“Skyfall“ ist der patriotischste Bond-Film aller Zeiten, auch wenn Craig aus lauter Midlife-Verzweiflung in Jogginghose rumlaufen muss.
Hamburg. James Bond ist verliebt. Nicht, dass er das jemals direkt zugeben würde während der 145 adrenalinbetankten Minuten, in denen "Skyfall" nach vier Jahren Bond-Entzug in Atem hält. Aber 007 ist tatsächlich verknallt, mehrfach sogar. Zunächst in eine Frau - in M, seine mütterliche Beschützerin und Vorgesetzte; die beiden reiben ihre Muffeligkeiten so virtuos aneinander wie ein altes Ehepaar. Dann in seinen Job - so sehr, dass er sich uns in Jogginghose mit Gummibund an den Knöcheln zumutet. Jüngere wollen ihm vorschreiben, wo sein Platz als Angestellter sein soll. Mit frustriertem Blick, unrasiert und fern der inneren Heimat steht er da und versteht diese schöne neue Welt nicht mehr, in der er womöglich keine Hauptrolle mehr spielen darf. James Bond, ewiger Haudrauf, nur noch ein grau melierter Panther in der Midlife-Crisis? Ein erschütternder Anblick, diese Jogginghose, Welten getrennt vom Anzug, der auch nach dem Sprung ins Abteil eines fahrenden Zuges so tadellos sitzt, als wäre er von Tom Ford auf die Muskelpakete von Daniel Craig tätowiert.
Vor allem aber ist Bond verliebt in seine Heimat. Der 23. Bond, der gestern in Berlin Galapremiere feierte, ist der britischste seit Langem. Dieser Bond ist ein glühender Vaterlandsverteidiger, der zwar zwischen Istanbul und Shanghai seine Arbeit erledigt, aber nur, um Großbritannien vor Übel zu bewahren.
Die Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele, als 007 mit der ähnlich resoluten und ähnlich zeitlosen Queen Elizabeth zur Begrüßung vom Himmel über London fiel, waren als Werbemaßnahme für die Windsors und ihren letzten Ritter gerade großartig genug, um rund 900 Millionen Menschen in aller Welt zu demonstrieren, dass Bond und Great Britain, allen Wirtschaftskrisen zum Trotz, nach wie vor in eigenen Ligen spielen. Auferstehen aus Ruinen, wie das geht, hatten die MGM Studios vorgemacht, deren Bankrott fast das endgültige Aus für den globalen Markenartikel Bond gewesen wäre. Aber eben nur fast, denn die Multimillionenshow musste weitergehen.
Die Amerikaner haben in diesem Sommer eine sehr unklassische Reinkarnation von Jason Bourne über die Leinwände gehetzt, deren Spezialagententreibstoff in Doping-Pillen steckt. Ein Agent Ihrer Majestät braucht so etwas nicht. Ihm genügt ein Auftrag, eine Erinnerung an Winston Churchills Blut-Schweiß-und-Tränen-Durchhaltewillen und ein Hütehundblick über die Dächer des imperialen Londons als Motivation. Und wann wurde je in einem Film, der weltweit abkassieren soll, aus einem Tennyson-Gedicht zitiert, um die Existenzängste einer bedrohten Weltmacht zu erklären?
Von Q (Ben Whishaw, 22 Jahre jung), der sein Sohn sein könnte, wäre diese Vorstellung nicht so surreal, erhält Bond nur eine maßgeschneiderte Pistole und einen stinknormalen Peilsender ins Reisegepäck. Das muss reichen. Tut es dann auch, für alles andere wird auf Flinten, Fäuste und gutes altes Nachdenken zurückgegriffen.
Die Themenseite zum neuen Bond
"Skyfall" ist aber auch ein archaisches Familiendrama. Es gibt dort neben der von Judi Dench mit viel Pitbull-Charme verkörperten Übermutter M sowohl Bond - den mal mehr, mal weniger Gehorsamen - als auch einen wegen Aufmüpfigkeit verstoßenen Ziehsohn. Für Javier Bardem als Cyber-Terrorist Raoul Silva hat "Skyfall"-Regisseur Sam Mendes im Mittelteil seines Bond-Debüts einen Auftritt inszeniert, der große Oper ist und Bardem einen sehr guten Platz in der Ahnengalerie der Bond-Fieslinge sichern dürfte. Zur Sicherheit hat er dem Spanier eine nikotinfingerblonde Frisur verordnet, die noch übler aussieht als der Topfschnitt, mit dem Bardem 2007 als Auftragskiller durch "No Country for Old Men" stapfte. Dazu noch eine Prise Hannibal Lecter aus dem Archiv der Kinomassenmörder, und fertig ist etwas ganz Feines.
Die Geschichte von "Skyfall" ist schnell erzählt: Auf dem Radar des britischen Geheimdiensts erscheint aus dem Nichts ein apokalyptisch bedrohlicher Riesenschurke mit exotischem Wohnsitz, den nur ein so abgebrühter Routinier wie Bond zur Strecke bringen kann. Diesmal sollen vor den Augen des Internets alle Agenten enttarnt werden, die von den Briten in Terrororganisationen eingeschleust wurden, WikiLeaks lässt grüßen. Es geht also nicht um irgendein Vermögen, das beim nächstbesten Börsencrash verdampfen könnte, sondern um fundamentalere Werte.
Und weil jeder Bond in jedem seiner Filme wieder bei Doppelnull beginnen darf, setzt Mendes dafür einen genialen Trick ein. Zu Bonds erstem Auftauchen treibt er den Puls seines Stammpublikums mit den ersten beiden Tönen des klassischen 007-Leitmotivs in die Höhe. Bond ist nur als scharf gezeichneter Schatten sichtbar, ein Scherenschnitt seiner selbst, eine Silhouette seines Ruhms, während dieses Agententhema wie Wagners "Tristan"-Akkord spannungsgeladen alle Wege offen lässt. Wohin die Reise gehen wird, ist völlig unklar, nur eines sollte man dabei nicht vergessen: das Anschnallen. Denn was dem mondän-nostalgischen Titelsong von Adele folgt, ist der längste, rasanteste, auf jeden Fall aber radikalste Opener seit "Dr. No".
Die Zahl der Bond-Girls, die als optische Sättigungsbeilage durchs Bild laufen dürfen, hält sich auch in "Skyfall" in Grenzen, es gibt Wichtigeres als die Hasenjagd. Bond trinkt, zumindest im Dienst, kaum, raucht sowieso nicht, und wer ihn mit der Frage "Country?" konfrontiert, kriegt ein wie aus der Walther PPK geschossenes "England" zurück. Dienst ist Dienst, Martini ist Martini.
Dass diesem Bond hin und wieder Gefühle den Blick fürs Wesentliche trüben und ihn im Finale auf eine Reise in die eigene Vergangenheit in die schottischen Highlands abschweifen lassen, ist so ziemlich die einzige Schwäche des Films. Und dass Bond in einer Szene tatsächlich weint? Niemand ist perfekt.
"Skyfall", ab morgen in den Kinos