Wenn schon experimentell, dann richtig: Das kalifornische Moon Duo ziert das Line-up des Reeperbahn-Festivals 2011 – ein radikaler Act.
Hamburg. Das Black & Tan, eine schlauchförmige Bar mit einer endlos langen Theke, ist noch mäßig gefüllt, als das Moon Duo sein Konzert im März beim diesjährigen SXSW-Festival in Austin, Texas beginnt. Es ist früher Sonnabend, erst allmählich füllen sich die 80 Klubs zwischen der 5. und der 7. Straße, in denen seit vier Tagen der Rock 'n' Roll bei diesem größten Klub-Festival der Welt tobt. Doch als Ripley Johnson und Sanae Yamada zu spielen beginnen, füllt sich der Raum schnell. Bis eng vor Sanaes Keyboards stehen die Zuschauer, immer mehr Leute drängen sich ins Black & Tan, angelockt von dem lauten, schraddeligen Sound, der nach draußen dröhnt.
Sanae Yamada drückt die Tasten ihrer Keyboards in schnellem Stakkato, Ripley Johnson, ihr langmähniger und langbärtiger Kumpan, entlockt seiner Gitarre verzerrte Klangfetzen, die in gleichförmige, sich überlagernde Rhythmen übergehen. Die beiden Musiker bauen unterstützt von einem Drumcomputer ein massives Klanggebirge auf. Als ginge hier ein ganzes Gitarrenorchester zu Werke. Doch aus diesem geräuschhaften Sound schält sich untergründig ein wiederholter Rhythmus heraus, die Zuhörer wippen dazu wie in Trance.
Das Moon Duo (23.9., 20.45 Uhr, Molotow) ziert nun auch das Line-up des diesjährigen Reeperbahn-Festivals , also des deutschen Pendants zum Musik-Gipfel im US-Bundesstaat Texas. Es zählt zu den interessantesten und radikalsten Acts unter den etwa 170 Bands und Solokünstlern. Zusammengefunden haben sich Johnson und Yamada in San Francisco. Die Stadt im Norden Kaliforniens war Mitte der 60er-Jahre mit ihren Hippies und Blumenkindern das Zentrum der amerikanischen Gegenkultur. Und irgendwie sieht Ripley Johnson auch aus wie ein Überlebender aus dieser Zeit.
Auch musikalisch finden sich auf den drei Platten des Moon Duos jede Menge Reverenzen an die Frühzeit der progressiven Rockmusik. Die minimalistischen Beats erinnern an die Monotonie früher Velvet-Underground-Kompositionen, die Rückkoppelungen an Psychedelic oder deutschen Krautrock. "Ich bin vor allem mit den Rolling Stones aufgewachsen und war immer ein großer Fan ihrer Musik", sagt Johnson. "Mich hat fasziniert, wie sie verschiedene Gitarrenspuren, Perkussion, Klavier und Orgel zusammenmischen." Mit den Songs der Rolling Stones hat das Moon Duo jedoch wenig gemeinsam, und wenn, dann nur als eine radikal persönliche Aneigung.
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Deutlicher sind die Bezüge des Moon Duos zum amerikanischen Mythos der Straße. "Unsere Songs haben mit der Weite des Landes und seinen endlosen, schnurgeraden Highways zu tun", erklärt Sanae Yamada. Die Kompositionen sind wie ein "road trip", eine Erfahrung, die Yamada und Johnson fast täglich machen. Wenn sie durch die USA touren, sind sie mit einem alten Bus unterwegs, in dem sie auch übernachten können.
Aus finanziellen Gründen haben sie San Francisco inzwischen verlassen und leben jetzt in einem Haus in den Bergen von Colorado. Ursprünglich sollte ihr Debüt-Album den Titel "On The Road" tragen, schließlich nannten sie es "Mazes", was übersetzt "Irrgarten" oder "Gewirr" bedeutet. Der Arbeitstitel lautete übrigens "Die Blumen", denn einige der Songs hat das Moon Duo in Berlin gemixt. Dorthin gibt es eine enge Verbindung, es ist der Sitz ihrer Plattenfirma Souterrain Transmissions. "Am Ende war 'Mazes' doch der richtige Titel, denn die acht Songs sind wie eine Suche nach dem richtigen Pfad, sie sollen Bewegung, Aufbruch und die Suche nach dem richtigen Platz in der Welt ausdrücken", erläutert Sanae Yamada.
Das Moon Duo ist nicht die einzige ungewöhnliche Combo in der langen Liste der Reeperbahn-Festival-Bands. Da gibt es zum Beispiel Brasstronaut (22.9., 20.30 Uhr, Imperial-Theater). Das Sextett aus dem kanadischen Vancouver kombiniert eindringliche Melodien mit holprigen Beats, aus denen sich zuweilen eine melancholische Grundstimmung ergibt. Doch die Musiker schrecken auch vor Klangexperimenten nicht zurück und kombinieren ein schräges Klavier mit Trompete, Saxofon, Klarinette und Horn. Der Sound bekommt eine jazzige Attitüde. Brasstronaut ist weniger wild als das Moon Duo, doch wie die Kanadier die verschiedenen Klangfarben in Beziehung zueinander setzen, ist bei diesem Reeperbahn-Festival einzigartig.
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Wer sich für Klangexperimente interessiert, sollte sich ebenfalls unbedingt den Auftritt des Apparat Organ Quartets ansehen (23.9., 23.20 Uhr, Moondoo). Hinter dem Quartett verbergen sich fünf Musiker, denn die vier Keyboardspieler und Organisten werden von einem Drummer begleitet. Die Band aus Island erzeugt mit analogen Apparaten und obskuren Heimorgeln einen Sound auf den Spuren der Elektronik-Pioniere Kraftwerk und Prog-Rock-Bands der 70er-Jahre. Ihr aktuelles Album "Pólyfónía" ist gerade auch hierzulande erschienen. Die Live-Performance des Apparat Organ Quartets ist jedoch das genaue Gegenteil der wilden und energetischen Show des Moon Duos: Die fünf Isländer greifen zwar präzise wie ein Uhrwerk in die Tasten, ihre Gesichter jedoch sind ohne Ausdruck - als würden Roboter die Instrumente bedienen.
Reeperbahn-Festival Do 22.9. bis Sa 24.9., Spielbudenplatz und 25 weitere Kiez-Locations (U St. Pauli, U Feldstraße, S Reeperbahn), 3-Tage-Ticket 59,50, 2-Tage-Ticket 45,-, Tagesticket 29,50; Infos unter www.reeperbahnfestival.com