Der zurückgetretene Schauspielhaus-Intendant im Gespräch mit Abendblatt-Redakteur Joachim Mischke.

Hamburg. Wenige Stunden vor seinem Abflug, in einer Hotel-Bar unmittelbar neben dem Schauspielhaus, an dem er seit 2005 tätig war. Friedrich Schirmer ist zum Reisenden geworden, der nicht aufgehalten werden will. Wenige Tage nach einem großen „Spiegel“-Interview, will er über die Gründe seines Rücktritts sprechen, und über die existenzbedrohende Krisensituation, in die das größte deutsche Sprechtheater durch die Kürzungsbeschlüsse des Senats geraten ist.

Abendblatt: Wie fühlen Sie sich jetzt?

Friedrich Schirmer: Frei. In meiner Seele fühlt sich dieser Schritt gut und richtig an. Es gibt einen Teil meines theatralischen Herzens, der traurig ist, dass ich nicht mehr Teil des Theaters bin, dass ich mich davon abgeschnitten habe.

Abendblatt: Sie sprachen von einer „Selbstverbrennung im Amt“. Das könnte glatt von Hölderlin sein.

Schirmer: Ich glaube nicht, dass sich dieser Begriff so bei Hölderlin finden lässt. Es war ein wohlüberlegter Schritt, keine Kurzschlussaktion und keiner aus Empfindlichkeit. Es ging darum ein Zeichen zu setzen: Schon die Kürzung vom letzten Jahr war für mich und das Haus nicht umsetzbar. Deshalb spreche ich von dieser Selbstverbrennung meines Amts. Das hat Energie freigesetzt, das Theater kampfbereit gemacht und vielleicht auch Hamburg wach gerüttelt.

Abendblatt: Wann haben Sie für sich erkannt, dass Sie in Ihrem Amt gescheitert sind?

Schirmer: Das sehe ich nicht so. Und: Alles menschliche Tun ist Scheitern. Das theatralische Bild meiner Jahre in Hamburg ist unvollendet, aber gerade im Unvollendeten liegt sehr viel Schönheit. Nur weil das kritische Auge manches nicht sehen wollte, heißt das nicht, dass es nicht vorhanden war. Diese Frage nach dem Scheitern habe ich mir außerdem gar nicht gestellt; ich bin Marathonläufer und hatte die zehn Jahre hier geplant. Der Ernst der Lage dämmerte mir aber, als ich realisierte, dass die Kulturbehörde nicht einhält, was man mir versprochen hatte. Dass man mich auf einem Defizit sitzen lassen wollte. Da habe ich ganz kühl die Lage als GmbH-Geschäftsführer kalkuliert. Wenn ich dem Aufsichtsrat einen Wirtschaftsplan zur Genehmigung vorlege, von dem ich weiß, dass er nicht funktionieren kann und wird, dann mache ich mich strafbar und damit auch haftbar. Jack Kurfess und ich haben seit April darum gekämpft, dass entweder die mir gegebenen Zusagen eingehalten werden oder die Kürzung zurückgenommen wird, die man letztes Jahr für die nun laufende Spielzeit so einfach verfügt hat. Uns sind Hoffungen gemacht worden, da sind Erwartungen geweckt worden. Wegen 220.000 Euro, die zum ersten Mal für 2009/10 nicht gekommen sind, tritt keiner zurück, das ist klar. Aber die Summe fehlt dann ja auch in der nächsten Spielzeit. Wenn dann noch eine Kürzung kommt, sind wir gleich im Bereich von 600.000 Euro. Und dann wird’s ernst. Die verteufelte Mischung aus Unterfinanzierung, Zusagen, die nicht eingehalten wurden und Kürzungen, die nicht zurückgenommen werden, das ist im Rahmen einer GmbH einfach nicht zu machen.

Abendblatt: Also hat Sie die damalige Kultursenatorin Karin von Welck angelogen?

Schirmer: Es sind Erwartungen geweckt worden. Zusagen nicht einhalten und dann noch kürzen, das ist eins zuviel. Es geht beim Schauspielhaus um ein Haus, das keine Reserven mehr hat, ein unglaublich hohes Einnahmesoll und im letzten Jahr gab es die besten Zuschauerzahlen seit mehr als zwölf Jahren. Wenn Sie dann als Geschäftsführer an einen Punkt kommen, an dem Sie das nicht mitmachen können, gibt es nur einen Weg: Kürzung zurücknehmen oder Zusagen einhalten – oder man spart sich selber weg.

