Der Altmeister in der Hölle Nord. Bob Dylan zeigte sich in der Tiefe der Provinz von seiner romantischen Seite. Man sollte ihn als Livemusiker noch nicht abschreiben.

Flensburg. Wie kann man an einem lauen Sommerabend zwischen Schwüle, Gewitter und dem fernen Donner der Fußball-Weltmeisterschaft die Zeit überbrücken bis zum Halbfinale Brasilien gegen Deutschland? Gut 3000 Dänen und Deutsche haben sich in Flensburg für ein Konzert von Musiklegende Bob Dylan entschieden. In der Flens-Arena, wo die Champions-League-Sieger der SG Flensburg-Handewitt ihre Tore werfen, der Hölle Nord, entfaltete Dylan, 73, sein zuletzt selten gespürtes Charisma.

Anders als in Hamburg im Oktober, wo er, entgegen den wohlwollenden Kritiken, lustlos und knarzig spielte, gab Dylan sich in den Tiefen der Provinz große Mühe: am Mikrofon, mit der Mundharmonika und am Flügel. Dass seine perfekt eingespielte Band dazu einen dezenten, wohligen Klangteppich wob, passte ins Bild eines gelungenen Konzerts. Allein, es hätte mehr krachen können. Die Zugaben „All along the watchtower“ und „Blowin‘ in the wind“ übertünchten etwas, dass Dylan begehrte Klassiker aussparte.

Aber Songs wie „Beyond here lies nothing“, „Duquesne Whistle“, „High water (For Charley Patton)“ von neueren Werken wie „Tempest“ oder das bedrückende „Love sick“ prägten eine Setlist, die nicht einfach abgearbeitet wurde. Dylan zelebrierte seine Songs mit säuselnder, selten hämischer Stimme. Er zerstörte die Balladen auch nicht, sondern zeigte sich von ungewohnt romantischer Seite.

Man hatte fast den Eindruck, er könnte auch einen guten Country-Schnulzensänger abgeben. Eingestiegen war er wie gewohnt mit „Things have changed“ in einer Western-Version. Der Song entstammt dem Film „Wonder boys“ und hat einen Oscar gewonnen. Es folgte “She belongs to me“ von der Platte „Bringing it all back home“ (1965).

Für einige mag die Steelgitarre zu oft geschluchzt, das Schlagzeug zu oft den Schlafwagen-Rhythmus der Country- und Western-Gemeinde getrommelt haben – aber Dylan präsentierte sich einfach spielfreudig. Kurz vor der Pause schleuderte er sogar ein „Dankescheeeen“ ins Publikum. Seinen Strohhut hatte er wieder aufgesetzt, unter dem dunklen Anzug blitzte ein weißes Hemd hervor. Die Bühne war in Dämmerlicht getaucht.

In einer Zeile sang Dylan „You think I'm over the hill, you think I'm past my prime“. Das heißt so viel wie: „Du denkst, ich bin auf dem absteigenden Ast, die goldenen Zeiten liegen hinter mir.“ Es entstammt dem Song „Spirit in the water“. Diese Worte zeigen den sanften Trotz, den Dylan der Welt noch immer entgegenhält. Natürlich ist er altersmilde geworden.

Aber seine Neverending Tour, auf der er seit 26 Jahren um die Welt tingelt, ist Bob Dylans Art, sein gewaltiges Werk neu zu interpretieren, vielleicht auch ein bisschen die Nostalgiker zu nerven und immer wieder neue Facetten einer alternden Legende zu zeigen. Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich. Abgesehen von seiner Heimat USA gibt es kein Land, in dem Dylan seit 1988 mehr Konzerte gespielt hat (über 100) als Deutschland.