Hamburg persönlich

Wenn sich ein großer schwarzer Hut dem Rathaus nähert, weiß man in der Hamburger Regierungs- und Parlamentszentrale Bescheid: Erika kommt - wie seit Jahrzehnten schon fast jeden Tag. "Ein anderes Leben kann ich mir nicht vorstellen", sagt Erika Krauß, die schwer an ihrer Kameraausrüstung schleppt. Die kleine, betagte Dame mit der markanten Kopfbedeckung ("ich habe mindestens 30 Hüte"), immer in Schwarz gekleidet, ist eine Institution in der hanseatischen Presselandschaft. Sie gehört zu der hiesigen Medien- und Politszene wie der Hafen zu Hamburg.

"In Hamburg passiert nichts Wichtiges ohne sie", stellte der damalige Bürgermeister Ortwin Runde beim (wahrscheinlich) 80. Geburtstag von Erika Krauß fest. Sie bestätigt ihr Alter niemals. Die runde Geburtstagsfeier ist schon acht Jahre her. Das Bürgermeister-Wort hat immer noch Gültigkeit.

Erika Krauß, immer für die "Hamburger Morgenpost" unterwegs, gilt als Deutschlands älteste noch aktive Pressefotografin. Die Liste der Prominenten dieser Welt, die sie vor die Kamera bekommen hat, nimmt kein Ende. Sie reicht von Charles de Gaulle bis Bill Clinton, von Nikita Chruschtschow bis Wladimir Putin, vom Schah von Persien bis Königin Silvia von Schweden, von Königin Elizabeth II. bis Prinz Charles und Lady Diana. Erika lichtete eine übellaunige Marlene Dietrich ebenso ab wie einen aufgeräumten Alfred Hitchcock, der sich in Krimimanier ein Messer an den Hals hielt.

In jüngeren Jahren machte sich Erika Krauß auch als Theaterfotografin einen Namen. Gustaf Gründgens, bis 1963 Generalintendant am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, ermahnte sie damals: "Langsam, Erika! In der Eile steckt der Teufel." Heute scheint sie sich das mehr zu Herzen zu nehmen. Zu offiziellen Terminen erscheint Erika Krauß öfter etwas später. Das hat Methode. Wenn die Fotokollegen längst gegegangen sind, kommt sie nicht selten noch zu Exklusivfotos. "Alles Erfahrung", meint sie cool.

Mit Hamburgs Politprominenz verbindet sie oft auch ein persönliches Verhältnis, etwa mit dem berühmten Altkanzler. "Helmut Schmidt habe ich schon fotografiert, als er Senator werden sollte", erinnert sich Erika. Schmidt war von 1961 bis 1965 Hamburgs Innensenator gewesen. Helmut und Hannelore Schmidt gehörten zu den Gästen, als Erika Krauß 1999 mit dem Alexander-Zinn-Preis gewürdigt wurde. Der damals mit 15 000 Mark dotierte Preis wird vom Senat alle drei Jahre für besondere publizistische Leistungen verliehen.

Der jetzige Senatschef Ole von Beust befand einmal: "Frau Krauß ist zeitlos." Frau Krauß über Ole von Beust: "Er ist mein zehnter Bürgermeister. Wir verstehen uns auch persönlich gut."

Der legendäre Max Brauer regierte im Rathaus, als Erika Krauß 1950 in Hamburg Arbeit suchte. Im polnischen Karski während des Ersten Weltkrieges geboren, hatten sie die Zeitläufe unter anderem über Berlin, Österreich, Worpswede hierher geführt. In der deutschen Hauptstadt als Kameramann ausgebildet, hat sie ab 1942 an bekannten Ufa-Filmen mitgewirkt. Weil die Filmindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg darniederlag, verschaffte sie sich ein zweites Standbein, erwarb den Meisterbrief für Fotografie. Heinrich Braune, Chefredakteur der ein Jahr zuvor gegründeten "Hamburger Morgenpost", engagierte sie als freie Mitarbeiterin. Das ist sie 55 Jahre später immer noch. Nie wollte sie sich an ein festes Anstellungsverhältnis binden lassen. "Da bin ich stur."

Erika Krauß hat es sich, und das Leben hat es ihr nicht leicht gemacht. Sechs Kinder brachte sie zur Welt (zwei leben nicht mehr), sechs Enkelkinder erfreuen ihr Herz. Ihr erster Mann starb nach dem letzten Krieg, von ihrem zweiten Mann trennte sie sich 1972. Heute wohnt sie als Single in St. Georg. Seit einem Vierteljahr fährt Erika mit dem Bus zum Rathaus - für sie "der schönste Arbeitsplatz der Welt". Sie mag es noch, wenn mächtig was los ist. "Wenn der Bär tanzt", so Originalton Krauß. Auch im fortgeschrittenen Alter mag sie Beruf und öffentliches Leben nicht missen. "Ich mache das, solange ich kann", erklärt Erika Krauß resolut. "Das ist doch klar."