Namensforschung: Immer mehr Deutsche suchen nach ihren Ursprüngen - dem ZDF ist das heute eine TV-Show wert. Müller, Meyer, Schulze sind einfach. Aber was bedeuten Merkel, Stoiber, Müntefering?
Hamburg. Deutschlands erfolgreichster Entertainer sitzt zwar im Fernseh-Olymp und der Schalk ihm im Nacken, aber mit seinem Familiennamen hat das nichts zu tun: "Gottschalk" heißt "Gottesknecht" und deutet eher auf ein Erdenleben in frommer Demut. Beim letzten Bundeskanzler dagegen gilt das "Nomen est omen" gleich in doppelter Hinsicht: Die mittelalterliche Berufsbezeichnung "Schröder" meint den Zuschneider teurer Tuche ebenso wie den, der edle Weine verlädt.
Deutschlands vielfältige Namenswelt hält für Experten viel Bezeichnendes und für Laien noch mehr Überraschendes bereit. Die meisten Menschen interessieren sich nur für einen einzigen Namen: den ihren. Sie möchten nicht etwa wissen, daß die heute vielzitierte "Tussi" von der tugendhaften Thusnelda kommt, die vor zwei Jahrtausenden als Gemahlin des germanischen Freiheitshelden Arminius nach Rom verschleppt wurde. Viel lieber möchten sie etwas über die eigenen Ursprünge erfahren: Was bedeutet unser Name, wo kommen wir her, wer und was waren unsere Ahnen?
Die Antworten finden sich in ferner Vergangenheit. Rufnamen kennt der Mensch seit der Steinzeit, Vornamen erwarb er mit der Kultur, den Familiennamen aber schuf die Bürokratie - in Deutschland seit dem Mittelalter, in Ländern wie Ägypten oder der Türkei erst im 20. Jahrhundert.
Hauptursache war ein fataler Hang zu Mode-Namen, wie er zu allen Zeiten kleine Wilhelms, Adolfs oder Kevins trifft: Im 11. Jahrhundert etwa hieß in Nürnberg jeder dritte männliche Einwohner Peter. Die Not lehrte, einen hochgewachsenen "langen Peter", einen zugewanderten "Augsburger Peter" und einen "Peter der Schmied" zu unterscheiden. Lange aber reichte das nicht aus, denn schon der Enkel des langen Peter konnte ein Zwerg sein, und der des Augsburger Peter wußte vielleicht selber nicht mehr, daß sein Großvater aus Schwaben stammte. Deshalb sorgte die Verwaltung in ihren Grundbüchern und Steuerlisten dafür, daß der väterliche Beiname auf den Sohn überging - die Familiennamen war erfunden.
Die ersten prägten persönliche Eigenschaften, von der Haarfarbe bis zur Hirnleistung. Nach diesem Muster gibt es heute schwarz oder braun, groß und klein, klug oder Narr. Seltenere Namen charakterisieren umso präziser: Gefräßige wurden gern "Pfannkuchen", "Säufer" "Guckinsgla" oder Frühaufsteher "Morgenschweiß" genannt.
Seit unter Kaiser Konrad II. im Jahr 1037 Lehen erblich wurden, nannten ihre Besitzer sich nach ihrem Wohnsitz - erst Adelige wie die Wittelsbacher oder die Habsburger, später auch das gemeine Volk der Bremer, der Frankfurter oder der Adenauer aus Adenau in der Eifel. Geographisch weniger exakt kamen Bayer, Schwab oder Böhm zu ihren Namen. Auf dem Land genügte schon die kleine Kate am Anger, um einen Angerer, und der Acker am Bach, um einen Bachmann, oder der Hof am Ende des Dorfes, um einen Amend zu identifizieren. Und Günter Jauch muß sich gar nicht genieren, sein Name geht auf ein garantiert geruchsneutrales alemannisches Ackermaß zurück.
