Mit 103 fix dabei: Am Sonnabend singt er in den Kammerspielen. Auch sonst lässt sich Johannes Heesters vom Alter nicht unterkriegen.

Starnberg. Das Haus liegt hübsch am Hang in einem Villenviertel über Starnberg, der Eingang ist nur über einen steilen Weg und eine unregelmäßige Treppe zu erreichen, die eine Wiese durchquert, auf der Mitte Februar Schneeglöckchen und Krokusse blühen. Hier lebt der älteste noch aktive Schauspieler und Sänger der Welt, Johannes Heesters (103), liebevoll betreut von seiner zweiten Frau Simone Rethel-Heesters (57). Abendblatt-Redakteur Hans-Juergen Fink hat den quicklebendigen Altstar besucht und mit ihm über das Alter, seine Lebenslust und auch über Geschichten aus der Vergangenheit gesprochen.

ABENDBLATT: Herr Heesters, Sie leben in einer Region des Lebensalters, in die nicht viele Menschen hineinkommen werden. Da sind viele neugierig auf Ihre Erfahrungen.

JOHANNES HEESTERS: Ist doch fürchterlich! Die meisten denken: Der kann doch nicht mehr reden - die wissen einfach nicht, dass ich halb blind bin. Also, ich kann hier ein bisschen sehen, aber ich kann Sie nicht gut sehen. Sie haben, glaube ich, schwarzes Haar . . .

ABENDBLATT: Na ja, ich habe ausgesprochen wenige Haare.

HEESTERS: Ach so. Gut, also das kann ich nicht sehen, und das ist schlecht für die Erinnerung. Wenn man mich fragt: Wann, wo, wie warst du da - dann muss ich nachdenken, ich komm nicht drauf. Erinnerungen brauchen die Augen.

ABENDBLATT: Seit wann können Sie nicht mehr so gut sehen?

HEESTERS: Das ging vor mindestens zehn Jahren los. Es ist sehr schwierig.

ABENDBLATT: Sie gehen aber trotzdem noch auf die Bühne - in diesem Monat in Hamburg, München und Leipzig. Und das mit einem neuen Programm.

HEESTERS: Das macht mir nichts aus. Meine Frau und mein Pianist nehmen meine Hände, dann gehen wir alle drei auf die Bühne. Dann schau ich mein Publikum an und sage: "Meine Damen und Herren, ich weiß, was Sie denken: Der Heesters muss hergebracht werden, er kann nicht mehr gehen - der Arme! Aber so ist es nicht. Das sind nur die Augen. Es ist nicht das Alter, denn jetzt singe ich ein Lied für Sie." Und dann geht's los.

ABENDBLATT: Was werden Sie singen, wenn Sie nach Hamburg kommen?

HEESTERS: Ich singe Lieder. Lieder, die ich früher auch gesungen habe und die hier momentan nicht gesungen werden - hier werden ja nur so die Liedchen aus der Popmusik gesungen. Ich singe seriöse Lieder, nicht zu seriös, aber schön. Aus dem "Bettelstudent", der "Gräfin Mariza", aus der "Lustigen Witwe", natürlich das "Maxim". Den Anfang mache ich mit "Ich knüpfte manche zarte Bande" - das packt die Leute, das kann man mit der Stimme gleich groß verkaufen.

ABENDBLATT: Sie moderieren auch selbst.

HEESTERS: Ich mach das jeden Abend anders. Ich erzähle dann, was ich wann gesungen habe. Und erklär die Lieder. In der Operette reicht die Stimme allein nicht, man muss auch Theater spielen, komödiantisch sein, das mach ich. Ich war 85, da hab ich noch die "Lustige Witwe" gesungen in der Volksoper. Heute mach ich das nur mit Klavier - ich steh allein und sing eben Konzert.

ABENDBLATT: Und Sie sind dabei, Simone Rethel?

SIMONE RETHEL-HEESTERS: Bisher hab ich immer zwischen den Liedern gelesen, diesmal mache ich eine Multimedia-Show mit Texten und Bildern aus Jopis Leben. In Hamburg ist unsere Premiere; ich hoffe, dass es reizvoll ist.

ABENDBLATT: Was treibt jemanden in Ihrem Alter auf die Bühne? Kommen nicht viele Leute nur noch, um zu sehen, ob Sie das überhaupt schaffen?

