Im Bayreuther Tattoo-Skandal eskaliert der Streit um die Bedeutung eines Symbols, das in der Popkultur oft präsent war - links wie extrem rechts.
Hamburg. Die Empörung ist groß, die Überraschung ebenso. Denn da ist ein Hakenkreuz, wo keines sein soll: auf der Brust von Evgeny Nikitin , der bei den morgen beginnenden Bayreuther Festspielen für die Titelpartie im "Fliegenden Holländer" vorgesehen war. Ist das die "Torheit eines 16-jährigen Rocksängers", die er, mittlerweile zum Bassbariton gereift, "längst bereut" hat, wie Nikolaus Bachler , Intendant der Bayerischen Staatsoper, meint? Oder ist es vielmehr so, dass das Hakenkreuz auf des Sängers Brust einen augenblicklich an die höchst unschöne Liaison der Nachkommen Richard Wagners mit den Nazis denken lässt?
Tatsächlich hat es das Hakenkreuz, mit allerdings höchst unterschiedlichen Bedeutungen, längst in den Fundus der Popkultur geschafft. Dass sich Nikitin in jungen Jahren aus diesem Fundus bediente, scheint nicht jedem in Bayreuth neu zu sein, schenkt man der "FAZ" Glauben: "Unbekannt war Nikitins Körperbemalung den Festspielen nicht", schreibt dort Eleonore Büning. "Hatte man ihm nicht ein Holländer-Kostüm auf den Leib geschneidert? Waren die Tattoos nicht Thema in diversen Interviews gewesen? Und hatten die Festspiele nicht schon vor einem Jahr eine Fotodokumentation seiner Tattoos erbeten?" Ein Sprecher der Festspiele sagte gestern auf Abendblatt-Anfrage, die Festspielleitung habe eine Fotodokumentation nie angefordert und nie gesehen. Wenn das aus dem Haus heraus passiert sein sollte, sei es möglicherweise über die Kostümbildnerei gelaufen. Man sei dabei, das zu klären.
+++ Kommentar: Die Zumutung Wagner +++
Wie es nun mit Nikitins Engagements weitergeht, ist unklar. In seinem Terminplan steht im November ein Heerrufer in Wagners "Lohengrin" in München, daran wolle Bachler festhalten, hieß es. Ebenfalls im Herbst ist Nikitin für einen "Boris Godunov" in Madrid gebucht sowie für den "Parsifal" im Frühjahr an der New Yorker Met. Sein Management blieb Antworten dazu schuldig. Klar ist, dass Nikitin auf lange Zeit als "der Russe mit dem Hakenkreuz" gebrandmarkt sein wird.
Wie aber ist das Hakenkreuz überhaupt in die Popkultur gekommen? Eine Theorie besagt, dass US-Veteranen des Zweiten Weltkriegs ihre Lederjacken mit erbeuteten Nazi-Abzeichen schmückten. Einige von ihnen hätten später Motorradgangs gegründet. So seien Eiserne Kreuze, Wehrmachthelme, aber auch Hakenkreuze in die Rockerszene gelangt. Im Film "Easy Rider" karriolt Peter Fonda 1969 mit einem Eisernen Kreuz um den Hals durch die Gegend. Im selben Jahr treten die Rolling Stones im Londoner Hyde Park auf. In einem Konzertmitschnitt sind Mitglieder der Hells Angels zu sehen. Sie tragen Wehrmachthelme und Eiserne Kreuze. Einer von ihnen hat ein großes Hakenkreuz auf seiner Lederjacke.
In der englischen Punkszene waren Hakenkreuze 1976 und 1977 omnipräsent. Die Modemacherin Vivienne Westwood und ihr damaliger Lebensgefährte, der Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren, waren daran nicht ganz unschuldig: Sie hatten den Biker-Nazi-Look in ihrer Boutique "Let it Rock", die später "Sex" hieß, für die Fetischszene weiterentwickelt. Zudem stattete McLaren die von ihm gemanagten Bands mit den Kreationen aus: Auf einem Bild der New York Dolls von 1974 ist eines der Bandmitglieder mit Hakenkreuzbinde zu sehen. Bei den Sex Pistols und ihrer Szene waren dann Hakenkreuze auf T-Shirts, Armbinden, Aufnähern oder einfach auf die Wange geschminkt selbstverständlich.
Nazis waren diese Punks der ersten Stunde nicht. Sie waren antisexistisch, antifaschistisch, antirassistisch und anarchistisch. McLaren selbst war Jude. Dass sie dennoch Hakenkreuze als Accessoires verwendeten, erklärte der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen 1983 so: Die Sängerin Siouxsie Sioux, eine der damaligen Szenegrößen, "die mit einem Hakenkreuz auftrat, mochte sich darin gefallen haben eines der größten Tabus zu brechen". Die martialischen Zeichen des Punkseins "nur besonders laute und in ihrem Lärm lustvolle Ausrufezeichen, die möglichst dick und verschmiert aufgetragen sein wollten."
Die deutsche Punkszene legte sich im Hinblick auf Hakenkreuze Zurückhaltung auf. Wer als besonders hart gelten wollte, applizierte sich stattdessen den RAF-Stern mit der Kalaschnikow auf die Lederjacke. Bei aller Freude am Tabubruch: Hakenkreuze im Land der Täter - das ging einfach nicht.
In den USA hatte man da weniger Probleme: 1976 zeigte die US-Avantgarde-Band The Residents auf dem Cover ihrer Platte "Third Reich 'n' Roll" den beliebten TV-Moderator Dick Clark in NS-Uniform. Um ihn herum tanzen Hitler-Figuren. Umrahmt wird das Bild von Hakenkreuzen. Nazis sind allerdings auch die Residents nie gewesen. "Third Reich 'n' Roll" enthält schräge Cover-Versionen bekannter Rocksongs.
In den 90er-Jahren fanden die rechtsradikalen Symbole jedoch wieder zu rechtsradikalen Inhalten, speziell im Black Metal. War dieses Subgenre des Heavy Metals in seinen Anfängen noch von plakativem Satanismus und Okkultismus geprägt, entwickelten sich Strömungen am rechten Rand, die heute unter dem Begriff "National Socialist Black Metal" (NSBM) zusammengefasst werden. Speziell Bands aus nordischen Ländern wie Burzum (Norwegen) oder Sigrblot (Schweden), aber auch Absurd aus Deutschland und Infernum aus Polen gelten als Vorreiter eines Untergrunds, der offen rassistische, antisemitische und völkische Inhalte propagiert - und auch schon mit Morden und Brandstiftungen in die Tat umgesetzt hat. Buchveröffentlichungen wie "Unheilige Allianzen" und zahlreiche kritische Berichte in Magazinen wie "Rock Hard" haben die Metal-Szene zwar sensibilisiert, trotzdem ist eine Vielzahl NSBM-Bands fest in Rechtsrock-Netzwerken organisiert.
Und ihr Einfluss reicht bis Bayreuth. Neben einem Hakenkreuz hat sich Evgeny Nikitin auch eine Wotan-Figur aus dem Artwork des Burzum-Albums "Det Som Engang Var" (1993) tätowieren lassen. "So edel wie der alt-germanische Mensch, so edel war seine Kunst. Sie verwirklicht die Träume auf dieser Welt", steht auf der CD unter dem Bild. Das klingt nach Wagner, stammt aber aus der Hetzschrift "Der Untermensch". Verantwortlich dafür: Heinrich Himmler.