Terry Gilliams exzentrischer Fantasyfilm “Das Kabinett des Dr. Parnassus“ um ein Wandertheater zeigt Heath Ledger in seiner letzten Rolle.

Frankfurt/Main. Der tragische Tod von Heath Ledger im Januar 2008 betrübte besonders Regisseur Terry Gilliam. Er musste den Dreh seines Fantasy-Märchens „Das Kabinett des Dr. Parnassus“, in dem Ledger eine Hauptrolle spielte, abbrechen.

Unterstützt von Ledgers prominenten Kollegen konnte er sein Werk dennoch beenden. Doch angesichts der Vorgeschichte wirkt in dem am 7. Januar anlaufenden Film Ledgers erstes Erscheinen als Gehängter unter einer Themsebrücke besonders gespenstisch.

Ledger spielt den zwielichtigen Tony, der von einer bankrotten Wandertheatertruppe gerade noch rechtzeitig vorm Strick gerettet wird. In einem Zirkuswagen ziehen der versoffene Dr. Parnassus, seine liebreizende Tochter Valentina, der Zwerg Percy und Assistent Anton durch das London von heute. Doch mit ihrem nostalgischen Varieté vergraulen sie die Zuschauer.

Als aber Seelenfänger Tony die Vermarktung in die Hand nimmt, blüht das Geschäft. Dadurch macht er russische Mafiosi, bei denen er eine Rechnung offen hat, auf sich aufmerksam – und Parnassus wird von dem diabolischen Mr. Nick, mit dem er einst eine fatale Wette eingegangen war, heimgesucht.

Terry Gilliam, Mitbegründer der legendären Monty Pythons-Komikertruppe, ist eine Klasse für sich: Ein Filmemacher mit einer fantastisch-skurrilen Handschrift und ein Garant für anregend verrückten Augenschmaus. So waren „Time Bandits“ (1981) und „Brazil“ (1985) schon Kultfilme, als der Begriff noch nicht existierte.

Doch in den letzten Jahren erwischte der Überzeugungstäter eine Pechsträhne. Nach „Die neuen Abenteuer des Baron Münchhausen“ entpuppte sich auch sein „Don Quichotte“-Projekt als Millionengrab. Sein letzter Film „Die Gebrüder Grimm“ (2005) scheiterte, weil, so Gilliam, ihm Produzenten ins Handwerk pfuschten.

Diesmal schafft er es ganz ohne Produzentennachhilfe, seine Geschichte zu vermurksen. Gilliam, der wie stets vergeblich darum kämpft, seine Einfälle unter einen Hut zu bringen, verläuft sich in seinem Ideenlabyrinth wie die Kunden in Parnassus' Kuriositätenkabinett. Das macht aber fast gar nichts, weil letzteres ohnehin den Clou des Films darstellt: Wer in Parnassus' Zauberspiegel tappt, betritt eine Parallelwelt unterdrückter Sehnsüchte und Abgründe, die auch der Zuschauer nie mehr verlassen will. Daneben machen auch die bemerkenswerten Darsteller das Handlungs-Tohuwabohu meist gnädig vergessen.

Angefangen vom viktorianischen Trödel über die psychedelische Welt hinter dem Spiegel bis hin zu faustisch-philosophisch-buddhistischen Anspielungen präsentiert Dr. Gilliam erneut eine Wundertüte, die vor bizarren Bildern überquillt und an seine früheren Filme, auch an die Siebziger-Jahre-Ästhetik der Monty Pythons, erinnert.

Per Computer erschafft Gilliam surreal-poetische Gefilde und starke Metaphern voller Witz. Frauen spazieren winzigklein zwischen gigantischen Stöckeln, Männer klettern auf Leitern in den Himmel, Mafiosi kriechen unter die Röcke einer Babuschka.

Geradezu genial ist der Ersatz für Heath Ledger, der in der Spiegelwelt durch Hollywoods attraktivste Männer – Jude Law, Colin Farrell und Johnny Depp – gedoubelt wird, was in der Traumlogik dieses Universums durchaus Sinn macht.

Ein Hingucker ist neben Christopher Plummer als 1000-jährigem Theaterchef auch Valentina mit ihrem Porzellanpuppen-Gesicht, gespielt vom britischen Model Lily Cole. Andrew Garfield als Jüngling Anton glänzte zuletzt im Drama „Boy A“, und Sänger Tom Waits mimt einen sardonischen Teufel mit Melone: Ein wunderbares Durcheinander von einem Film.