HEESTERS: (lacht) Das fragen Sie ganz ernsthaft mich? Es gibt Kollegen, die sind 40, 50 Jahre auf der Bühne, und dann kommen sie ins Rentenalter und freuen sich: "Mensch, ich brauch nicht mehr spielen, nicht mehr schminken, nicht mehr lernen. Ich bin frei, ich kann machen, was ich will." Na wunderbar, ich hab dazu nichts gesagt. Nach dem ersten Monat sagen die: "Wunderbar, herrlich". Im zweiten Monat werden sie ruhiger, und im dritten Monat wünschen sie sich auf die Bühne zurück. Sehen Sie, ich habe keine Rente, und ich arbeite weiter und bin glücklich. Und die anderen sitzen da und ärgern sich, weil sie nicht mehr spielen.

RETHEL-HEESTERS: Es ist doch erstaunlich, dass man sich entschuldigen muss, wenn man gern arbeitet. Ich bin Botschafterin für die Initiative "Altern in Würde" und hab mich mit vielen Ärzten unterhalten, und ich glaube: Wenn man keine Aufgaben mehr hat, baut man geistig und körperlich ab. Manche Leute fragen: Warum genießt er nicht das Leben? Das Leben genießen, das ist für ihn die Bühne.

ABENDBLATT: Aber das Publikum ist natürlich auch neugierig, weil Johannes Heesters so alt ist. Wundern Sie sich denn selbst manchmal darüber, dass Sie immer älter werden?

HEESTERS: (lacht) Ich hab immer viel Sport getrieben, als junger Mann, bin viel Fahrrad gefahren, hab geboxt - nicht in Wettkämpfen. Aber mit den Trainern hab ich richtig geboxt, bis ich dachte: Oh je, ich hab ihm wehgetan. Aber ich spüre nicht, dass ich älter werde. Man hört es nur von anderen, dass man alt wird.

ABENDBLATT: Sie freuen sich über Ihr gesegnetes Alter. Aber gibt es nicht auch Dinge, die Ihnen ärgerlich und lästig sind?

HEESTERS: Früher hab ich darüber nicht nachgedacht. Heute muss ich das. Ich leb ja noch von meinem Beruf, also darf ich nicht hinfallen, denn dann - bumm - ist es aus damit. Ich übe jeden Tag meine Stimme. Dass man mit 103 Jahren noch singen kann, ist wunderbar. Ich frag mich immer wieder, ob es noch geht, aber dann sing ich (singt so laut, dass der Handwerker, der draußen bohrt, verstört innehält), und dann weiß ich, es geht.

ABENDBLATT: Sänger müssen beim Älterwerden ihre ganze Technik umstellen, weil die Kraft der Jugend langsam schwindet.

HEESTERS: Sehr richtig. Es hat aber auch viel mit Sport zu tun. Ich geh zweimal in der Woche zur Sportschule und arbeite mit Gewichten. Ich stemme sie 20-mal und nach zwei Minuten wieder 20-mal. Und es gibt andere Geräte. Das ist für mich auch die Kraft, die man auf der Stimme hat. Stimme ist auch, wie man sich insgesamt fühlt.

ABENDBLATT: Gibt es denn Momente, wo Sie denken: Kinder, jetzt bin ich aber wirklich alt!

HEESTERS: (lacht laut) Ich kann Ihre Neugier da einfach nicht befriedigen. Ich denke nicht daran, dass ich wirklich alt werde. Natürlich, ich bin 103 Jahre, im Dezember werde ich 104, aber die Stimme ist da. Die innere Einstellung auch. Ich mach mir keine Sorgen.

ABENDBLATT: Manchmal sieht man, dass andere sich so in dieses Älterwerden hineinfallen lassen und plötzlich sagen: Da- oder dafür bin ich zu alt.

HEESTERS: Das sagen viele. Es gibt Menschen, die beschließen einfach irgendwann: Jetzt bin ich alt, jetzt muss ich Ruhe haben. Dabei ist der noch ein ganz frischer Kerl. Aber er denkt: Er ist alt. Es gibt ja auch Schauspieler, die reden die ganze Zeit von früher und von ihren großen Erfolgen. Ich denke da nur: Mensch, halt die Klappe, du bist so eitel.

RETHEL-HEESTERS: Er spricht überhaupt nicht von früher. Eigentlich nur, wenn Journalisten kommen. Er lebt im Heute und spricht über das, was als nächstes kommt.

ABENDBLATT: Aber auch das Nichtbeschäftigen mit der Vergangenheit wird Johannes Heesters vorgeworfen - nicht nur der Besuch im KZ Dachau und die Diskussion darum, ob Sie dort für die SS-Bewacher gesungen haben oder nicht. Denken Sie darüber nicht nach? Sie sind den Top-Nazis ja vielfach begegnet.

