Mit seinen Büchern prägte er das Bild Hamburgs mit. Der große Schriftsteller und Versöhner Siegfried Lenz starb im Alter von 88 Jahren.

„Mir geht es darum, menschliche Schicksale zu beschreiben, im Vertrauen darauf, dass Leser ihre Schlüsse daraus ziehen und auf die jeweilige Politik anwenden.“

Das sagte der Schriftsteller Siegfried Lenz im Interview mit dem Abendblatt-Redakteur Matthias Gretzschel am 14. August 1999. Das Abendblatt druckte vorab seinen neuen Roman „In Arnes Nachlass“ als mehrteilige Serie.

Das Interview

Jetzt trauern die Hamburgerinnen und Hamburger um einen der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands: Siegfried Lenz starb am Dienstag mit 88 Jahren in Hamburg im Kreis seiner Familie. Er hatte zuletzt in einem Seniorenheim mit Blick auf die Elbe gelebt, seinen Strom. Mit Büchern wie „Deutschstunde“ oder „Der Mann im Strom“ prägte Lenz die deutsche Nachkriegsliteratur nachhaltig.

Thalia Theater probt für die „Deutschstunde“

Kurioserweise haben am Dienstag am Hamburger Thalia Theater die Proben für die Bühnenadaption seines Romans „Deutschstunde“ begonnen. „Wir wussten, dass es ihm nicht gut geht und haben dennoch inständig gehofft, dass er die Aufführung noch erleben könnte“, erklärte Intendant Joachim Lux. „Jetzt bleibt uns nur sein Vermächtnis: sein Werk.“

„Seine Deutschstunde bleibt ein Buch von Weltrang“, betonte Lux. „Aber mehr noch: Die jahrzehntelange tiefe Freundschaft zwischen ihm und Helmut Schmidt zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, Geist und Macht, Kunst und Politik miteinander zu versöhnen – ein Vorbild für alle Nachgeborenen.“

NDR sendet „Der Mann im Strom“

Das NDR Fernsehen ändert am heutigen Dienstag sein Programm. Um 22.10 Uhr zeigt der Sender den Film „Der Mann im Strom“ nach dem gleichnamigen Roman von Lenz zeigen. Jan Fedder bekam für die Hauptrolle 2006 den Deutschen Fernsehpreis. Im Anschluss sollte von 23.40 Uhr an der Nachruf „Erzähler der alten Schule – Zum Tod von Siegfried Lenz“ laufen, wie der Sender mitteilte.

Bereits für 20.15 Uhr steht ein zehnminütiges „NDR aktuell extra – Siegfried Lenz gestorben“ auf dem Programm. Fedder hatte auch in Lenz-Verfilmungen wie „Das Feuerschiff“ und „Die Auflehnung“ die Hauptrollen übernommen.

Gauck: „Hoffnungen, Irrtümer und Sehnsüchte ganzer Generationen“

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Lenz als „einen der ganz Großen der deutschen Literatur“: „Mit seinen Büchern hat er die Menschen bewegt, begeistert und zum Nachdenken gebracht. In seinen Romanen und Erzählungen finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen“, schrieb Gauck an die Witwe. Lenz habe „auf fast altmodische und doch immer aktuelle Weise an das Gute und an die Verbesserungsfähigkeit des Menschen geglaubt hat“. Gauck fügte hinzu: „Er wurde verehrt und geliebt wie nur wenige andere Künstler.“

Lenz' Verleger und langjähriger Freund Thomas Ganske sagte: „Jetzt bleibt die Erinnerung an eine einzigartige Freundschaft, an einen großen Menschen und als Zeugnis dafür seine Bücher.“

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte: „Hamburg trauert um den Ehrenbürger Siegfried Lenz, den aufmerksamen Beobachter, den großen Erzähler, den über die Grenzen Deutschlands hinaus hoch angesehenen Schriftsteller.“

Lenz habe in seinen Büchern immer wieder menschliche Schicksale mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen verknüpft. „Auch damit hat er das Bild Hamburgs und der Bundesrepublik Deutschland in der Welt geprägt“, so Scholz. Für ihn persönlich zähle die „Deutschstunde“ zu den wichtigsten Büchern, die er gelesen habe. Scholz weiter: In ,Leute von Hamburg‘ hat er den Bürgerinnen und Bürgern seiner Heimatstadt freundlich-ironisch einen Spiegel vorgehalten.“ Hamburg halte inne.


EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) zeigte sich tief betroffen. „Wir verlieren mit ihm einen ganz großen Autor, der uns ein unvergessliches Werk geschenkt hat“, schrieb Schulz auf Twitter.

Gino Leineweber, Vorsitzender des Hamburger Schriftstellerverbandes, sagte: „Die Nachricht trifft uns wie ein Keulenschlag und mich ganz besonders, weil Siegfried Lenz mich im September 2003 mit einer Festrede in das Amt des Vorsitzenden der Hamburger Autorenvereinigung einführte.“ Lenz sei mit Walter Kempowski, Günter Kunert, Arno Surminski und Gabriel Laub von Beginn an ein Aushängeschild für die Hamburger Autorenvereinigung gewesen.

Auch Lenz‘ Geburtsstadt trauert um den Humanisten

Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler sagte: „Mit dem im November dieses Jahres von der Siegfried Lenz Stiftung erstmals im Rathaus vergebenen Siegfried Lenz Preis wird sein Wirken für Freiheit und internationaler Verständigung lebendig gehalten.“

Nicht nur für deutsche Leser war Siegfried Lenz der Erzähler Masurens: In seiner Geburtsstadt Elk (Lyck) wurde die Nachricht vom Tod des Schriftstellers mit Trauer aufgenommen. „Dieser ausgezeichnete Humanist hat sich in seinem gesamten literarischen Werk mit Sympathie auf unser Elk und die Sitten der Menschen in Masuren bezogen“, hieß es in einer Stellungnahme der Stadt.

Besonders gewürdigt wurde der Beitrag von Lenz für die deutsch-polnische Versöhnung und den Dialog mit den Polen, die nach dem Krieg in Masuren geboren wurden. Lenz war seit 2011 Ehrenbürger von Elk.

„Wir sind stolz, dass er einer von uns war. Er war wirklich ein außergewöhnlicher Mensch“, sagte Bürgermeister Tomasz Andrukiewicz. Lenz habe den Menschen Masurens mit ihrer komplizierten Geschichte international ein Denkmal gesetzt.

Die Gruppe 47 prägte die Literatur

Siegfried Lenz gehörte zur Gruppe 47, der auch Heinrich Böll und Günter Grass angehörten. Seit den frühen fünfziger Jahren lebte Lenz in Hamburg. Er war am 17. März 1926 als Sohn eines Zollbeamten in Ostpreußen geboren worden und kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges als Soldat desertiert. Bei seiner Rückkehr nach Schleswig-Holstein rekrutierten die Briten ihn als Dolmetscher.

In Hamburg studierte Lenz später Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft. Nach einem Angebot für ein Volontariat bei der „Welt“ warf er das Studium und arbeitete 1950 und 1951 für die Zeitung, die damals als liberal galt. 1949 hatte er seine Frau Liselotte geheiratet, die im Jahr 2006 starb. Am 12. Juni 2010 heiratete Lenz die Dänin Ulla Reimer, die beste Freundin seiner gestorbenen Frau.

Sein erster Roman hieß „Es waren Habichte in der Luft“ (1951), mit dem Band „So zärtlich war Suleyken“ (1955), „Der Mann im Strom“ (1957) und der „Deutschstunde“ (1968) wurde Lenz einem großen Publikum bekannt. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie Lessing-Preis und Lessing-Ring, Thomas-Mann-Preis, Friedenspreis des deutschen Buchhandels (1988) und im Jahr 2002 die Ehrenbürgerwürde in Hamburg. Zwei Jahre später wurde Lenz außerdem Ehrenbürger von Schleswig-Holstein.