jahrelang begleitet.

Die Förderung in Hamburg erfolgt nach dem Gießkannenprinzip – die Vorteile liegen auf der Hand. Ein Preisträger statt sechs riefe allerdings mehr Aufmerksamkeit hervor. Wäre das eine Alternative?

Schömel: Auf keinen Fall. Das ist ja auch keineswegs Gießkanne, sondern die Jurys suchen sechs Preisträger aus meist über 200 Bewerbern mit unveröffentlichten Texten aus. Die Verlage und Agenturen schauen sich die Förderpreisträger genau an – und für den Spot der Medien gibt es, wie Sie ja sagten, ausreichend Literaturpreise für bereits publizierte Werke.