Im Frühjahr 2013 soll der neue Hamburg-“Tatort“ mit Til Schweiger ausgestrahlt werden. Das Abendblatt war an den letzten Drehtagen am Set.
Man weiß nicht, wohin man zuerst gucken soll. Auf dieses Großraumbüro in erschöpftem Beige und Dottergelb, das aussieht, als hätte man es in den 70er-Jahren abmontiert und an diesem nieselgrauen Dezembertag in der City Nord wieder aufgebaut. Oder auf Til Schweiger, der sich eine Brötchenhälfte mit Scheibenkäse in den Mund schiebt und mit zugekniffenen Augen das Set checkt. "Das ist es, wir haben es gefunden", dachte Regisseur Christian Alvart, als er bei den Drehvorbereitungen das zweite Stockwerk der Ergo Lebensversicherung betrat, das als LKA-Zentrale im neuen Hamburg-"Tatort" dient.
Wer bisher keine Kopfschmerzen hatte, bekommt sie jetzt, beim Blick auf die dicht gestaffelten Neonleuchten in der niedrigen Decke. Aber das ist nur die schnöde Wirklichkeit. Auf dem Regiemonitor wirken die Bilder wie ein kühles, flirrendes Lichtspiel. Und damit anders als die Egal-Durchschnittsbürowelten deutscher Fernsehkommissare.
Nun kann man fragen: Wer interessiert sich für ein Großraumbüro, immerhin eines der größten Europas, wenn Til Schweiger im heiligen ARD-Sonntagskrimi den Kommissar spielt? Nun, immerhin ist ein Versprechen der Macher, dass nicht nur die Hauptfigur, sondern auch der gesamte Look mit "Tatort"-Sehgewohnheiten bricht. Hamburg wird nach mehr aussehen als einem Postkartengruß auf zwei Beinen.
Die Staatsanwaltschaft etwa residiert im neuen "Spiegel"-Gebäude, die Elbphilharmonie wurde nachts aus dem Helikopter gefilmt. "Auf dem Dach der Elbphilharmonie war es richtig ätzend, nass und kalt, da haben wir uns alle ordentlich erkältet. Aber für die Aufnahmen hat es sich gelohnt. Hamburg sieht aus wie Washington D.C.", sagt Til Schweiger, der nach 22 Drehtagen viel weniger müde wirkt, als er angeblich ist. "Es war dann doch viel anstrengender, als ich gedacht habe. Wir haben jetzt fünf Tage hintereinander nachts gedreht, da kommt man völlig aus dem Rhythmus, und es wird mit jeder Nacht schlimmer", sagt der Schauspieler, dem ja so manches nachgesagt wird, aber gewiss nicht, zimperlich zu sein. Auch der neue Hamburg-Kommissar mit dem klingenden Namen Nick Tschiller ist kein Typ, der sich um Augenringe sorgt. Keiner, der morgens eine halbe Stunde vor dem Badezimmerspiegel verbringt. Er trägt Jeans zu schwarzen Boots und hat ein paar ordentliche Katscher im Gesicht. "Das wird noch viel schlimmer im Lauf des Films", sagt Schweiger grinsend. "Am Schluss ist der richtig verbeult." Scheint ihm zu gefallen, die vielen Schrammen, Action und Stunts, das hier soll schließlich kein Wellnesswerk für den Vorabend werden.
Dass Tschiller zu jenen Unglücksraben gehört, die Ärger magisch anziehen, wird schon in diesen LKA-Szenen deutlich, den letzten Szenen vor Drehschluss. Eben erst aus Frankfurt nach Hamburg gewechselt, die Reste der "Willkommen"-Torte bröckeln noch vor sich hin, hat es der neue Ermittler bereits geschafft, den Chef gegen sich aufzubringen, steckt immer irgendwo zwischen Dreiviertelkatastrophe und Volldesaster. "Der gerät gleich in einen Riesenschlamassel, ohne etwas dafür zu können. Und der Chef ist immer sauer auf ihn", sagt Schweiger. So hatte man sich das auch vorgestellt. Denn mit Verkündung der Personalie stand fest: Dieser Kommissar ruft nicht den Schlüsseldienst, er tritt die Tür ein. Er fragt nicht: "Wo waren Sie gestern um halb fünf?" und trägt die Dienstwaffe nicht bloß zur Dekoration mit sich herum. Mitarbeiter des Monats werden andere.
Draußen versinkt Hamburg im Nebel, ein undurchdringliches Schiefergrau. Drinnen besteht Tschiller darauf, die Zeugin, eine junge Prostituierte in Leopardenkunstfell, persönlich beim Jugendnotdienst abzuliefern. "Aber Sie haben um 15 Uhr eine Anhörung bei der Staatsanwaltschaft", bellt Tim Wilde als Chef Petretti. "Liegt aufm Weg", sagt Tschiller und sitzt schon fast im Auto. "Woher weiß der Hessekopp, was auf dem Weg liegt?", fragt Petretti den Teppichboden, der die letzten Silben verschluckt. Ein kurzer Dialog, wie nebenbei gesprochen, plus Tempo plus Witz. Regisseur Alvart nickt und wirkt ohnehin tiefenentspannt für die Tatsache, dass er mit "... und bist du nicht willig" eine Art öffentlich-rechtliches Fernsehereignis für das Frühjahr 2013 dreht. "Es ist noch mehr Humor dazugekommen, als schon im Drehbuch stand", sagt er zufrieden.
Mehr von allem. Das ist in etwa die Botschaft, die Til Schweiger transportiert, seit er den "Tatort"-Job angetreten und damit in der deutschen Fernsehlandschaft nicht weniger als eine Identitätskrise ausgelöst hat. Schweiger hüpft vom Bürostuhl und schlendert Richtung Mittagspause, Hirschgulasch. Er hinkt ein wenig. In seiner Welt nennt man das größtmöglichen Einsatz.