Am Freitag kamen der jüdische Schriftsteller David Grossmann und Polit-Provokateur Thilo Sarrazin auf die weltgrößte Bücherschau.

Frankfurt am Main. Am Freitag öffnet die Frankfurter Buchmesse zum letzten Mal ihre Türen für Fachbesucher, bevor sie am Wochenende für das breite Publikum zur Verfügung steht. Auffallend viele junge Zuschauer waren gekommen, die eifrig Handyfotos machten, vor allem vom ehemalige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin. Der präsentierte zum Abschluss sein umstrittenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ und wurde sowohl mit Applaus als auch mit Buh-Rufen der Besucher begrüßt. Für Empörung hatte er vor allem mit seinen Thesen über muslimische Zuwanderer gesorgt. Seinen Kritikern warf Sarrazin am Freitag vor, sein Buch vielleicht gar nicht gelesen zu haben. „Die intelligenten Menschen sollten dafür sorgen, dass sie eine bestimmte Zahl von Kindern bekommen“, sagte der 65-Jährige im Gespräch mit Moderatorin Annette Riedel (Deutschlandradio Kultur). Auf den Vorwurf der Moderatorin, einen falschen Zusammenhang zwischen Bildung und Intelligenz herzustellen, entgegnete Sarrazin, man solle sich doch mal Schulen in sozial stark unterschiedlichen Wohngegenden anschauen. „Hart, aber berechtigt“, befand eine junge Messebesucherin, die im Anschluss versuchte, von Sarrazin ein Autogramm zu ergattern. Doch auch Buh-Rufe und Pfiffe ertönten aus der Menge, die sich um den Stand versammelt hatten. Sarrazin war Ende September nach massivem Druck aus Politik und Öffentlichkeit als Bundesbankvorstand zurückgetreten.

Neben Sarrazin kam am Freitag auch der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, der jüdische Schriftsteller David Grossmann, auf die Frankfurter Messe. Israelis und Palästinenser haben viel gemeinsam, sagte Grossman: „Beide Völker haben einen ähnlichen Sinn für Selbstironie – aber leider auch das gleiche Talent zur Selbstzerstörung.“ Grossman, der am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennimmt, setzt sich seit Jahren für eine Zweistaatenlösung im Nahen Osten ein. „Es ist zu viel verlangt, Liebe einzufordern“, sagte der 56-Jährige am Freitag, unverzichtbar sei jedoch, Verständnis füreinander zu haben. Israelis und Palästinenser sähen einander gar nicht mehr, „sie sehen nur noch die Reflexion ihrer eigenen Ängste“. Durch die Hetzkampagnen und Klischees in den Medien würden beide Seiten einer permanenten Gehirnwäsche unterzogen. Angst und Hass seien „wie Säure, die sich überall durchfrisst, egal welche Schutzkleidung man anzieht.“

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Frieden sei für die Menschen in Israel ein fiktiver Begriff geworden, „eine Halluzination“. Die meisten seien nicht mehr in der Lage, sich Frieden vorstellen – weder politisch noch emotional. Mit seinen Büchern wolle er dazu beitragen, „dass die Menschen nicht verlernen, eine andere Realität für möglich zu halten.“ Kern der Literatur sei es, nicht nur sich selbst zu sehen, sondern auch den anderen „von innen heraus“ zu verstehen. Trotz des Gefühls, „permanent am Abgrund zu stehen“, werde er nicht resignieren, sagte der politisch aktive Autor, dessen Sohn Uri 2006 als Soldat ums Leben kam. „Ich kann mir den Luxus der Verzweiflung nicht erlauben.“ Er sei nicht naiv, aber Optimist. „Jeder der verzweifelt, ist bereits Opfer geworden.“

Der Friedenspreis ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Laudatio hält am Sonntag der Bürgerrechtler Joachim Gauck. Grossmans Bücher zeigten, „dass die Spirale von Gewalt, Hass und Vertreibung im Nahen Osten nur durch Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes beendet werden kann“, heißt es in der Begründung der Jury. „David Grossman gibt dem schwierigen Zusammenleben eine literarische Stimme, die in der Welt gehört wird.“