Der Hamburger Auftrittsberater Wolf Achim Wiegand über den Umgang des größten europäischen Senders mit dem Abbruch seiner wichtigsten Show.
Hamburg. Live-Sendungen im Fernsehen sind nicht pannen-, sondern auch krisenanfällig. Die generationsübergreifende TV-Gemeinde aus Kindern, Eltern und Großeltern hat das am Sonnabendagabend bei „Wetten, dass..?" im ZDF auf dramatische Weise erlebt. Ein Wettkandidat stürzte vor Millionen Menschen mit dem Kopf so unglücklich auf den Boden, dass mit seinem Tod gerechnet werden musste.
Die Reaktion der Beteiligten war im Großen und Ganzen angemessen.
Als Erste erkannte Co-Moderatorin Michelle Hunziker schon nach Sekunden den Ernst der Lage – „Sofort den Arzt, bitte – einen Arzt, den Arzt!“ rief sie beherzt und geistesgegenwärtig. Sofort sah man in den ersten Zuschauerreihen postierte Sanitäter herbeieilen.
Rasch auch die Reaktion der Regie. Die eingeblendeten Kameras zeigten nur noch das – sichtlich geschockte – Saalpublikum. Das Drama des offensichtlich lebensgefährlich verletzten Wettkandidaten Samuel hielten die Bildverantwortlichen vom Auge der TV-Betrachter fern. Auch der vermutlich geschockte Vater, über dessen Auto der junge Samuel gesprungen war, blieb dem Blick der Fernsehzuschauer gnädig entzogen.
Dann jedoch dürfte in der ZDF-Sendezentrale eine zeitlang Ratlosigkeit geherrscht haben. Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bis man sich entschied, die wichtigste Unterhaltungssendung des größten europäischen Senders zu unterbrechen.
Was dann kam war grenzwertig. Während die TV-Nation rätselte, ob eben ein Mensch vor ihren Augen in den Tod gestürzt war, liefen lustige Nostalgie-Clips mit launigen Auftritten von Modern Talking und anderen Dance Bands über den Bildschirm. Hier fragt man sich, ob die Krisenvorsorge nicht anderes Sendematerial hätten bereithalten oder einsetzen müssen – es geht gar nicht, einen auf lustig zu machen, wenn ein Personenschaden vorliegt. Das ist ein alter Grundsatz der Krisen-PR. Das ZDF missachtete ihn.
Peinlich auch, dass einige ZDF-Mitarbeiter glaubten, mit Tweets aus dem Studio die Twittergemeinde versorgen zu müssen. Noch bevor der Sender eine Chance hatte, sein Publikum am Bildschirm in angemessener Form zu informieren, bliesen die selbsternannten „Reporter“ ihre Kenntnisse eigenverliebt und gnadenlos ins Netz – kein Unterschied zu Paparazzi und ein Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot des Wissenden in einer sensiblen Lage.
Besonders pervers aber waren jene Leute, die glaubten, der gierenden Filmschnipselgemeinde im Web die Unfallszene zum Wieder-und-wieder-Anschauen servieren zu müssen. You Tube, das Kolosseum unseres Medienzeitalters? Kein Unterschied zu römischen Kampfarenen, wo Gladiatoren den Löwen bei lebendigem Leib zum Fraß vorgeworfen wurden? Wobei die Frage auch dem ZDF gestellt werden muss – sind Stuntwetten wirklich verantwortbar? Das wird aufzuarbeiten sein.
Die Krise kann nun so groß werden, dass „Wetten Dass?“ ganz kippt und das ZDF auf Jahre hinaus einen schweren Imageschaden davonträgt. Es war ein Unglück mit dem Potenzial zum Eschede des deutschen Fernsehens zu werden. Immerhin war die Reaktion so stark, dass die ZDF-Twitterredaktion gegen 21.25 Uhr kapitulieren musste: „Wir können Eure Fragen nicht mehr beantworten, es sind zu viele! Sobald wir wissen ob es dem Kandidaten besser geht, lassen wir es Euch wissen“
Zur Ehrenrettung des Moderators: Gottschalks Ansage zum Abbruch seiner Sendung war angemessen und gefühlvoll. Er wirkte gefasst und unhysterisch, wünschte dem Verunglückten auch im nachfolgenden "heute journal" Besserung und gab dennoch ehrlich und authentisch zu, was für ein Drama es für ihn als Entertainer war, den Menschen im Studio und zu Hause einen traurigen Abend beschert zu haben. Und traurig, das war dieser Abend wirklich.