Abendblatt: Es gab bei vielen die Meinung, Sie seien – siehe Ihre Vertragsverlängerung bis 2015 – zunächst zu lang geblieben. Und dann zu früh und wegen zu wenig zurückgetreten.

Schirmer: Das ist ein Teil der öffentlichen Meinung, ich habe eine andere. Mir ist die Verlängerung angeboten worden, ich habe mich nicht darum gedrängt, das Haus wollte sie, ich hatte gute Zahlen und das Theater strukturell stabilisiert. Wenn ich nicht verlängert hätte, wäre ein neuer Intendant gekommen, und den hätte es jetzt wirklich kalt erwischt. Wegen zu wenig gegangen? Nochmal: Es ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und wir hatten bis zum 8..September noch keinen vom Aufsichtsrat genehmigten Etat.

Abendblatt: Hätten Sie bei Ihrem Rücktritt nicht sagen müssen, Leute, diese 300.000 Euro sind nur die Spitze eines Eisbergs, auf den wir hier zusteuern!

Schirmer: Ich wollte mit meinem Schritt klarmachen, dass das Haus schon die Kürzung vom letzten Jahr nicht verkraften kann und die nächste erst recht nicht. Das sollte das Zeichen sein. Weil dieser Schritt einen Überraschungsmoment hatte, war er richtig, er warnte die Stadt und die kritische Öffentlichkeit: Schaut hin, es ist euer Schauspielhaus! Dass die Stadt so perfide ist, die Staatstheater-Sparquote von 1,22 Millionen Euro, von der ja alle wussten, allein dem Schauspielhaus aufzudrücken, damit konnte wirklich niemand rechnen und das hätte ich in der Konsequenz noch viel weniger verhindern können.

Abendblatt: Im „Spiegel“ sagten Sie, die Kürzung von einer Million Euro im Herbst 2009 sei notwendig gewesen, um den strukturellen Umbau der Kulturbehörde zu finanzieren.

Schirmer: So hat es mir Jack Kurfess erzählt.

Abendblatt: Aber man hat Ihnen das doch wohl nicht als Grund genannt?

Schirmer: Natürlich nicht. Man hat uns überhaupt nichts genannt. Und Sie müssen mal ins Archiv schauen: Frank Baumbauer hat schon 1998 erklärt, das Haus ist beim Sparen an seine Grenzen gekommen. Das Geld, das er hatte, ist heute 40 Prozent weniger wert.

Abendblatt: Das Dramatische und Tragische der aktuellen Situation: Durch den womöglich sinnvollen Rücktritt ist das Schauspielhaus jetzt so geschwächt, dass es eine leichte Beute für die Kulturpolitik des Senats ist.

Schirmer: Das sehe ich genau anders. Ich halte das Haus für stark und kampfbereit. Es kann jetzt ganz anders argumentieren, gerade weil der Intendant als Mäßigungsinstrument des Rechtsträgers nicht mehr da ist. Ich hätte als Intendant so ein „Kampfansage“-Transparent nie raushängen können, da hätte ich sofort einen Anruf vom Kultursenator bekommen. Ich bin als Intendant doch auch ein Herrschaftsinstrument des Gesellschafters Stadt. Der Käpt’n hat das Schiff seiner Mannschaft übergeben. Wir haben das vorher analysiert und besprochen und alle waren der Meinung, dass das der richtige Schritt ist. Wenn meine Forderungen erfüllt worden wären, wäre ich doch geblieben. Aber man ist mir nicht einen Millimeter entgegen gekommen.

Abendblatt: Die Kulturpolitik hat Ihnen so lange ein Messer hingehalten, bis Sie nicht mehr anders konnten, als hineinzulaufen.

Schirmer: Das ist Ihre Wahrnehmung. Ich weiß: Ich hätte nicht anders handeln können, und ich weiß das Haus in guten Händen. Es ist das Hamburger Schauspielhaus, die Stadt muss sich dazu verhalten. Dieses Theater ist nicht das Sparschwein, das man schlachtet, wenn man Geld braucht. Alles, was man mir vorwerfen kann – geschenkt. Ich bin ein Kämpfer, ich hab’ mein Leben lang gekämpft. Ich lauf hier nicht davon. Aber ich entscheide selber, wann mein Kampf zu Ende ist. Das heißt nicht, dass der Kampf zu Ende ist, wenn ich die Boxhandschuhe ausziehe und aus dem Ring gehe. Um das Haus mache ich mir keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass die Bürgerschaft diesen aberwitzigen Sparbeschluss des Senats nicht passieren lässt.

