Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und ZDF-Verwaltungsrat Kurt Beck fordert eine Debatte über Nervenkitzel und Quote. Medienexperte Jo Groebel sagt, mit Vorwürfen dem Sender gegenüber solle man vorsichtig sein.

Düsseldorf/Berlin. Nach dem Unfall von Wettkandidat Samuel K. bei der ZDF-Unterhaltunssendung „Wetten, dass..?“ hat der ZDF-Verwaltungsratschef und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck eine Quotendebatte im ZDF gefordert. Es stellten sich Fragen, denen das ZDF als öffentlich-rechtlicher Sender nicht ausweichen dürfe, sagte der SPD-Politiker der Zeitung „Die Welt“. „Natürlich müssen wir über die Themen sprechen: Wann werden die Grenzen des Verantwortbaren überschritten? Wie viel Risiko darf man eingehen? Und natürlich müssen wir auch über die Themen Nervenkitzel, Waghalsigkeit und Quote reden.“

Beck zeigte sich bestürzt über den Unfall. „Unsere Gedanken sind zunächst bei dem jungen Mann und seiner Familie. Wir übersenden ihm unsere Genesungswünsche“, sagte er. „Die Verantwortlichen im Sender und auch die Gremien werden und müssen sich damit auseinandersetzen.“ Beck lobte das Krisenmanagement Thomas Gottschalks und der ZDF-Chefredaktion. Es sei richtig gewesen, die Sendung abzubrechen.

Thomas Gottschalk hatte bei der Ankündigung der Wette mehrfach betont, wie riskant das Vorhaben von Samuel K. sei. Auch Co-Moderatorin Michelle Hunziker verzog allein bei der Vorstellung, was sich der 23-Jährige kurze Zeit später trauen sollen würde, das Gesicht. Nicht ganz so hart gesottene Zuschauer sollten bei der ersten Wette des Abends womöglich lieber nicht hinsehen, hatte Gottschalk gewarnt. Und zu Wettkandidat Samuel sagte der "Wetten, dass...?"-Gastgeber in Düsseldorf: "Wenn es dir zu gefährlich wird, dann brich es lieber ab."

Doch Samuel K., durchtrainierter Kunstturner und Schauspielschüler aus Hannover, ließ sich von den Mahnungen nicht berirren und setzte bestimmt zu seiner waghalsigen Wette an - bis er schließlich nach zuvor zwei geglückten Versuchen und einem abgebrochenen Anlauf beim vierten Auto ins Straucheln geriet und nach dem missglückten Sprung über das Wagendach reglos auf dem Boden liegen blieb. Im Unglücksauto saß ausgerechnet der Vater von Samuel K..

Der Unfall bei der Risiko-Wette löste in der Halle der Düsseldorfer Halle Entsetzen aus, und auch vor den Bildschirmen dürfte sich dem Großteil der fast zehn Millionen "Wetten, dass...?"-Zuschauer die schrecklichen Bilder ins Gedächtnis gebrannt haben. Noch bleibt unklar, wie schwer die Verletzungen sind, die sich Samuel K. bei seinem letzten Sprung mit dem sogenannten Powerizer zuzog.

Der schwere Unfall bei der ZDF-Show „Wetten, dass...?“ ist nach Einschätzung des Medienexperten Jo Groebel keine Folge von Quotendruck. Natürlich werde jetzt spekuliert, ob das ZDF angesichts der Konkurrenz durch das RTL-Format „Das Supertalent“ riskokofreudiger geworden sei, sagte Groebel am Sonntag. Erinnere man sich aber an die Geschichte der Sendung und an Shows in den 70er Jahren wie „Wünsch Dir was“ oder „Spiel ohne Grenzen“, sehe man, dass es schon immer gefährliche Einsätze gegeben habe – „und das alles vor dem Quotendruck“.

