Die jetzt verstorbene Hamburgerin war mit ihrer Kamera bei Wahlkämpfen und Regierungserklärungen dabei, sie fotografierte Monarchen und Stars. Selbst Bürgermeister warteten, bis die zierliche „Lady in Black“ kam.
Hamburg. Mit ihrem Alter hatte Erika Krauß kein Problem, das genaue Geburtsdatum behielt sie aber trotzdem gern für sich. Gewiss nicht aus Eitelkeit, wohl aber aus jenem Eigensinn, der typisch war für Deutschlands dienstälteste Fotografin. „Geboren wurde ich am Ende des Ersten Weltkriegs“, beantwortete sie hartnäckige Nachfragen. Das musste reichen. Am Mittwoch ist die legendäre Hamburger Pressefotografin im Alter von 96 Jahren gestorben.
Die körperlich kleine Frau wirkte wie eine zerbrechliche Person, war aber resolut und voller Energie, eine Persönlichkeit mit enormer Präsenz. Viele Jahrzehnte lang hat sie Politiker, Künstler, Prominente, Manager und Monarchen fotografiert, von Marlene Dietrich und Romy Schneider bis zur Queen und Michail Gorbatschow. Man erlebte sie aufgeschlossen und liebenswürdig, stets gut informiert. Vermutlich war ihr sehr wohl bewusst, dass sie weit über die Stadtgrenzen hinaus als Hamburger Original galt. Aber auch als verlässliche Größe, als Konstante im wechselhaften politischen und gesellschaftlichen Getriebe der Metropole.
Dabei stammte Erika Krauß keineswegs aus Hamburg. Geboren wurde sie in Karski, einer zwischen Breslau und Lodz gelegenen Ortschaft. Sie lebte in Berlin, in Österreich und zeitweise auch in der Künstlerkolonie Worpswede. In Berlin studierte sie Anfang der 1940er-Jahre Film und Regie, ihre ersten Berufserfahrungen machte sie als Kamera-Assistentin für die Filmgesellschaft Tobis. In der unmittelbaren Nachkriegszeit lebte sie in Bremen und begann damals, ihr Geld als professionelle Fotografin zu verdienen. Als sie 1950 nach Hamburg zog, und hier einen Job bei der „Morgenpost“ bekam, war Max Brauer noch Bürgermeister. Seither ist sie ihrer Zeitung treu geblieben und hat alle Hamburger Regierungschefs fotografiert. Sie war mit ihrer Kamera bei Wahlkämpfen und Regierungserklärungen dabei, bei stürmischen Bürgerschaftssitzungen und dramatischen Rücktrittserklärungen. Und wenn die zierliche kleine Frau bei wichtigen Terminen tatsächlich mal fehlte, machte man sich Gedanken. „Wo ist Erika?“, wurde dann gefragt, und wenn es sein musste, warteten selbst Bürgermeister, bis die kleine Lady in Black dann doch noch zur Tür hereintrat. „Niemand, der Erika nicht kannte und schätzte. Je älter sie wurde, desto unverwechselbarer. Ihre ‚Marke‘ – immer in Schwarz, langer Rock, breiter Gürtel, nie ohne Hut. Fast undenkbar, dass es im Rathaus ein Event gab, und Erika wäre nicht dabei“, schreibt Ex-Bürgermeister Henning Voscherau auf Abendblatt-Anfrage in einer persönlichen Erinnerung an die Frau, die er als „eine Legende der Hamburger Presselandschaft“ bezeichnet.
Auch viele andere Politiker haben sehr persönliche Erinnerungen an die so außergewöhnliche Fotografin. „Man traf sie bei fast jeder Bürgerschaftssitzung auf ihrem Stammplatz, der Bank links neben dem Plenarsaal. Sie fotografierte, hörte den Debatten zu, plauderte mit uns Abgeordneten, versank in sich selbst zu einer kleinen Pause und war dann wieder hellwach“, schreibt Anja Hajduk, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bürgerschaft. Und der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel erinnert sich, „wie sie uns bis zuletzt in den Plenarsitzungen der Bürgerschaft besuchte – immer auf der Suche nach dem besten Schnappschuss vom jeweiligen Debattenredner“.
Ans Aufhören mochte Erika Krauß wohl nie denken. Es geht doch noch, wird sie sich selbst dann gesagt haben, wenn ihr das Treppensteigen und das Tragen der Kameras immer schwerer fielen. Kein Außenstehender wird ermessen können, wie viel Kraft es sie gekostet hat, mit 80 Jahren und schließlich sogar mit über 90 einfach weiterzuarbeiten. So blieb sie einfach und fotografierte, wie die anderen kamen und gingen. „Erika Krauß wollte (und musste vielleicht auch) weitermachen, bis ihr die Kamera aus der Hand fiel. Das hat sie jetzt geschafft“, schreibt Henning Voscherau und fügt hinzu: „Von nun an wird sie in anderen Welten neue Objekte suchen. Wir werden Erika Krauß vermissen.“