Das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg lädt ein zu einer Reise durch eine untergegangene Kulturlandschaft.
Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg. Ein röhrender Elch steht in Originalgröße in einem gewaltigen Diorama, das einer ostpreußischen Waldlandschaft nachgebildet ist. "Ein Elch röhrt nicht, er flämt", korrigiert schmunzelnd Joachim Mähnert, der Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums im Lüneburg. "Das ist ein merkwürdiges Geräusch, das bei Weitem nicht so gewaltig klingt, wie man es annehmen würde." Gleich mehrere dieser Großdioramen wurden 1987 zur Eröffnung des Hauses geschaffen, das die Landschaft, die Geschichte und die Kultur Ostpreußens als ehemals deutsches Siedlungsgebiet vorstellt.
Ein schwieriges, ein belastetes Thema, denn Ostpreußen gibt es nicht mehr. Es ist in dem von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg untergegangen, gehört heute zu Polen, Russland und Litauen und wird nicht mehr von Deutschen bewohnt.
Mähnert weiß, dass sein Museum schnell in Revanchismusverdacht gerät. Immer mal wieder muss er auch das Vorurteil entkräften, hier handle es sich um den verlängerten Arm der Landsmannschaften oder gar um ein Vertriebenenmuseum. Tatsächlich wird das Ostpreußische Landesmuseum zu 70 Prozent vom Bund und zu 30 Prozent vom Land Niedersachsen finanziert. Das Haus, das am Rande der Lüneburger Innenstadt in einem schlichten und ziemlich nüchternen Rotklinkerbau untergebracht ist, versteht sich als historisches Gedächtnis einer verschwundenen Kulturlandschaft. Mit einer Fülle zum Teil einmaliger Objekte, Dokumenten und Kunstwerken dokumentiert es die Landschaften Ostpreußens, seine Kultur und Geschichte. Natürlich wird die Vertreibung von Millionen Deutschen thematisiert, unter anderem mit einer ebenso eindringlichen wie zurückhaltenden Inszenierung der Flucht der Flüchtlingstrecks über das zugefrorene Haff im Januar und Februar 1945.
Doch die Schau lässt keinen Zweifel daran, dass dies erst das letzte Kapitel einer Geschichte war, die 1933 mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten begonnen hatte und sich mit der Verfolgung von Juden, Zigeunern, Homosexuellen und Andersdenkenden, mit Terror, Krieg und Holocaust fortsetzte.
Die Ausstellung beschränkt sich aber nicht auf die Ereignisse des 20. Jahrhunderts, sondern erzählt die Geschichte dieser für die deutsche Kultur so wichtigen Region von Anbeginn: von den Prußen, der baltischen Urbevölkerung, die vom Deutschen Orden besiegt wurde, vom Ordensstaat, vom Herzogtum und von Königsberg, wo sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. 1701 als Friedrich I. zum König in Preußen krönen ließ.
Sie dokumentiert die Landschaften von der Kurischen Nehrung und Masuren bis zur Rominter Heide. Dem Ausstellungskonzept ist allerdings anzumerken, dass es in den 80er-Jahren entstand, manches ist sowohl inhaltlich als auch didaktisch dringend überarbeitungsbedürftig, andererseits hat die Ausstellung teilweise einen beinahe schon nostalgischen Charme. Allein deshalb lohnt sich schon ein Besuch dieses Museums, das immer wieder Überraschungen bereithält.
Beeindruckend sind vor allem Objekte wie zum Beispiel eine gotische Schreinmadonna aus dem Hochaltar der Kirche St. Marien zu Elbing. Sie entstand im späten 14. Jahrhundert und galt bis vor Kurzem als Kriegsverlust. Erstmals nach 1945 wird sie nun in einer Ausstellung präsentiert. Zu sehen sind auch kostbare Königsberger Goldschmiedearbeiten sowie Kunstwerke und Schmuckstücke aus samländischem Bernstein sowie Bernsteine mit Insekteneinschlüssen. Ein bewegendes Schicksal haben vier alte Bronzeglocken, die über Jahrhunderte in ostpreußischen Kirchen hingen. 1941/42 mussten die Gemeinden sie abgeben, da sie für Kriegszwecke eingeschmolzen werden sollten.
Glücklicherweise kam es nicht mehr dazu, 1945 wurden sie auf dem "Glockenfriedhof" im Hamburger Hafen entdeckt und später dem Museum als Leihgabe anvertraut. Jetzt hängen sie in einem improvisierten Glockenstuhl und können von den Museumsbesuchern angeschlagen und zum Klingen gebracht werden.
Vom nächsten Jahr an wird das Ostpreußische Landesmuseum umgebaut und erweitert. Dann erfährt auch die Dauerausstellung eine komplett neue Gestaltung. "Wir werden uns künftig viel stärker darum bemühen, die jeweilige Geschichte unserer Objekte zu erzählen", sagt Joachim Mähnert.
Und was wird aus dem Elch? "Der bleibt, nicht nur alte Ostpreußen, sondern vor allem auch junge Besucher sind immer wieder fasziniert von diesem eindrucksvollen Diorama", meint der Museumsdirektor, und fügt hinzu: "In Zukunft wird er vielleicht sogar flämen."
Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg, Ritterstraße 10, Di-So 10.00-18.00
Nächsten Montag: Kunsthalle Kiel "Archiv Utopia - Das Brasilia-Projekt"