Kommissar Falke ermittelt auf der Nordseeinsel Langeoog. Wotan Wilke Möhring passt zur Dünen-Romantik. Nur eine Schauspielerin stört.
Das zweite Werk ist immer das schwerste. Das ist beim Film nicht anders als beim Roman. Ein Debütfilm darf (fast) alles; der Zuschauer ist nachsichtig wie mit einem übermütigen Welpen. Beim nationalen Fernsehheiligtum „Tatort“ liegen die Dinge naturgemäß ein wenig anders. Hier fühlt sich das Publikum schnell auf die Füße getreten, wenn der Sonntagskrimi über Jahrzehnte gewachsene Versprechungen auflöst, plötzlich Kommissare auffährt, die Badehose zum Joint kombinieren oder sprechen, als hätten sie ein halbes Kilo Sägemehl zwischen den Zähnen. Es gilt jedenfalls: Der erste Film ist Herzblut und Verschwendung, der zweite Schema und Kalkül.
In „Mord auf Langeoog“ ermittelt Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke zum zweiten Mal für den NDR. Dieses Mal, wie der Titel bereits andeutet, auf der Nordseeinsel, wo jeder jeden kennt und ein leises Kopfnicken gern den Wortschwall ersetzt. Die Inselgemeinschaft besteht aus Kapitän, Wirt, Kneipenbesucher und ein paar Kühen. Falke ist eigentlich privat auf Langeoog. Besucht seinen besten Kumpel und Ex-Kollegen Jan Katz (Sebastian Schipper) und dessen Frau Mimi (Laura Tonke), die hier mit dem gemeinsamen Baby ein neues Domizil gefunden haben.
Bisschen Krabben pulen, abends Bier und Gitarrenmusik, so hat Falke sich das vorgestellt mit seinen freien Tagen. Wenig überraschend werden seine Pläne von einer Leiche in den Dünen durchkreuzt. Und der Haupttatverdächtige ist ausgerechnet Mimis jüngerer Bruder Florian (Leonard Carow), ein psychisch angeschlagener Teenager mit mehr Problemen und dunklen Seiten, als ein Junge in diesem Alter haben sollte. Florian hatte eine Affäre mit der Toten, einer Galeristin und Künstlerin, er spricht von Liebe.
Es ist die Art Liebe, die sich anfühlt wie eine Lebensmittelvergiftung. Eine Amour fou im wahrsten Wortsinn. Er ist blutverschmiert, hat einen Filmriss, kann sich an die Mordnacht nicht erinnern.
Regisseur Stefan Kornatz, der das Drehbuch mit Max Eipp geschrieben hat, versteht sich bestens darauf, diesen Insel-„Tatort“ in einen atmosphärisch dichten, stimmungsvoll getragenen Film zu verwandeln. Der Strand ist endlos weit und wirkt wie von den dänischen Impressionisten hingepinselt. In der Ortskneipe, die aussieht wie ein abgestellter Eisenbahnwaggon, scheint die Zeit stillzustehen. Außen roter Backstein, innen viel Holz, alte Schifffahrtsfotos und literweise durchsichtiger Schnaps.
Und Möhrings Falke steht der Kopf im Wind, die Beine in den Dünen weitaus besser als dem berühmten Jever-Mann aus der Werbung. Seine robuste Präsenz, sein Hang zum Übermut verleiht dem „Tatort“ so viel gesunde Frische und Bodenständigkeit, dass es den Film über viele Strecken fast allein trägt. Bei Möhrings Anblick stellt sich beim Zuschauer ein Gefühl ein, das sich reduziert so auf den Punkt bringen lässt: Es geht doch nichts über einen Mann, der einfach ein guter Typ ist.
„Mord auf Langeoog“ könnte also ein glänzender Film sein, wäre da nicht der haarsträubende Einfall, dem Kommissar-Duo Falke und Katharina Lorenz, gespielt von der kühl-blonden Petra Schmidt-Schaller, gleich beim zweiten gemeinsamen Auftritt eine Ermittlerin aufs Auge zu drücken, die so viel Raum einnimmt, dass sich Lorenz’ Beitrag zur Lösung des Falls auf ein halbes Dutzend Sätze beläuft. Wenigstens darf sie noch Gummistiefel kaufen für den Inseltrip.
Nichts gegen Nina Kunzendorf, die zu den sehenswertesten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation zählt — aber man muss kein Sonntagskrimi-Erbsenzähler sein, um es höchst verwirrend zu finden, dass Conny Mey aus dem Frankfurter „Tatort“ ein paar Monate später als Kommissarin Christine Brandner aus Aurich aufschlägt, das üppige Dekolleté gegen eine schwarze Nerdbrille getauscht hat und das Kommando an sich reißt. Macht Kunzendorf natürlich trotzdem blendend, dieses überhebliche Augenbrauenlupfen, den zackigen Ton und die Der-Chef-bin-ich-Attitüde. Trotzdem stört sie in diesem Film, der insgesamt weniger den Wendungen des Plots gilt als den Bewegungen der Gesichter.
So wenig verschnörkelt die Krimihandlung daherkommt, umso genauer erzählt der Film im Subtext von Abschied und Veränderung und vor allem von den Schmerzen, die das bereitet. „Mord auf Langeoog“ handelt von Familie und Liebe, Zweckgemeinschaften und Blutsbande. Und weil er auf der menschlichen Ebene überzeugen kann, ist dieser zweite Wotan-Wilke-Möhring-„Tatort“ schließlich doch noch ein sehr sehenswerter Krimi geworden.
„Tatort: Mord auf Langeoog“, Sonntag, 24.11., 20.15 Uhr, ARD