Auch bei "Wetten, dass...?" gab es schon mehrfach äußerst riskante Wetten. James Fox war vor zwei Jahren bei Proben zu "Wetten, dass...?" verunglückt, als er mit seinem BMX-Rad über ein acht Meter hohes Haus springen wollte. Der Kalifornier war bereits in der Luft, als er plötzlich sein Rad fallen ließ - und auf das Dach stürzte. Dass er sich dabei nur das Bein brach, galt als Wunder.

+++ Schon einmal endete eine Sprung-Wette tragisch +++

Zum Zeitpunkt des Wett-Unfalls von Samuel K. bangten Millionen Fernsehzuschauer um die Gesundheit des Kunstturners. Sowohl bei Gottschalks Abmoderation als auch beim "heute journal" waren fast 10 Millionen Zuschauer dabei. Im Durchschnitt sahen 8,13 Mio. Menschen ab 20.15 Uhr das abgebrochene "Wetten, dass..?", beim "heute-journal" um 22.45 Uhr waren es 8,08 Mio. Der Blick auf die Minutenwerte zeigt aber, dass sowohl bei Gottschalks Abbruch-Moderation um 21.10 Uhr, als auch zu Beginn des "heute-journals" mit der Schalte zu Gottschalk nach Düsseldorf um 22.45 Uhr jeweils ca. 9,5 Mio. Leute das ZDF eingeschaltet hatten.

Das ZDF entschied sich zunächst für eine Unterbrechung der Livesendung und stellte deren Fortsetzung in Aussicht, sobald Klarheit über den Gesundheitszustand des Verunglückten herrsche. Nach etwa einer halben Stunde Pause, in der der Sender Musikacts aus vergangenen Sendungen zeigte, verkündete Moderator Thomas Gottschalk den Abbruch der Unterhaltungsshow. „Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, wir werden Ihnen nicht etwas vorspielen“, sagte er den Zuschauern. Sichtlich mitgenommen fügte Gottschalk hinzu: „Wir wollen nicht auf heiter machen, wenn wir nicht wirklich heiter sind.“

Am Sonntag kündigte das ZDF an, Konsequenzen für die Auswahl künftiger Wetten zu ziehen. In einer in Mainz veröffentlichten Stellungnahme von ZDF-Unternehmenssprecher Alexander Stock heißt es:

„(...) Für die Wette wurde bereits bei den Proben für die zurückliegenden beiden Sendungen in München und Hannover jeweils ein Vortest durchgeführt. Das ist bei schwierigen Wetten üblich, um die Bedingungen vor Ort in der konkreten Wettsituation zu testen. Aus Sicherheitsgründen wurde in Düsseldorf etwa die dünne Gummimatte gegen eine 1,2 Zentimeter dicke Anlaufbahn getauscht.

Der Kandidat hatte in enger Absprache mit dem ZDF die Durchführung der Wette intensiv geprobt. So wurde in Düsseldorf das Bühnenlicht so eingerichtet, dass der Wettkandidat während des Sprunges nicht geblendet wurde. Die Auswahl der Autos ist vom Kandidaten getroffen worden. Herr Koch ist neben seinem Studium in Hannover als freier Akrobat und Stuntman tätig und aktiver Kunstturner. Er hat sich intensiv und sorgfältig auf seine Wette vorbereitet.

Alle Wetten werden von Redaktion, Produktion und einem Sicherheitsingenieur des ZDF erst nach intensiver Begutachtung freigegeben. Das ZDF wird den Ablauf und die Ursachen des Unfalls gleichwohl in allen Details noch einmal überprüfen und wird aus dem Ergebnis Konsequenzen bei der Auswahl von Wetten ziehen.

Der Wettkandidat Samuel Koch ist bei den Proben am Donnerstag und Freitag bei der Landung nach Sprüngen über zwei Autos ins Straucheln gekommen und auf Rücken und Gesäß gefallen. Danach ist er unverzüglich und unversehrt aufgestanden und die Proben wurden fortgesetzt.