HEESTERS: Ich kannte den Herrn Hitler persönlich, ich kannte den Doktor Goebbels persönlich, ich kannte die ganze Clique persönlich. Ich war nicht in dem Verein, der NSDAP, da war ich nicht, ich war ja Holländer und bin es bis heute. Ich war hier engagiert am Theater und hatte viel Erfolg. Die wollten mich natürlich immer wieder haben.

ABENDBLATT: Denkt man im Alter über diese Zeit noch mal nach und fragt sich: Was ist damals eigentlich passiert?

HEESTERS: Ja. Die Sache mit Goebbels zum Beispiel. Ich habe in Holland 1938 Theater gespielt mit Fritz Hirsch, einem jüdischen Freund, der nach Holland emigriert war, und mit anderen jüdischen Emigranten. Ich habe gefragt, ob da jemand was dagegen hat. Nein, ich durfte das machen. Dann kam ich zurück und wurde zu Goebbels zitiert. Er kommt hereingehinkt und sagt: "Ich habe Sie bestellt, weil ich mal etwas wissen muss: Sie waren in den letzten Tagen in Holland?" - "Ja, es war sehr schön, Doktor." - "Sie haben da mit Juden Theater gespielt, Sie wissen, dass wir dagegen sind." - "Ja, ich hab immer mit Juden gespielt in Holland, immer." Da sagt er noch mal: "Wir sind dagegen." Und ich: "Aber wir nicht. Mensch ist Mensch." Eine kleine Stille. "Heesters, Sie arbeiten hier in Deutschland, Sie haben viel Erfolg, Sie verdienen hier Ihr Geld. Warum werden Sie kein Deutscher?" Und ich: "Na hören Sie, Herr Doktor, ich Deutscher? Warum denn? Ich bin Holländer, und ich bleibe es. Was würde denn der Herr Hitler sagen, wenn er hörte, Sie werden Holländer?" Große Stille. "Sie mit Ihrem Charme, Sie können gehen." Er dreht sich um und lässt mich sitzen. Ich habe nicht meinen Mund gehalten. Als in München der Hitler in die "Lustige Witwe" kam, haben alle geraunt: Der Hitler ist drin, der Hitler ist drin. Ich hab gesagt: "Na und, der ist auch Publikum." Aber ich habe mir nichts von ihnen sagen lassen.

RETHEL-HEESTERS: Er war kein Nazi - es gab ja welche, die waren richtige Nazis. Er hat auch damals in Dachau nicht gesungen, das ist längst bewiesen. Es ist alles untersucht worden, wir haben die Archive durchwühlen lassen, ob es irgendetwas gibt gegen Jopi - es gibt aber nichts. Er muss sich auch gar nicht rechtfertigen.

ABENDBLATT: Wünschen Sie sich, noch mal jung zu sein?

HEESTERS: Ich sing sogar ein Lied: Ich bin Gott sei dank nicht mehr jung . . . Ein Junge geht mit einem Mädchen aus, ein Schatz ist das, wunderbar. Und dann bringt er sie zu spät nach Hause, und der Vater ist bitterböse. Was hat man denn da von der Jugend? Ach Gott, in dem Alter ist alles so ernst, das ist fürchterlich.

ABENDBLATT: Was bedeutet für Sie, glücklich zu sein?

HEESTERS: Glücklich zu sein heißt, dass ich gesund bin, dass ich ein lieb Frauje habe, dass die Familie keine Sorgen hat und genug zu tun hat. Und ich lebe hier frei herum und damit bin ich zufrieden - und glücklich, wenn die Stimme noch gut bleibt, das ist heute die Hauptsache. Ich sitze manchmal einfach nur da und sage: Ich bin heute so glücklich. Ist das nicht schön? Aber nun mal ne Frage von mir: Was hat das alles mit meiner Premiere in Hamburg zu tun?

ABENDBLATT: Wenn alle diese Fragen beantwortet sind, können sich die Zuhörer in Ihrem Konzert vielleicht auf Ihre Musik und nicht auf Ihr Alter konzentrieren.

HEESTERS: Das sollen sie auch.

  • Johannes Heesters singt am Sonnabend, 10. März, 20 Uhr, in den Hamburger Kammerspielen. An seiner Seite: Simone Rethel. Die Karten kosten 30-55 Euro .

Johannes Heesters - ein Mensch und ein Jahrhundert heißt der opulente Bildband, in dem Simone Rethel das Leben ihres Mannes versammelt hat (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 313 Seiten; 49,90 Euro ).