Kurz vor Ende seiner ersten 100 Tage hat der neue Chef seine Strategie vorgestellt. Der „Spiegel“ soll sonnabends erscheinen, das Layout wird überarbeitet – und das „Sturmgeschütz der Demokratie“ wird noch meinungsfreudiger.

Hamburg. Die Schonzeit hat ein Ende. Kurz vor Ablauf der obligatorischen 100-Tage-Frist wagte sich der neue „Spiegel“-Chefredakteur aus der Deckung und präsentierte vergangene Woche seine Pläne für Deutschlands wichtigstes Nachrichtenmagazin. Höchste Zeit, nimmt man die Stimmung in der Redaktion zum Maßstab. Denn Wolfgang Büchners Start im neuen Job war ein unsanfter. Ein Akt des Kräftemessens. Die Berufung des konservativen „Bild“-Mannes Nikolaus Blome in die Chefredaktion hätte Büchner bereits vor seinem Amtsantritt im September um ein Haar das Ansehen und den Job obendrein gekostet. Hätte er beschlossen, den Sitz des Magazins von der Ericusspitze in eine Pinneberger Fußgängerzone zu verlegen, die Entrüstung im Verlag hätte größer nicht sein können.

Aber Büchner blieb gelassen und dadurch letztlich unbeschädigt. Doch mit jedem Tag Schweigen wuchs in der Redaktion die Irritation. Manch einer mutmaßte, der Chefredakteur lese das eigene Blatt nicht. Andere lästerten, das Beste an Büchner sei die Tatsache, dass er die stellvertretenden Chefredakteure Klaus Brinkbäumer und Martin Doerry nicht weiter bei der Arbeit störe. Keine schmeichelhaften Worte für einen Journalisten, dem der Ruf vorauseilt, weder Edelfeder noch Intellektueller zu sein, jedoch ein bewährter Stratege. Büchner verhielt sich ruhig. Er gab keine Interviews, verkündete keine Wasserstandsmeldungen. Über seinen Twitter-Account konnte, wer wollte, „Spiegel“-Cover vorab sehen oder den von Büchner getweeteten „Focus“-Artikel „An Krisen wachsen: Die sieben Zutaten innerer Stärke“ lesen. Ansonsten galt wie schon bei der dpa, wo Büchner zuvor als Chefredakteur arbeitete, sein Motto: „Richtig geht vor schnell“.

Vor wenigen Tagen verkündete er seiner Ressortleiter-Truppe nun seine Strategien. Einschneidende Veränderungen sind dabei der neue Erscheinungstag sowie ein neues Layout für das Magazin. Spätestens ab Januar 2015, womöglich schon früher, soll der „Spiegel“ am Sonnabend statt wie bisher montags erscheinen. Pläne dazu werden im Haus bereits länger diskutiert, Büchner setzt sie nun als kaum verschlüsselten Angriff auf die Sonntagszeitungen um. Auch eine neue Optik und Heftordnung gilt beim „Spiegel“ als überfällig. Vor allem am Hefteinstieg soll geschraubt werden, insgesamt soll der „Spiegel“ meinungsfreudiger werden. Im ersten Halbjahr 2014 sollen ein Leitartikel sowie regelmäßige Kolumnen eingeführt werden. Darüber hinaus entsteht ein Ressort „Netzwelt“.

„Die Gespräche mit den Ressortleitern und der Redaktion waren sehr konstruktiv“, sagte Büchner im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich hätte diese Strategien gern schon zu einem früheren Zeitpunkt präsentiert. Aber es ist wichtig, sich in ausführlichen Gesprächen mit den einzelnen Abteilungen ein genaues Bild zu machen.“ Kollegen berichten, es soll bei der Präsentation vereinzelt Beifall gegeben haben, etwa beim Erscheinungstag sowie dem veränderten Layout. Man darf sich vorstellen, dass in den staatstragenden „Spiegel“-Konferenzen eher selten geklatscht wird.

Mit besonderer Spannung — auch vor dem Hintergrund, dass Büchner von 2008 bis 2009 bereits Chefredakteur bei „Spiegel Online“ war — wurden seine Pläne bezüglich der Zusammenarbeit von Print und Online erwartet. Es ist kein Geheimnis, dass Büchners besondere Herausforderung auch darin bestehen wird, verkrustete Strukturen aufzubrechen, persönliche Eitelkeiten einzelner Redakteure zu ignorieren. Die sogenannte Komfortzone, in der langjährige Mitarbeiter es sich allzu gemütlich eingerichtet haben, sie dürfte unter Wolfgang Büchner, den das „Medium Magazin“ zweimal zum Journalisten des Jahres kürte, nicht lange Bestand haben.

Kernbotschaft an die 16 Ressortleiter vom „Spiegel“ und an die 13 Ressortleiter von „Spiegel Online“ in der Strategie-Konferenz war: Die Ressortleitungen beider Redaktionen fühlen sich gemeinsam der „Exzellenz“ (O-Ton Büchner) beider Auftritte verpflichtet, wobei die Hierarchien hinsichtlich Entscheidungen möglichst flach gehalten werden sollen. Das letzte Wort hat im Zweifel der Chefredakteur. Es geht auf der einen Seite darum, innerhalb der Redaktion enger zusammenzurücken, die Print-Online-Grenze, die beim „Spiegel“ wohl erheblich größer ist als bei vielen anderen Zeitungen und Magazinen, mittelfristig zu überbrücken. Andererseits sollen sich Heft (die Auflage hat sich halbwegs stabil bei 900.000 Exemplaren eingependelt) und Online-Auftritt noch deutlicher voneinander abheben. Eine klare Unterscheidbarkeit sei Voraussetzung für den Erfolg beider Angebote, heißt es.

Es dürften vor allem die Print-Kollegen gewesen sein, die nach Büchners Auftritt vor den Ressortleitern (und anschließend in den einzelnen Ressorts) positiv gestimmt waren. „Die Botschaft war ein klares Bekenntnis zum gedruckten ‚Spiegel‘“, sagte ein Kollege anerkennend. Doch auch die Marktführerschaft von „Spiegel Online“ gibt Büchner nicht leichtfertig auf. Die Nutzung der Website soll „bis auf Weiteres“ kostenfrei bleiben. Im Netz Geld verdienen will der „Spiegel“ vor allem über seine digitalen Angebote, also über Apps für iPhone und iPad.

2014 solle ein Jahr des Aufbruchs werden, lautet das inoffizielle Motto des Chefredakteurs. „Mein Ziel ist es, dass die Redaktion gemeinsam nach vorne schaut. Über Risiken und Nebenwirkungen wird in der Branche genug geredet, jetzt ist es an der Zeit, auch die Chancen zu betrachten“, sagt Büchner. Seine eigenen Chancen hat er mit den neuen Vorschlägen erst einmal genutzt.