Abendblatt: Eigene Fehler einzugestehen, ist für jeden das Schwerste. Welche haben Sie in Ihrer Amtszeit begangen?

Schirmer: Es ist jetzt nicht die Zeit, darüber zu reden.

Abendblatt: Sie haben sich mit dem „Spiegel“-Interview, in dem Sie auch den Selbstmord ihrer Frau, die eigenen Depressionen und den Tod Ihrer Mutter erwähnen, vor einer enormen Öffentlichkeit die Brust geöffnet. Scheitern, Trauern, Ängste einzugestehen, in einem Job, der dafür gedacht ist, Leitwolf zu sein – das ist mutig.

Schirmer: Ohne Schwäche keine Stärke. Ich habe mir diesen Rücktritt sehr lange und ausführlich überlegt. Natürlich haben mich meine Erfahrungen geformt, das lässt mich ja auch wachsen. Es war für mich jetzt die Zeit gekommen, auch darüber zu reden. Dazu stehe ich.

Abendblatt: Sie sagten, was ich bin, bin ich durch das Theater. Was für ein Leben kann es für einen Theatermenschen nach dem Theater geben?

Schirmer: Das weiß ich nicht, das werde ich jetzt herausfinden. Ich will weiter lernen, mit dem Unvorhersehbaren zu leben. Der Punkt, wo wir loslassen müssen, kommt für uns alle. Ich habe keinen Plan, das ist für mich eine absolut neue Situation. Ich gehe ohne einen Cent Abfindung….

Abendblatt: Wohin?

Schirmer: … In meine kleine Mietwohnung in Freiburg, ab Ende Januar. Ich kann mir die Miete in Blankenese jetzt nicht mehr leisten.

Abendblatt: Wie war Ihre Verabschiedung vom Schauspielhaus?

Schirmer: Ich war bis zum 30. September dort und habe mich noch längst nicht von allen verabschieden können. Das werde ich jetzt nach und nach tun.

Abendblatt: Wie fühlt es sich an, das Theater von außen zu sehen?

Schirmer: Es ist wunderschön, es hat einen großen magischen Reiz und wartet auf den nächsten weißen Ritter, der aber so schnell nicht kommen kann.

Abendblatt: Wie wird es nun hier weiter gehen?

Schirmer: Das Haus wird weiter kämpfen. Und Hamburg wird sich dazu bekennen. Sie alle sind das Schauspielhaus.

Abendblatt: Wer soll in so einer Situation überhaupt Ihr Nachfolger werden können, wie soll das gehen?

Schirmer: Das Haus hat die Kraft, die Kompetenz und die Qualitäten, bis 2012 auch ohne Intendant auskommen zu können. Dann kommt der Umbau. Und ich denke, ich bin für diese Frage der falsche Gesprächspartner. Aber vor 2012 wird es kein seriöser Theatermensch übernehmen können.

Abendblatt: Momentan tut sich scheinbar etwas: In der nächsten Woche soll es einen Kulturgipfel mit dem Bürgermeister geben, CDU und Grüne signalisieren, dass man über die Höhe der Kürzungen beim Schauspielhaus womöglich noch einmal reden könne. Wie beurteilen Sie das?

Schirmer: Meine Rolle ist hier zu Ende. Ich habe gekämpft, mit hohem persönlichem Einsatz. Die Geschichte des Hauses geht jetzt über mich hinweg. Deswegen ist es auch nicht richtig, dass ich mich dazu weiter äußere. Jetzt ist Hamburg gefragt, die Theaterbürger sind gefordert, für ihr Schauspielhaus zu kämpfen – unabhängig davon, wer dort gerade Intendant ist.

Abendblatt: Dann genereller gefragt: Kann man Kulturpolitik, wie Sie sie erlebt haben, überhaupt als Gesprächspartner noch ernst nehmen? Ist das moralisch vertretbar?

Schirmer: Die Höflichkeit gebietet mir, auf diese Frage nicht zu antworten.