Städter orientierten sich gern am vom Vater ererbten Beruf und hießen fortan Fleischer oder Schreiner. Dem Moderator der ZDF-Show "Deutschland deine Namen" (heute 20.15 Uhr), Johannes B.Kerner, erzählt der Familienname von Vorfahren aus dem Speditionsgewerbe: entweder fuhren sie Karren, oder sie schleppten Kornsäcke. Der "Krempelsetzer" breitete Kurzwaren zum Verkauf aus, der "Gänseräufer" handelte mit Geflügel und rupfte es auch, und der Sauschneider fertigte keine miserablen Anzüge an, auch nicht solche für Ferkel, sondern verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er Schweine kastrierte.
Auch die Schleifnamen, die Handwerker bei der Gesellentaufe erhielten, bewahren Andenken an die Arbeitswelt: Zwirn für einen Schneider, Stör für einen Fischer oder Kalteisen für einen Kesselschmied, der ohne Feuer werkte. Auch Tiernamen wurden bald populär: Wilde Kerle hießen Wolf, schlauer Fuchs und gierige Geier. Frauen trugen anfangs den Namen ihres Ehemannes mit, oft mit der Endung -in, was zu so interessanten Bildungen wie "Eberin" führte.
Viele Familiennamen sind aus Vornamen geformt, aus heidnisch-germanischen wie Walter ("Herrscher des Volkes"), häufiger aus christlichen wie dem besonders beliebten Johannes ("Gott ist gnädig"), der bis heute als Hanselmann, Hansen, Henne, Henneke, Jahnke, Jaschke, Jensen und in zahllosen weiteren Variationen die Standesämter überschwemmt. Auch Komponist Händel, Jungnationalspieler Hanke oder Turnvater Jahn gehören zur Familie. Erst suchten die Eltern Namen aus der Bibel, später wurden sie auch in den frommen Legenden des Hochmittelalters fündig. Der hl. Gottschalk (um 900 - 966), erster getaufter Slawenfürst östlich der Elbe, starb als Märtyrer unter den Waffen heidnischer Aufständischer. Sein Name ist besonders in Ostdeutschland populär; die Eltern des Showmasters stammten aus Schlesien.
Wie heute viele Eltern ihren Kindern durch besonders moderne und prestigeträchtige Namen Starthilfe geben wollen, nutzten Ehrgeizige im Humanismus ihre Bildung zur Umwandlung gewöhnlicher in ungewöhnliche, weil lateinische Namen: Aus manchem Weber wurde ein "Textor", aus manchem Müller ein "Molito", und ein Nachfahr braver Bohnenbauern machte aus seinem bescheidenen "Bohneß" einen beeindruckenden "Fabarius".
Volkskundler nutzen Namenslisten als ein wichtiges Hilfsmittel: Wann und wo entstanden welche Berufe, woher und wohin führten Wanderungen großer Bevölkerungsgruppen mit ihren Sprachen und Dialekten? Eher dem privaten Vergnügen dient die Erforschung der Familiengeschichte. Am meisten Spaß aber macht die Untersuchung der Namen prominenter Zeitgenossen nach ihrer Herkunft und Bedeutung. Merkel kommt vom germanischen Markward, dem "Hüter der Grenze", ein Vorfahr Münteferings scheint Münzen geschlagen zu haben, und Stoiber wurde schon 1295 in Straßburg ein Herr genannt, der nach der Chronik "viel Staub aufwirbelte und dann ganz schnell wegrannte".
- Jürgen Udolph : Professor Udolphs Buch der Namen (Bertelsmann, 18 Euro ).
Duden Familiennamen . Herkunft und Bedeutung von 20 000 Nachnamen (Bearbeitet von Rosa Kohlheim, Volker Kohlheim, 960 S., 24,95 Euro ).
Max Gottschald : Deutsche Namenkunde (Walter de Gruyter, 667 S., 108 Euro ).
Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet (255 S., 15 Euro ).
Hans Bahlow : Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt (Suhrkamp, 15 Euro ).
Namensforschung im Internet über den Onlinedienst Geogen. Link: http://christoph.stoepel.net/Geogen.aspx