Das Saalpublikum wie auch die prominenten Gäste der Sendung haben mit großem Verständnis auf die schwierige Situation reagiert. Das ZDF wird die Eintrittspreise für Veranstaltung zügig zurück überweisen.“

„Das Fernsehen braucht das Spektakuläre“, sagte Groebel. Mit dem Vorwurf, das ZDF habe fahrlässig gehandelt, wäre er sehr vorsichtig. Es sei auch immer die Frage, wieviel Eigenverantwortung ein Kandidat trage und wieviel Verantwortung ihm abgenommen werden müsse.

Samuel K. hatte vor der Sendung offenbar selbst an seinem Vorhaben gezweifelt. "Bei den Proben am Donnerstag bin ich zweimal schwer gestürzt. Der Wettteil klappt noch nicht", hatte er der "Badischen Zeitung" gesagt. Er sei "skeptisch", die Voraussetzungen seien aber so, dass es in der Sendung "funktionieren könnte".

Nach dem Abbruch der Sendung hatte ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut erklärt: „Die ersten Informationen über den Zustand unseres Wettkandidaten waren nicht eindeutig. (...) Unter dieser Voraussetzung konnten und wollten wir die Unterhaltungssendung nicht fortsetzen.“ Er kündigte eine gründliche Untersuchung des Unfalls an.

Die Sendung abzubrechen, sei die richtige und einzig mögliche Reaktion gewesen, sagte Groebel. „Man kann nach so etwas nicht weitermachen.“ Auch Moderator Thomas Gottschalk habe richtig und professionell reagiert.

+++Thomas Gottschalk zum Unfall im "heute journal"+++

"Wir sind in Gedanken bei unserem Kandidaten", sagte Programmdirektor Bellut. "Unsere Redaktion und Produktion legen immer größten Wert auf die Sicherheit aller Beteiligten. Wir werden diesen Unfall gründlich untersuchen und Lehren daraus ziehen." Thomas Gottschalk sei mit dieser schwierigen Situation sehr gut umgegangen, habe die Zuschauer informiert und den Abbruch der Sendung begründet. "Ich bin sicher, dass die Zuschauer das verstehen und gutheißen“, so Bellut.

Das ZDF zeigte nach Abbruch der Show "Ein starkes Team". Bis dahin überbrückte der Sender die Pause mit Einspielern vergangener Musikauftritte von Bands wie Modern Talking oder Boyzone. Der Hamburger Krisenberater und Kommunikationscoach Wolf Achim Wiegand kritisierte die Auswahl des Sendematerials. "Während die TV-Nation rätselte, ob eben ein Mensch vor ihren Augen in den Tod gestürzt war, liefen lustige Nostalgie-Clips", so Wiegand, "es geht gar nicht, einen auf lustig zu machen, wenn ein Personenschaden vorliegt. Das ist ein alter Grundsatz der Krisen-PR. Das ZDF missachtete ihn."

+++ Hamburger Medienberater: Krisenkommunikation beim ZDF klappte, aber nur bedingt +++

Wie es mit „Wetten, dass...?“ weitergehe, werde auch davon abhängen, welche Folgen der Unfall letztlich für den Betroffenen habe, sagte Medienexperte Groebel. Das ZDF werde jetzt vermutlich ganz intensiv darüber nachdenken, welche Wetten in Zukunft akzeptiert würden. Seine Prognose: „Solche Wetten wird es nicht mehr geben“, sagte Groebel und verwies darauf, dass Wettkönig ohnehin meist jemand geworden sei, der eine skurrile, lustige Wette angeboten habe und nicht eine actionreiche.

Gottschalk schätze er als Moderator mit Lebenserfahrung und Verantwortungsgefühl, sagte Groebel weiter. Dies habe er auch in dem Moment nach dem Unfall bewiesen. Vorausgesetzt, der Unfall finde ein glimpfliches Ende, gehe er davon aus, dass Gottschalk die Show weiter moderieren werde. Er sei nicht der Typ, der aussteige, wenn es Probleme gebe. „Es ist schwieriger, in so einer Situation weiterzumachen“, sagte er und fügte hinzu: „Aussteigen ist einfach.“ Gottschalk selbst sagte, für ihn sei der Unfall „eine ganz furchtbare Erfahrung“.