Auf den Spuren untergegangener Naturvölker und vergessener Religionen in Lübeck

Lübeck. Die Expedition beginnt in der Südsee und endet in Südtirol. Unterwegs begegnet der Reisende dem Volk der Iatmul, kommt vorbei an den Tipis der Navajo-Indianer, staunt über die Totenmasken des afrikanischen Fang-Stammes und versucht, germanische Runen zu entziffern. Der Trip führt zu untergegangenen Kulturen und vergessenen Religionen - und das alles in den Räumen der Kunsthalle St. Annen in Lübeck. Diese besitzt eine der bedeutendsten Völkerkundesammlungen Deutschlands, die nur selten in Sonderausstellungen zu sehen ist.

26 000 Werke aus aller Welt umfasst die komplette Sammlung. Seit Ende des 17. Jahrhunderts baute Hauptpastor Jacob von Melle in Lübeck eine ethnografische Sammlung auf. Über die Jahrhunderte hinweg haben Bürger der Handelsstadt die Sammlung durch Schenkungen erweitert. Etwa 300 Objekte hat Brigitte Templin, Leiterin der Sammlung und Kuratorin der Ausstellung "Welten entdecken", nun ausgewählt. "Mir ist wichtig, dass alle Exponate ebenbürtig nebeneinander stehen", sagt die Ethnologin, "ich wollte die Breite der Sammlung deutlich machen, die Vielzahl der Länder und Kulturen zumindest andeuten."

Die Entdeckung der Welt beginnt im obersten Stockwerk. An den Wänden hängen Masken und Schilder der Iatmul aus Papua-Neuginea. Darauf expressive Motive, mit Muschelwerkzeug geschnitzt, um Gegnern des Südseevolkes Angst einzujagen. In den Vitrinen stehen hölzerne Figuren von den Osterinseln mit stechendem Blick. Über die Bedeutung vieler Exemplare kann man heute nur rätseln. "Zu Kolonialzeiten hat man selten nach der Bedeutung der Stücke gefragt, sondern sie eher als Kuriosum gesammelt", sagt Templin.

Von den Inseln Ozeaniens geht die Reise weiter auf das asiatische Festland. Weil Objekte aus Fernost den größten Teil der Sammlung ausmachen, hat Templin den Fokus auf Buddha-Darstellungen aus Thailand gelegt. Besonders spektakulär: ein 1,75 Meter hoher Fußabdruck der Gottheit aus Ebenholz, Perlmuttintarsien und 108 Glückssymbolen. Die nächste Station ist Nordamerika. Zu sehen sind eine farbenprächtige Jagdhütte der Inuit aus Alaska, Elchhaarstickereien der Huron-Indianer - und eine echte Rarität: Der Künstler Horst Antes hat der Völkerkundesammlung ein Medizinbündel des Medizinmannes Benet Toehe geschenkt, bestehend aus bunten, ledernen Masken, Zeremonialbogen und Gebetsstäben.

Nun führt die Route über den Atlantik nach Afrika. In dieser Sektion befinden sich hauptsächlich Figuren und Masken der Fang, eines afrikanischen Volksstammes, beheimatet in Äquatorialguinea und Südkamerun. Die Schnitzereien der Fang gelten als Werke von höchstem künstlerischen Rang. Die afrikanischen Masken, mit ihren herzförmigen Gesichtern, langen Nasen und schmalen Mündern inspirierten Künstler wie Picasso und Matisse und gaben ihnen Impulse für ihre Malerei.

Die Reise endet in Europa. Zwischen fein verzierten Trinkhörnern aus Island und Runenkalendern der Lappen finden sich eine ganze Reihe von Fastnachtsmasken aus Südtirol. Mit Frohsinn und Karneval hatten diese Fratzen damals nichts zu tun, sondern sie sollten Dämonen vertreiben.

Wer sich Zeit nimmt, bekommt einen spannenden Einblick in die Kultur bedrohter Naturvölker. "Welten entdecken" bedeutet in Lübeck, in fremde Kulturen einzutauchen und sich bewusst zu werden, wie wichtig es ist, sie zu bewahren. Die Expedition lohnt sich.

Welten entdecken Werke der Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck, zu Gast in der Kunsthalle St. Annen, bis 13.11., St.-Annen-Str. 15, Di-So 10.00-17.00